Direkt zum Inhalt

Für mehr Tempo bei der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle: Kommentar

DIW Wochenbericht 35 / 2024, S. 546

Christian von Hirschhausen

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.46 MB - barrierefrei / universal access)

Die Entscheidung für den Standort eines tiefengeologischen Endlagers für hochradioaktive Abfälle, die für 2031 vorgesehen war, soll sich um Jahrzehnte verschieben. Anstatt des noch vor knapp zwei Jahren genannten Zeitraums zwischen 2046 und 2068 ist nunmehr sogar vom Jahr 2074 die Rede – und auch dies nur unter „idealen Bedingungen“. Das Öko-Institut spricht in seinem Bericht allerdings auch von möglichen Beschleunigungen, für die es am Ende der ersten Phase des Suchprozesses etwa im Jahre 2027 ein Zeitfenster gäbe.

Angesichts dieser Gemengelage droht ein erneutes Scheitern in der Endlagerfrage. Es könnte zu einem schleichenden Übergang in eine auf Dauer gestellte Zwischenlagerung kommen. Die erste von drei Phasen der Entscheidungsfindung soll nach jetziger Planung 2027 abgeschlossen werden. Die BGE schließt allerdings weitere Verzögerungen nicht aus und spricht von „Planung“, nicht von „Terminierung“. Schon der jetzige Zeitplan impliziert noch ein Jahrhundert Oberflächenlagerung. Sollte eine Entscheidung erst nach 2074 erfolgen, wäre die Einlagerung der Nuklearabfälle wohl erst in der Mitte des nächsten Jahrhunderts abgeschlossen.

In der jetzigen Situation muss zeitnah politisch entschieden werden, ob der Suchprozess beschleunigt oder auf die lange Bank geschoben werden soll. Wir plädieren mit allem Nachdruck für eine Beschleunigung in der Endlagerstandortsuche, damit sich der Gesamtprozess der Endlagerung nicht bis tief in das 22. Jahrhundert hinein erstreckt. Die Zwischenlagerung an der Oberfläche müsste entsprechend länger dauern, was zu Regulierungsproblemen (Genehmigungen der Lager und der Castor-Behälter) und zur Frage nach der baulichen Ertüchtigung der Zwischenlager führt. Sogar neue konsolidierte Zwischenlager sind im Gespräch. Die unklaren Zeithorizonte führen zudem zu absehbaren Finanzierungsdefiziten. Eine Kalkulation der Kosten bis tief ins nächste Jahrhundert ist ökonomisch nicht mehr seriös möglich.

Normativ betrachtet bedeutet die Verschiebung einen Risiko- und Kostentransfer auf die nächsten drei bis vier Generationen. Belastungen werden also Generationen aufgebürdet, die keinen Atomstrom mehr konsumieren. Das Argument, durch wirtschaftliches Wachstum und technologischen Fortschritt werde es zukünftigen Generation leichter fallen, die Endlagerung zu vollziehen, verfängt schon längst nicht mehr. Das Argument, angesichts des Zeitraums der sicheren Einlagerung (eine Million Jahre) seien einige Jahrzehnte längerer Suche irrelevant, verkennt, dass die nähere und die fernere Zukunft zwei verschiedene Dinge sind.

Es ist verfehlt, einen hypothetischen Sicherheitsgewinn für die (sehr) ferne Zukunft mit einem Sicherheitsdefizit in näherer Zukunft zu erkaufen. Geht man von einer ungewissen Zukunft aus, so sollten wir uns nach Kräften bemühen, wenigstens ein Problem zeitnah zu lösen. Die Dynamik von Gesellschaften ist ungleich höher als die von stabilen geologischen Formationen. Die gesellschaftlichen Randbedingungen für eine bestmöglich sichere Endlagerung könnten heute günstiger sein als in Zukunft. Die im Standortauswahlgesetz geforderte „bestmögliche Sicherheit“ ist kein Argument für die Annahme, dass ein Endlager in ferner Zukunft sicherer sein wird als in näherer Zukunft. Im Gegenteil: Mit der Verzögerung droht uns ein schleichender Sicherheitsverzehr. Das wartungsfreie Tiefenlager ist deshalb die beste Option.

Nach dem Ende des „großen“ Konflikts um die Kernenergie scheint sich ein über Jahrzehnte schwärender Technologiekonflikt um die Entsorgung herauszubilden. Von einem solchen Konflikt sollten wir die nächsten Generationen entlasten. Eine Standortentscheidung 2031 wird es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geben, die Verschiebung ist jedoch inakzeptabel. Alle Beteiligten sollten von „2031+x“ ausgehen und anerkennen, dass x unter Wahrung der Prinzipien von Sicherheit und Fairness zu minimieren ist. An diesem Minimierungsziel ist die Endlagerpolitik zu beurteilen.

Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 13. August 2024 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

keyboard_arrow_up