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DIW-Konjunkturprognose: Industrie stottert weltweit – Deutsche Wirtschaft stagniert

  • Deutsche Wirtschaft tritt weiter auf der Stelle: Nach positivem Jahresbeginn Rückschlag im zweiten Quartal – Erholung setzt frühestens zum Jahresende ein
  • Trotz steigender Reallöhne und Inflation im Zwei-Prozent-Bereich halten Bürger*innen ihr Geld bisher zusammen, auch Exporte und Investitionen straucheln
  • DIW Berlin prognostiziert für deutsche Wirtschaft Stagnation in diesem Jahr und Wachstum von 0,9 und 1,4 Prozent in kommenden beiden Jahren
  • Privater Konsum dürfte dann Hauptstütze sein, aber langsamer als zunächst erwartet steigen – Weltweit sinkende Zinsen beleben Außenhandel und Investitionen
  • Weltwirtschaft weiter auf Erholungskurs (in diesem Jahr wohl 3,8 Prozent Wachstum), zuletzt aber ebenfalls etwas abgeschwächt – Wachstum in China stockt, USA vor Abkühlung

„Die Nachfrage nach deutschen Industriegütern ist im In- und Ausland nach wie vor schwach, der Auftragsmangel wird zunehmend zum Problem. Es bleibt aber zu hoffen, dass eine langsam anziehende Investitionstätigkeit im Ausland auch die deutsche Industrieproduktion wieder etwas in Gang bringt – trotz der starken Konkurrenz aus China.“ Geraldine Dany-Knedlik

Die deutsche Wirtschaft tritt weiter auf der Stelle. Nachdem es zu Jahresbeginn noch so aussah, als spränge der Konjunkturmotor endlich an, gab es im zweiten Quartal einen kleinen Rückschlag. Obwohl die Einkommen steigen und die Inflation mittlerweile nahe der Zielmarke von zwei Prozent liegt, halten die Menschen in Deutschland ihr Geld zusammen. Da die schwächelnde Industrie die Investitionen und Exporte straucheln ließ, ist der Aufschwung erst einmal verschoben – in diesem Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung insgesamt stagnieren. Ab dem Jahresende wird es dann aber wohl aufwärts gehen, für die Jahre 2025 und 2026 ist ein Wachstum von 0,9 beziehungsweise 1,4 Prozent zu erwarten. Hauptstütze dürfte der private Konsum sein, der zwar langsamer als erwartet steigen wird, aber dennoch Impulse gibt. Solche entfalten im Zuge weltweit weiter sinkender Zinsen auch der Außenhandel und die Investitionen. Die Weltwirtschaft ist weiter auf Erholungskurs, hat sich im zweiten Quartal aber ebenfalls etwas schwächer als im ersten Quartal entwickelt. Insbesondere das Wachstum in China ist etwas ins Stocken geraten. Auch in den USA gibt es Anzeichen für eine bevorstehende konjunkturelle Abkühlung. Nach 3,8 Prozent in diesem Jahr dürfte die Weltwirtschaft 2025 nur noch um 3,5 Prozent wachsen und sich erst 2026 wieder etwas dynamischer entwickeln.

Weltwirtschaft: Weitere Erholung erwartet, nur die Wirtschaft in den USA kühlt ab

Das Wachstum der Weltwirtschaft hat sich im zweiten Quartal 2024 abgeschwächt; sie legte um 0,7 Prozent zu, nach 1,0 Prozent im vorherigen Quartal (Abbildung 1). Insbesondere in den Schwellenländern geriet das Wachstum ins Stocken. Grund war die Entwicklung in China, wo die Binnennachfrage weiterhin gedämpft ist. Etwas mehr Schwung kam hingegen aus den fortgeschrittenen Volkswirtschaften, insbesondere aus den USA und dem Euroraum. Dort gingen die Inflationsraten weiter zurück, was im Euroraum im Juni zu einer ersten Zinssenkung führte.

Getragen von Konsum und Exporten wuchs die Wirtschaft in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften im zweiten Quartal um 0,6 Prozent. Im Euroraum setzte die Wirtschaft ihre Erholung fort und legte erneut um 0,3 Prozent zu. Vor allem der Außenhandel leistete dank steigender Exporte einen positiven Beitrag. Mit einem Wachstum von 0,8 beziehungsweise 1,0 Prozent stützten Spanien und die Niederlande die wirtschaftliche Belebung im Euroraum besonders stark. Auch Frankreich und Italien legten jeweils ein positives Quartalswachstum von 0,2 Prozent vor. Lediglich Deutschland trug unter den großen Euroländern mit –0,1 Prozent negativ zum Wachstum des Euroraums bei. Im Vereinigten Königreich stieg die Wirtschaftsleistung weiterhin deutlich um 0,6 Prozent, was vor allem durch einen starken Lageraufbau gestützt wurde.

Auch in den USA legte die Wirtschaft im zweiten Quartal mit 0,7 Prozent kräftig zu, weiterhin getrieben von robusten Konsumausgaben und Unternehmensinvestitionen. In Japan verzeichnete das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Anstieg um 0,8 Prozent eine deutliche Gegenbewegung zum negativen Jahresauftakt. Steuererleichterungen und Reallohnzuwächse dank großer Lohnerhöhungen kurbelten den privaten Konsum an.

Unter den Schwellenländern, die insgesamt um 0,8 Prozent zulegten, enttäuschte lediglich China im zweiten Quartal. Die Wirtschaft dort wuchs nur um 0,7 Prozent, nach 1,5 Prozent im Vorquartal. Negative Faktoren wie der weiterhin angeschlagene Immobilienmarkt, die verhaltene Binnennachfrage und schwere Unwetter und Überschwemmungen dämpften das Wachstum, während die fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen den Problemen im Immobiliensektor nur begrenzt entgegenwirkten.infoVgl. Timm Bönke et al. (2023): DIW Konjunkturprognose Winter 2023: Aussichten reichen von heiter bis wolkig. DIW Wochenbericht Nr. 5, Kasten 2, 717 (online verfügbar, abgerufen am 29. August 2024. Dies gilt für alle Onlinequellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben). Positiv trugen hingegen die gute Auslandsnachfrage und die staatlichen Investitionen in den High-Tech-Sektor zum Wachstum bei. Die indische Wirtschaft setzte ihr Expansionstempo dank einer starken Binnenkonjunktur fort. In Mexiko und Brasilien wuchs die Wirtschaft weiter, die Dynamik ließ jedoch etwas nach. Hier zeigte die restriktive Geldpolitik Wirkung, und der Exportsektor spürte die schwächere Weltwirtschaft. In den mittel- und südosteuropäischen EU-Ländern stach vor allem Polen mit einer Quartalszuwachsrate von 1,5 Prozent hervor; hier trugen insbesondere der private und öffentliche Konsum sowie Investitionen zum Wachstum bei.

Im laufenden dritten Quartal dürften die fortgeschrittenen Volkswirtschaften etwas weniger zum Weltwirtschaftswachstum beisteuern als noch im Vorquartal. Dies ist vor allem auf die Abkühlung der US-Wirtschaft angesichts eines weniger dynamischen Konsums und einer sich eintrübenden Lage auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Die Wirtschaft im Euroraum ohne Deutschland dürfte ihre Erholung fortsetzen. Dabei werden wohl die stetigen Reallohnzuwächse die Binnennachfrage stärken. Von der Industrie hingegen sind im Euroraum keine Impulse zu erwarten: Während die Einkaufsmanagerindizes des Verarbeitenden Gewerbes der einzelnen Euroländer im ersten Halbjahr 2024 noch Zeichen der Erholung zeigten, sind sie seit Juni wieder rückläufig. Die Unternehmen sind unter anderem pessimistisch, was die politische Unsicherheit (Frankreich), den Rückgang von Aufträgen und die steigenden Preise für Vorleistungsgüter und Arbeitskosten (Spanien, Niederlande, Italien) betrifft. Im Dienstleistungssektor verschlechtern sich die Aussichten in den meisten Mitgliedsländern ebenfalls, die Indizes bleiben aber über der Expansionsschwelle. In Frankreich hat sich die Stimmung dank der Olympischen Spiele im Sommer aufgehellt. Im Vereinigten Königreich sind die Aussichten für das dritte Quartal gut. Sowohl die aufwärtsgerichteten Einkaufsmanagerindizes in allen Wirtschaftsbereichen als auch das gestiegene Konsumentenvertrauen deuten auf eine weitere Erholung hin. Auch die Reallohnzuwächse dürften den Konsum weiter ankurbeln. In Japan setzt die sich erholende Binnennachfrage leichte Wachstumsimpulse für das dritte Quartal. Gleichzeitig sind auch dort die Signale für eine Belebung im Verarbeitenden Gewerbe sehr schwach; der Einkaufsmanagerindex verharrt seit zwei Monaten wieder unter der Expansionsschwelle von 50.

In den Schwellenländern wird im dritten Quartal ein stärkeres Wachstum als im zweiten Quartal erwartet. Die indische Wirtschaft dürfte weiterhin dynamisch zulegen. Die chinesische Wirtschaft wird wohl von zunehmenden Exporten und Investitionen in den High-Tech Sektor profitieren. Die Binnennachfrage hingegen dürfte aller stimulierenden geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen zum Trotz weiterhin unter den Problemen im Immobiliensektor leiden, was das jährliche Wachstumsziel der chinesischen Regierung von fünf Prozent für dieses Jahr fraglich erscheinen lässt.

Trotz bereits eingeleiteter oder noch anstehender Zinswenden dürfte die Geldpolitik in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften weiterhin restriktiv wirken. Bis Ende des kommenden Jahres wird wohl vielerorts der neutrale Zins erreicht sein. Die Europäische Zentralbank läutete im Juni die Zinswende ein (Kasten 1), die Bank of England folgte im August. In den USA bahnt sich angesichts der stetig sinkenden Inflation eine Zinswende für Mitte September an. Im Gegensatz dazu beschloss die japanische Notenbank im Juli wegen der höheren Inflationsraten und des schwachen Yen eine weitere Zinserhöhung. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die jahrelange sehr expansive Geldpolitik zu einem Ende kommt, was aber kurzfristig zu weltweiten Börsenturbulenzen führte.

Dieser Prognose liegen die folgenden Annahmen über den weiteren Verlauf von Leitzinsen, Wechselkursen und Rohstoffpreisen zugrunde (Tabelle). Sie wurden auf Basis der bisherigen Entwicklung, der Preise an den Terminmärkten sowie der Schlussstände zum Stichtag dieser Prognose am 19. August 2024 getroffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Juni erstmals die Zinsen gesenkt. Damit leitete sie nach einem Jahr mit konstantem Zinsniveau die Zinswende im Euroraum ein. Über den Prognosehorizont werden sechs weitere Zinssenkungen angenommen, die jeweils zu jedem zweiten Treffen der EZB erfolgen dürften. Im Detail wird angenommen, dass die Zentralbank im September zum zweiten Mal die Zinsen senken wird, wieder um 25 Basispunkte. Zeitgleich wird sie wie ankündigt den Zinskorridor zwischen dem Leitzins und Einlagezins von 50 auf 15 Basispunkte verringern. Die EZB steuert die Wirtschaft seit längerer Zeit über den Einlagezins und nicht den Leitzins (Hauptrefinanzierungssatz). Daher ist die wichtige Kennzahl für Zinsveränderungen der Einlagezins. Die darauffolgenden Zinssenkungen werden zu jeweils 25 Basispunkten angenommen. Dies ergibt eine Senkung des Einlagezinses von jeweils 75 Basispunkten in diesem und im kommenden Jahr.

Tabelle: Annahmen dieser Prognose

2023 2024 2025 2026
EZB-Einlagezins1 (Jahresende) Prozent 4,0 3,25 2,5 2,5
Geldmarktzins EURIBOR-Dreimonatsgeld in Prozent 3,4 3,5 2,4 2,2
Kapitalmarktzins Rendite für Staatsanleihen im Euroraum mit zehnjähriger Restlaufzeit 3,3 3,1 3,1 3,1
Kapitalmarktzins Rendite für Staatsanleihen in Deutschland mit zehnjähriger Restlaufzeit 2,6 2,5 2,4 2,4
Wechselkurs US-Dollar/Euro 1,08 1,09 1,09 1,09
Erdölpreis US-Dollar/Barrel 82,50 82,60 76,70 73,70
Gaspreis Euro/Megawattstunde 42,10 34,50 41,90 35,70

1 Die EZB steuert die Wirtschaft über den Einlagezins, nicht den Leitzins.

Anmerkung: Jahresdurchschnittswerte, sofern nicht anders angegeben.

Quellen: Europäische Zentralbank; European Money Markets Institute (EMMI); Eurex Exchange; Deutsche Bundesbank; Federal Reserve; Energy Information Administration (EIA); Intercontinental Exchange (ICE); CME Group; DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

In Erwartung der Zinswende sanken die Geldmarktzinsen schon Anfang des Jahres. Es wird angenommen, dass diese – im Einklang mit den Leitzinsen – über den Prognosehorizont weiter fallen. Auch die Refinanzierungskosten für Haushalte und Unternehmen dürften sich mit fallenden Leitzinsen in den kommenden Jahren verringern. Die Renditen für Staatsanleihen sind nach einem kurzen Absinken Anfang 2024 wieder leicht gestiegen. Es wird angenommen, dass die Kapitalmarktzinsen über den Prognosehorizont weitestgehend unverändert bei 2,4 Prozent für Deutschland und 3,1 Prozent für den Euroraum liegen werden. Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar aufgrund des Zinsdifferentials zuletzt abgewertet. Für den Prognosezeitraum wird angenommen, dass der Wechselkurs des Euro gegenüber dem US-Dollar auf dem erreichten Niveau von 1,09 Dollar pro Euro verbleibt.

Unsicherheiten über das Gasangebot im kommenden Jahr ließen die Großhandelspreise für Erdgas (TTF) zuletzt wieder leicht ansteigen. Jedoch dürften gut gefüllte Speicher eine starke Verknappung des Angebots verhindern. Der durchschnittliche Gaspreis dürfte laut Futures bei 34,50 Euro (2024) beziehungsweise 41,90 Euro (2025) und 35,70 Euro (2026) je Megawattstunde liegen. Der Preis für Brent-Rohöl wird gemäß gehandelten Futures über den Prognosezeitraum hinaus leicht absinken. In diesem Jahr dürfte der Preis im Durchschnitt bei 82,60 US-Dollar pro Barrel liegen, bevor er auf einen Durchschnittspreis von 76,70 US-Dollar im Jahr 2025 und schließlich 73,70 US-Dollar pro Barrel im Jahr 2026 sinkt. Neben den Annahmen über Rohstoffpreise und Zinsen liegen dieser Prognose auch politische Annahmen zugrunde: So wird angenommen, dass es zu keinen weiteren Eskalationen, aber auch zu keiner Auflösung der derzeitigen geopolitischen Krisen, wie dem Nahost-Konflikt, dem Krieg in der Ukraine sowie der Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan, kommt.

In vielen Schwellenländern senken die Zentralbanken die Leitzinsen schon seit einiger Zeit. In Brasilien werden angesichts sinkender Inflationsraten und eines schwächeren Wirtschaftswachstums seit einem Jahr regelmäßig die Leitzinsen gesenkt. Auch in Mexiko entschloss sich die Zentralbank im März und August zu Leitzinssenkungen, die jedoch aufgrund einer hartnäckigeren Inflation moderater ausfielen. In China verfolgt die Zentralbank aufgrund der Deflationstendenzen einen expansiveren Kurs. Dort dämpfen die schwache Erholung nach der Pandemie und die Schuldenprobleme, insbesondere im Immobiliensektor, den Preisdruck.

Die in den meisten Volkswirtschaften immer noch hohen Zinsen setzen der Finanzpolitik Grenzen. Sie wird im Prognosezeitraum insbesondere im Euroraum wohl leicht restriktiv bleiben. Die Staatshaushalte stehen wegen der nur allmählich sinkenden Zinsen weiterhin unter Spardruck, was die Ausgaben für mittelfristige Investitionsprogramme begrenzen dürfte. Bestehende Programme wie das NextGenerationEU-Programm dürften aber immer noch positiv auf die Investitionen in den Mitgliedstaaten wirken. Mehr Spielräume für wachstumsfördernde Investitionen dürften zudem die neuen europäischen Defizitregeln schaffen.infoPressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 23. April 2024: New EU fiscal rules approved by MEPs (online verfügbar). In Polen ermöglichte ein Regierungswechsel, dass bislang blockierte Mittel aus EU-Fonds im Frühjahr 2024 ausgezahlt werden konnten; diese Mittel werden den fiskalischen Spielraum des Landes erweitern. Im Vereinigten Königreich dürfte die Labour-Regierung neue Impulse in ihrem Herbstbudget setzen. Sie wird jedoch einen sehr engen fiskalischen Spielraum haben und um Steuererhöhungen wohl nicht herumkommen. Die Regierung hat auch schon erste Kostensenkungsmaßnahmen verkündet. In den Vereinigten Staaten sind fiskalpolitisch keine neuen wesentlichen Impulse zu erwarten. Im Wahljahr 2024 hat keine der Parteien einen Ansporn, die hohen Defizite einzugrenzen. Die Regierung in China hatte zusammen mit der Zentralbank im Mai ein Maßnahmenpaket vorgestellt, um den Immobiliensektor gezielt zu stützen. Jüngste Zahlen zeigen jedoch, dass nur ein Bruchteil des Fonds zur Rettung von Bauträgern ausgezahlt wurde.

Der Welthandel erholt sich langsam; im Gesamtjahr 2024 sind jedoch noch keine kräftigen Wachstumsraten zu erwarten. Die anhaltende globale Industrieschwäche in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird wohl den Welthandel im kommenden Jahr noch belasten. Die sinkenden Zinsen dürften aber die Unternehmensinvestitionen und damit ab Mitte 2025 auch den Welthandel wieder beleben.

Im weiteren Prognosezeitraum dürfte die Weltwirtschaft im Jahr 2025 zunächst noch verhalten und im Jahr 2026 dynamischer wachsen (Tabelle 1). Die Inflationsraten werden wohl im Winterhalbjahr 2024/2025 vielerorts die Zielkorridore der Zentralbanken erreichen; mit sinkenden Zinsen dürfte die Geldpolitik in den meisten Volkswirtschaften von einer restriktiven bis Ende 2025 auf eine neutrale Ausrichtung wechseln und so die wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Unternehmensinvestitionen und die Bauwirtschaft, stützen. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird sich wohl die gegenläufige Entwicklung zwischen den USA und Europa angleichen. Hatten die USA den Euroraum in den vergangenen Jahren beim Wachstum abgehängt, trübt sich die Lage dort nun wohl ein, während im Euroraum die Zeichen wieder auf Wachstum stehen.

Tabelle 1: Reales Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise und Arbeitslosenquote in der Weltwirtschaft

In Prozent

Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote in Prozent
Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent
2023 2024 2025 2026 2023 2024 2025 2026 2023 2024 2025 2026
Europa
Europäische Union 0,5 1,1 1,7 1,9 6,4 2,8 2,5 2,2 6,0 6,2 6,0 5,9
Euroraum 0,5 0,8 1,3 1,4 5,4 2,5 2,1 2,0 6,6 6,5 6,4 6,2
ohne Deutschland 1,3 1,4 1,4 1,6 5,0 2,4 2,1 1,9 8,3 8,0 7,8 7,7
Frankreich 1,1 1,2 1,3 1,5 5,7 2,4 1,9 1,8 7,4 7,5 7,4 7,3
Italien 1,0 0,9 1,0 1,0 5,9 1,3 2,0 2,0 7,7 7,0 6,9 6,9
Spanien 2,5 2,7 1,8 2,1 3,4 3,1 2,4 1,9 12,2 11,6 11,1 10,8
Niederlande 0,1 0,8 2,0 1,8 4,1 3,3 2,5 2,0 3,6 3,6 3,6 3,6
Vereinigtes Königreich 0,1 1,1 1,4 1,2 7,3 2,5 2,2 2,1 4,0 4,4 4,6 4,3
Schweiz 0,7 1,5 1,7 1,8 2,1 1,7 1,5 1,3 4,1 4,2 4,3 4,1
Mittel- und Südosteuropa (MOE) 0,5 2,3 3,1 3,4 11,6 4,1 3,6 3,0 3,6 3,7 3,5 3,4
Türkei 4,5 3,6 3,4 3,4 54,0 59,6 41,2 38,0 9,4 8,9 9,4 8,5
Russland1 3,2 3,5 1,8 1,4 5,9 7,7 5,0 4,1 3,2 2,7 2,7 2,7
Amerika
USA 2,5 2,5 1,1 1,8 4,1 2,9 2,0 1,9 3,6 4,2 4,5 4,1
Mexiko 3,2 1,4 2,3 2,4 5,5 4,4 3,0 3,0 2,8 2,7 2,6 2,6
Brasilien 2,9 2,0 2,2 2,4 4,6 4,2 3,1 3,0 8,0 7,8 7,6 7,5
Asien
Japan 1,7 0,3 1,0 0,9 3,3 2,4 1,8 1,6 2,6 2,6 2,4 2,3
Südkorea 1,4 2,4 2,2 2,2 3,6 2,4 1,9 1,9 2,7 2,9 3,0 3,0
China 5,2 4,8 4,6 4,5 −1,7 0,6 1,6 1,8 5,2 5,0 5,1 4,9
Indien 7,8 6,9 6,4 6,5 5,7 4,1 4,2 3,9 8,1 7,8 7,5 7,3
Total
Fortgeschrittene Volkswirtschaften 1,7 1,7 1,2 1,6 4,8 3,0 2,1 2,1 4,3 4,6 4,7 4,4
Schwellenländer 5,5 4,9 4,7 4,8 4,5 5,7 5,6 6,0 6,1 5,9 5,8 5,6
Welt 4,1 3,8 3,5 3,7 4,3 3,9 3,4 3,6 5,7 5,6 5,5 5,4
Nachrichtlich:
Exportgewichtet2 2,9 2,8 2,4 2,7
BIP in USD gewichtet3 3,4 3,2 2,9 3,0

1 Die für Russland prognostizierten Daten sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Russland hat nur geringes Gewicht in der Gesamtprognose.

2 Gewichtung der Welt mit den Anteilen an der deutschen Ausfuhr im Jahr 2023.

3 Gewichtung der Welt mit dem Bruttoinlandsprodukt in US-Dollar über die Jahre 2023 bis 2026.

Anmerkungen: Die schwarzen Zahlen sind abgerechnete Zahlen. Die Werte der Ländergruppen sind ein gewichteter Durchschnitt, wobei für die Gewichtung des BIP und der Verbraucherpreise das jeweilige Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten aus dem World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds (IWF) für die Jahre 2023 bis 2026 verwendet wird. Für die Gewichtung der Arbeitslosenzahlen in den Ländergruppen wird die Erwerbsbevölkerung (15 bis 64 Jahre) des jeweiligen Landes für das Jahr 2022 verwendet. MOE besteht aus: Polen, Rumänien, Tschechien und Ungarn.

Quellen: Nationale statistische Ämter; DIW Konjunkturprognose Herbst 2024.

Zur allmählichen Dämpfung der konjunkturellen Dynamik in den USA tragen vor allem der nachlassende private Konsum und der Arbeitsmarkt bei. Allerdings dürfte letzterer robuster sein, als die seit dem Frühjahr erhöhte Arbeitslosenquote vermuten lässt; diese ist wohl aufgrund des Einwanderungsbooms überzeichnet. Auch wenn einige Indikatoren sogar auf ein erhöhtes Rezessionsrisiko in den USA hindeuten, scheint eher eine allmähliche Verlangsamung der Expansionsdynamik wahrscheinlich, zumal die US-Notenbank genügend Spielraum für Zinssenkungen hat.

Im Euroraum dürfte hingegen dank niedrigerer Inflation und höherer Nominallöhne die Kaufkraft der privaten Haushalte weiter zunehmen, auch wenn die Reallöhne im Euroraum noch einen Prozentpunkt unter Vorpandemieniveau und noch weiter unter Vorenergiekrisenniveau liegen (Abbildung 2). Die günstige Lage auf dem Arbeitsmarkt stützt die Konjunktur wohl weiterhin, obwohl sie sich jüngst leicht verschlechtert hat. In Japan dürfte das BIP vor dem Hintergrund einer sich erholenden Binnennachfrage und anziehender Exporte im kommenden Jahr über dem Potenzialwachstum liegen.

Auch in den meisten Schwellenländern bleiben die Aussichten im Prognosezeitraum günstig. Eine dynamischere Binnennachfrage und schrittweise sinkende Zinsen werden in Ländern wie Mexiko und Brasilien wohl die Investitionen fördern. In China dürfte das BIP zwar weiterhin kräftig wachsen, aber hinter den vor der Pandemie üblichen Raten zurückbleiben. Das bisherige investitionsgetriebene Wachstumsmodell kommt wohl an seine Grenzen und kann bisher nicht vom privaten Konsum ersetzt werden.

Im Jahresdurchschnitt 2024 wird das Wachstum in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften wohl nur um 1,7 Prozent steigen. In den Schwellenländern dürfte die Wirtschaftsleistung um solide 4,9 Prozent zulegen. Insgesamt wird für die Weltwirtschaft 2024 eine Wachstumsrate von 3,8 Prozent erwartet, 0,1 Prozentpunkt mehr als noch im Sommer prognostiziert. Im kommenden Jahr dürfte das globale Wachstum mit 3,5 Prozent angesichts der Abkühlung in den USA etwas schwächer ausfallen, bevor es sich im Jahr 2026 mit 3,7 Prozent wohl wieder dynamischer entwickelt. Die Prognose für 2025 fällt somit um 0,1 Prozentpunkt schwächer aus als noch im Sommer.

Mehrere Unsicherheitsfaktoren beeinflussen diese Prognose. So könnten die Inflationsraten, insbesondere in den USA und im Euroraum, langsamer zurückgehen als angenommen, was eine längere Phase restriktiver Geldpolitik und damit eine Dämpfung des Wirtschaftswachstums zur Folge hätte. Ein schnellerer Rückgang der Inflation könnte hingegen den Konsum stärker stützen und zu rascheren Zinssenkungen führen. Die geopolitischen Risiken bleiben hoch: Der Krieg im Nahen Osten könnte sich weiter ausweiten, was vermutlich zu höheren Preisen für Erdöl und Erdgas führen würde. Ein weiteres Risiko besteht im Krieg in der Ukraine, dessen Entwicklung schwer einzuschätzen ist. Eine Wiederwahl Trumps könnte zu großen Unsicherheiten hinsichtlich der wirtschafts- und sicherheitspolitischen Ausrichtung der USA führen. Auch der Handelskonflikt zwischen China und dem Westen könnte weiter eskalieren und sich negativ auf den Welthandel auswirken. Generell ist das Risiko einer politischen Polarisierung vielerorts hoch; Parteien mit extremistischem Gedankengut finden weltweit immer mehr Zuwachs. Langfristig gesehen birgt dieser Populismus erhebliche Risiken für die Wachstums- und Wohlstandsaussichten, insbesondere wenn er grundlegende wirtschaftliche Prinzipien ignoriert oder untergräbt.

Deutsche Wirtschaft: Konjunkturtief hält an

Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft hält weiter an. Nach einem leichten Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu Jahresbeginn um 0,2 Prozent hat sich die positive Entwicklung nicht weiter fortgesetzt; die Wirtschaftsleistung ging im zweiten Quartal wieder etwas zurück (um 0,1 Prozent, Abbildung 3).infoAusführliches Zahlenmaterial zur Prognose der deutschen Wirtschaft ist im Online-Anhang unter www.diw.de/konjunkturzahlen zu finden. Die ersehnte Erholung blieb aus, da zum einen der Konsum der privaten Haushalte deutlich geringer ausfiel, als es die positive Entwicklung der verfügbaren Einkommen seit der Energiekrise erwarten ließ. Zum anderen brachen die Investitionen in Ausrüstungen und Bauten ein und die Exporte waren ebenfalls rückläufig, was wohl vor allem auf eine nach wie vor geringe Nachfrage nach Industriegütern aus dem In- und Ausland zurückzuführen ist.

Der private Konsum ging im zweiten Quartal etwas zurück: Die privaten Haushalte scheinen nicht nur wegen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verunsichert zu sein. Sie sind wohl auch angesichts des geringen, aber stetigen Anstiegs der Arbeitslosigkeit besorgt. Dies dürfte dazu geführt haben, dass die Verbraucher*innen trotz weiterhin kräftig gestiegener Reallöhne im zweiten Quartal weniger konsumiert haben als noch zu Jahresbeginn. Passend dazu haben die privaten Haushalte etwas mehr von ihrem Einkommen auf die hohe Kante gelegt: Die Sparquote ist mit aktuell 10,8 Prozent etwas höher als im Vorjahr.infoDie Generalrevision der VGR-Daten hatte zur Folge, dass die Sparquote für Deutschland deutlich nach unten revidiert wurde. Bis zuletzt zeigten die Daten ein deutlich höheres Niveau der Sparquote als vor der Corona-Pandemie. Die getrübte Kauflaune dürfte auch auf das hohe Preisniveau zurückzuführen sein. Zwar hat sich die Inflation zuletzt weiter merklich stabilisiert und liegt seit Beginn des Jahres beständig unter drei Prozent, die Kerninflation und besonders die Preissteigerungen im Dienstleistungsbereich sind jedoch weiter deutlich erhöht und dürften den Konsum gebremst haben. Wie im Frühsommer angenommen, konnte die Fußball-Europameisterschaft der Männer den privaten Verbrauch in Deutschland nicht merklich anschieben.

Auch aus dem Außenhandel kamen im zweiten Quartal keine Wachstumsimpulse. Hatten kräftige Ausfuhren von Vorleistungsgütern, beispielsweise chemische Erzeugnisse und Kunststoffwaren, zum Jahresauftakt noch eine Erholung der globalen IndustriekonjunkturinfoSiehe dazu auch die Ausführungen zur Weltwirtschaft in diesem Wochenbericht. und somit der deutschen Exportwirtschaft angedeutet, gingen die Exporte eben dieser Waren im vergangenen Quartal wieder merklich zurück. Die Dienstleistungsexporte wurden zwar vom Reiseverkehr angeschoben, sie konnten den Rückgang der Gesamtexporte allerdings nicht verhindern. Die Dienstleistungsimporte legten ebenfalls kräftig zu, während die Wareneinfuhren leicht zurückgingen. Insgesamt stagnierten die Einfuhren, sodass der Außenbeitrag im zweiten Quartal leicht negativ ausfiel.

Noch deutlicher war der Rückgang der Investitionen. Insbesondere die privaten Ausrüstungsinvestitionen brachen regelrecht ein und lagen im zweiten Quartal auf dem niedrigsten Niveau seit den Produktionseinschränkungen während der Corona-Pandemie. Die öffentlichen Ausrüstungsinvestitionen wirkten dagegen stützend. Bei den Bauinvestitionen setzte sich der Abwärtstrend der vergangenen Jahre ebenfalls fort; diese gingen deutlich zurück, vor allem im Wohnungs- und im öffentlichen Bau.

Die Entwicklung der Bruttowertschöpfung im zweiten Quartal zeigt, dass die Schere zwischen Dienstleistungen und Verarbeitendem Gewerbe größer wird. Insgesamt ging die Bruttowertschöpfung um 0,1 Prozent und daher mit der gleichen Rate wie das BIP zurück: Während die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe leicht sank, ist sie im Baugewerbe eingebrochen. Damit minderte das Produzierende Gewerbe insgesamt die Bruttowertschöpfung um 0,3 Prozent. Die Dienstleistungen konnten zwar leicht zulegen und stützten die Bruttowertschöpfung um 0,1 Prozent. Allerdings war auch hier das Bild gemischt. So sank die Wertschöpfung in den konsumnahen Bereichen, die unternehmensnahen Dienstleistungen konnten ihre Produktion hingegen ausweiten. Diese Wertschöpfungsentwicklung der Wirtschaftszweige spiegelt sich auch in den jüngsten Arbeitsmarktzahlen wider: Die Beschäftigung ist zwar insgesamt weiter gestiegen – wenn auch etwas schwächer als noch zu Jahresbeginn. Der Beschäftigungsaufbau fand aber im Dienstleistungssektor statt; im schwächelnden Verarbeitenden Gewerbe sowie beim Bau gingen die Beschäftigtenzahlen dagegen zurück. Insgesamt blieb der Arbeitsmarkt jedoch bis zuletzt stabil, auch wenn die Arbeitslosenzahlen weiter leicht zunahmen.

Deutsche Wirtschaft tritt auch im dritten Quartal auf der Stelle

Die Erholung der deutschen Wirtschaft lässt auch im laufenden dritten Quartal auf sich warten. Das BIP wird wohl erneut nicht zulegen (Tabelle 2). Zwar dürfte der private Verbrauch steigen, allerdings weniger kräftig, als es sich noch im Frühjahr angedeutet hatte (Abbildung 4). So zeigen Indikatoren für das Konsumklima, die in der ersten Jahreshälfte beständig gestiegen waren, zuletzt eine leichte Eintrübung an. Vor allem die zunehmende Verunsicherung über die wirtschaftliche Entwicklung und die gestiegene Sorge um einen Arbeitsplatzverlust angesichts steigender Insolvenzzahlen dürften die Kauflaune der Haushalte weiter dämpfen. Gleichzeitig haben die kräftigen Reallohnzuwächse seit Mitte 2023 die Verluste während der Energiekrise nun aber weitgehend kompensiert; sie dürften den Konsum in der zweiten Jahreshälfte stützen. Die Haushalte mit geringen Einkommen haben zuletzt wohl weiter starke Einkommenszuwächse verzeichnet, wovon der private Konsum wegen deren hoher Konsumneigung profitieren dürfte. Die Zuwächse für höhere Einkommensgruppen fielen hingegen etwas geringer aus als zuvor, sodass die Arbeitseinkommensungleichheit im laufenden Jahr wohl unverändert bleibt (Abbildung 5). Dazu kommt der nahezu kontinuierliche Rückgang der Verbraucherpreisinflation, die im August – insbesondere dank sinkender Energiepreise – erstmals seit März 2021 unter die Zwei-Prozent-Marke fiel und sich damit im Jahresdurchschnitt weiter dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) annähert. Darauf deuten auch die vorlaufenden Preisindikatoren, beispielsweise Import- und Großhandelspreise, hin. Diese steigen zwar teilweise wieder, die Raten liegen aber weiterhin deutlich unter zwei Prozent. Die stabile Preisentwicklung dürfte das Konsumentenvertrauen wieder stärken und den privaten Verbrauch anregen. Auch der bislang vorranging im Dienstleisungssektor robuste Beschäftigungsaufbau wird den privaten Verbrauch wohl stützen. Aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung dürfte die konjunkturnahe Arbeitslosigkeit derweil jedoch weiter leicht ansteigen (Tabelle 3).

Tabelle 2: Quartalsdaten zur Entwicklung der Verwendungs- und Entstehungskomponenten des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland

In Prozent (jeweils gegenüber dem Vorquartal, saison- und kalenderbereinigt)

2023 2024 2025 2026
I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
Privater Verbrauch −0,4 0,8 0,0 0,0 0,3 −0,2 0,2 0,3 0,4 0,4 0,3 0,3 0,2 0,2 0,2 0,2
Öffentliche Konsumausgaben 0,2 −0,2 1,2 0,7 −0,1 1,0 0,8 0,5 0,3 0,2 0,2 0,2 0,2 0,3 0,3 0,3
Bruttoanlageinvestitionen 0,6 −0,2 −0,3 −1,4 0,1 −2,2 −0,3 0,1 0,5 0,7 0,8 0,8 0,8 0,7 0,7 0,6
Bauten 1,3 −0,7 −1,3 −1,9 0,8 −2,0 −0,5 −0,3 0,4 0,6 0,7 0,7 0,6 0,4 0,3 0,3
Ausrüstungen −1,0 −0,2 0,5 −2,1 −1,6 −4,1 −0,2 0,8 0,5 0,5 0,6 0,8 1,1 1,2 1,3 1,3
Sonstige Investitionen 1,7 1,0 0,9 1,4 1,4 0,6 0,3 0,4 0,9 1,1 1,1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,6
Lagerveränderung1 −0,3 −0,1 −0,2 −0,7 −0,1 0,4 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
Inländische Verwendung −0,3 0,2 −0,1 −0,9 0,0 0,0 0,2 0,3 0,4 0,4 0,4 0,4 0,3 0,3 0,3 0,3
Außenbeitrag 0,5 −0,4 0,3 0,5 0,2 −0,1 −0,2 −0,1 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0 0,0
Export 0,2 −0,4 −0,7 −0,9 1,3 −0,2 −0,1 0,4 0,5 0,6 0,6 0,6 0,5 0,5 0,5 0,5
Import −1,0 0,5 −1,4 −2,0 0,8 0,0 0,4 0,6 0,7 0,8 0,8 0,7 0,7 0,7 0,7 0,7
Bruttoinlandsprodukt 0,1 −0,2 0,2 −0,4 0,2 −0,1 0,0 0,2 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,2 0,2
Bruttowertschöpfung 0,5 −0,2 0,0 0,6 0,0 −0,1 0,0 0,2 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,3 0,2 0,2
Verarbeitendes Gewerbe 1,1 −0,1 −1,0 0,0 −1,0 −0,2 −0,1 0,1 0,2 0,3 0,4 0,4 0,3 0,3 0,3 0,3
Baugewerbe 5,9 −0,6 −1,1 −1,9 1,9 −3,2 −0,7 −0,2 0,4 0,5 0,6 0,6 0,6 0,4 0,3 0,2
Handel, Gastgewerbe, Verkehr −1,1 −0,2 0,6 0,9 0,3 −0,6 0,1 0,4 0,4 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3 0,3 0,3
Unternehmensdienstleister −0,2 0,5 0,2 1,2 −0,3 0,9 0,2 0,3 0,3 0,4 0,4 0,3 0,3 0,3 0,2 0,2
Öffentliche Dienstleistungen, Erziehung, Gesundheit 0,4 0,1 0,7 0,2 0,5 0,1 0,1 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2 0,2

1 Wachstumsbeitrag in Prozentpunkten.

Anmerkung: Prognose ab dem dritten Quartal 2024.

Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

Tabelle 3: Eckdaten zur Wirtschaftsentwicklung in Deutschland

2023 2024 2025 2026
Bruttoinlandsprodukt1 −0,3 0,0 0,9 1,4
Erwerbstätige2 (1000 Personen) 46011 46181 46209 46123
Arbeitslose (1000 Personen) 2609 2776 2737 2548
Arbeitslosenquote BA3 (in Prozent) 5,7 6,0 5,9 5,5
Verbraucherpreise4 5,9 2,2 2,0 2,0
Lohnstückkosten4, 5 6,7 5,0 2,4 1,2
Finanzierungssaldo des Staates6
in Milliarden Euro −107,5 −110,4 −102,6 −79,8
in Prozent des nominalen BIP −2,6 −2,6 −2,3 −1,7
Leistungsbilanzsaldo
in Milliarden Euro 257,7 288,9 296,7 304,6
in Prozent des nominalen BIP 6,2 6,7 6,7 6,6

1 Preisbereinigt. Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent.

2 Inlandskonzept.

3 Arbeitslose in Prozent der zivilen Erwerbspersonen (Definition gemäß der Bundesagentur für Arbeit).

4 Veränderung gegenüber dem Vorjahr.

5 Im Inland entstandene Arbeitnehmerentgelte je Arbeitnehmerstunde bezogen auf das reale Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde.

6 In Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (ESVG).

Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2024.

Quellen: Statistisches Bundesamt; DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

Die Investitionen werden im laufenden Quartal wohl noch einmal negativ zur Wirtschaftsleistung beitragen. Die Ausrüstungsinvestitionen leiden weiterhin unter der schwachen Industrieproduktion und der mangelnden Nachfrage; der Auftragsbestand schmilzt zunehmend ab, die Neuaufträge schwächeln. Beim Bau bleiben das trotz der eingeleiteten Zinswende weiterhin hohe Zinsniveau sowie die hohen und weiter steigenden Baupreise die zentralen Hemmnisse und dürften auch in der zweiten Jahreshälfte vor allem den Wohnungsbau ausbremsen. Zwar nahmen die Neukreditvolumina für Wohnbaukredite zuletzt wieder etwas zu, dies schlägt sich jedoch noch nicht in den Genehmigungs- und Auftragszahlen nieder. Die Kapazitätsauslastung der Unternehmen im Hochbau sank zuletzt auf den niedrigsten Stand seit 2010. Dagegen dürfte der Tiefbau die Bauinvestitionen weiter stabilisieren.

Die Nachfrage nach deutschen Vorleistungs- und Kapitalgütern aus dem Ausland dürfte auch im laufenden Quartal noch schwächeln. Die ifo-Exporterwartungen sind im August bereits zum dritten Mal in Folge gesunken. Somit ist für das dritte Quartal mit einem erneuten Rückgang der Warenexporte zu rechnen. Die Dienstleistungsausfuhren, die nur einen Anteil von gut 20 Prozent am deutschen Außenhandel ausmachen, dürften mit der steigenden Bedeutung der in- sowie ausländischen Dienstleistungssektoren dagegen weiter ausgeweitet werden. Besonders der IT-Bereich und der Reiseverkehr tragen diese Entwicklung. Für einen Zuwachs der Exporte insgesamt dürfte dies jedoch nicht ausreichen. Angesichts der schwachen Ausfuhren und der lahmenden Industrieproduktion werden sich auch die Einfuhren wohl weiter verhalten entwickeln, wobei im aktuellen welt- und binnenwirtschaftlichen Umfeld ebenfalls eine Dynamik sinkender Waren- und zunehmender Dienstleistungsimporte erwartet wird. So ergibt sich für das dritte Quartal ein negativer Außenbeitrag.

Die zweigeteilte Entwicklung zwischen Industrie und Dienstleistungen dürfte sich auch entstehungsseitig im dritten Quartal fortsetzen. Zwar hat sich die Stimmung gemäß Einkaufsmanagerindizes für Deutschland in beiden Bereichen zuletzt etwas eingetrübt, in den Dienstleistungssektoren bleibt sie jedoch robuster und, gestützt von einer steigenden Nachfrage, oberhalb der Expansionsschwelle von 50 Punkten. In der Industrie liegt der Index dagegen fortwährend unter der Expansionsschwelle. Auch das Geschäftsklima der Industrieunternehmen ging laut ifo-Konjunkturumfrage im August bereits zum dritten Mal in Folge zurück, wobei die Befragten sowohl die aktuelle Lage als auch die zukünftigen Geschäfte kritischer bewerten. Der Auftragsmangel wird zunehmend zum Problem und hemmt die Produktion wohl auch im laufenden Quartal.

Langsame Erholung im weiteren Verlauf

Im weiteren Prognoseverlauf dürfte sich die deutsche Wirtschaft erholen, allerdings verhaltener, als es die Indikatoren noch im Sommer anzeigten. Binnenwirtschaftlich dürfte zunächst vor allem die positive Reallohnentwicklung wirksam werden, die wohl von niedrigen Inflationsraten gestützt wird und sich im Prognosezeitraum fortsetzen dürfte. Zwar hat sich die Verhandlungsposition der Beschäftigten etwas abgeschwächt, da der Arbeitsknappheitsindex am aktuellen Rand etwas zurückgegangen ist; dennoch werden die zum Jahresende anstehenden Tarifverhandlungen, unter anderem im öffentlichen Dienst sowie der Metall- und Elektroindustrie, voraussichtlich weitere kräftige Nominallohnzuwächse nach sich ziehen. Die Arbeitslosenzahlen dürften zu Beginn des Jahres 2025 ihren Höchststand erreichen und im Zuge der wirtschaftlichen Erholung sowie voranschreitender Integration, insbesondere ukrainischer Geflüchteter, wieder zurückgehen. Diese Entwicklungen begünstigen den privaten Konsum, der die Wirtschaftsleistung zum Jahreswechsel stützen dürfte. Der Staatskonsum wird wohl durchgehend positiv zum BIP beitragen. Ausgaben für eine moderate Erhöhung der Beschäftigung im öffentlichen Bereich dürften dabei im laufenden und kommenden Jahr stützen, während soziale Sachleistungen insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Pflege wohl im gesamten Prognoseverlauf ausgeweitet werden.

Der deutsche Außenhandel dürfte erst im kommenden Jahr wieder merklich zulegen. Gestützt von weltweit sinkenden Zinsen und einer allmählich anziehenden Investitionstätigkeit im Ausland wird die Nachfrage nach deutschen Industriegütern wohl wieder stärker zunehmen. Allerdings dürften die deutschen Warenexporte auch aufgrund der starken Konkurrenz aus China nicht so dynamisch ausgeweitet werden wie in der Vergangenheit. In der Folge dürfte der Dienstleistungsanteil an den Gesamtausfuhren über den Prognosehorizont weiter steigen. Von der Erholung des Exportgeschäfts und einer Verbesserung der deutschen Industrieproduktion werden wohl auch die Wareneinfuhren profitieren und anziehen. Weil die deutschen Exporte von Industrie- und Kapitalgütern eher schwächer ausfallen dürften, werden die Warenimporte die -exporte relativ gesehen wohl übersteigen. Insgesamt ergibt sich für die kommenden Jahre jeweils ein leicht negativer Außenbeitrag für die deutsche Wirtschaftsleistung (Tabelle 4).

Tabelle 4: Beiträge zur Veränderung des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland

In Prozentpunkten (preisbereinigt)

Veränderungsbeiträge1
2023 2024 2025 2026
Konsumausgaben −0,2 0,7 0,9 0,8
Private Haushalte −0,2 0,2 0,5 0,6
Staat 0,0 0,5 0,4 0,2
Bruttoanlageinvestitionen −0,3 −0,6 0,2 0,7
Bauten −0,4 −0,4 0,0 0,3
Ausrüstungen −0,1 −0,4 0,0 0,3
Sonstige Anlagen 0,2 0,1 0,1 0,1
Vorratsveränderungen 0,1 −0,4 0,0 0,0
Inländische Verwendung −0,4 −0,4 1,1 1,5
Außenbeitrag 0,1 0,4 −0,3 −0,1
Exporte −0,1 0,0 0,6 1,2
Importe 0,3 0,4 −0,9 −1,3
Bruttoinlandsprodukt2 −0,3 0,0 0,9 1,4

1 Verwendungsaggregate abzüglich ihres Importgehalts.

2 Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent; Abweichungen in den Summen durch Runden der Zahlen.

Anmerkung: Prognose ab dem Jahr 2024.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute; DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

Eine anziehende Auslandsnachfrage dürfte ab der zweiten Jahreshälfte des kommenden Jahres auch die privaten Ausrüstungsinvestitionen wieder etwas anschieben. Die Unternehmen werden dann wohl wieder vermehrt in ihre Produktionskapazitäten investieren, um die Nachfrage zu bedienen. Dabei ist im Prognoseverlauf jedoch nicht mit deutlichen Nachholeffekten zu rechnen, da die Industrie sich erst langsam wieder beleben dürfte. Gestützt werden die Ausrüstungsinvestitionen weiterhin durch die öffentliche Hand – hier kommt in den kommenden Jahren insbesondere das Sondervermögen Bundeswehr zum Tragen, das zu deutlichen Ausweitungen der öffentlichen Ausgaben führen dürfte. Auch die Bauinvestitionen werden wohl erst in der zweiten Jahreshälfte 2025 wieder etwas in Schwung kommen, wenn sich die Baukosten allmählich stabilisieren. Dies ist besonders für den Wohnungsbau entscheidend, der wohl erst im Jahr 2026 wieder zulegen wird. Dagegen dürften die Investitionen in Nichtwohnbauten kontinuierlicher ausgeweitet werden, wobei wohl weiterhin insbesondere der Tiefbau die positive Entwicklung bestimmen wird.

Trotz der sinkenden Zinsen bleibt die Geldpolitik zunächst restriktiv und dürfte annahmegemäß erst Mitte des kommenden Jahres in den Bereich des neutralen Zinsniveaus kommen.infoDer neutrale Zins kann nicht beobachtet, sondern nur geschätzt werden. Entsprechenden Schätzungen der Europäischen Zentralbank zufolge liegt der nominale neutrale Zins zwischen 1,25 und 2,7 Prozent, wenn man einen zweiprozentigen Inflationsaufschlag auf die Schätzungen des realen natürlichen Zinses vorsieht. Vgl. Claus Brand, Noëmie Lisack und Falk Mazelis (2024): Estimates of the natural interest rate for the euro area: an update. ECB Economic Bulletin Nr. 1, 66–69. Die Finanzpolitik ist im Prognosezeitraum zunächst deutlich restriktiv ausgerichtet; erst im Jahr 2026 werden sich expansive und restriktive Maßnahmen wieder die Waage halten. Auf das BIP dürfte die Finanzpolitik in den Jahren 2025 und 2026 allerdings negativ wirken, wobei vor allem Haushalte mit geringen Einkommen belastet werden (Kasten 2). Im laufenden Jahr ist dies vor allem im Wegfall von Maßnahmen begründet, die im Rahmen der Energiekrise ins Leben gerufen wurden, sowie durch Konsolidierungsmaßnahmen wie Kürzungen beim Klima- und Transformationsfonds. Expansive Impulse aus dem Wachstumschancengesetz sowie den Anpassungen des Einkommensteuertarifs fallen dagegen geringer aus (Kasten 3). Auch im kommenden Jahr werden restriktive Maßnahmen wie der Wegfall der abgabenfreien Inflationsausgleichsprämie sowie weitere Konsolidierungsmaßnahmen (etwa beim Agrardiesel und der Unterstützung der Ukraine) die expansiven Impulse aus dem Wachstumschancengesetz, dem Ausgleich der kalten Progression und dem Sondervermögen für die Bundeswehr übersteigen. Im Jahr 2026 dürften die restriktiven fiskalischen Maßnahmen (Erhöhung der Erlöse aus dem Emissionshandel, Anhebung der Sozialbeiträge) in etwa den expansiven finanzpolitischen Effekten beispielsweise durch weitere Einkommensteuersenkungen und der Verlängerung degressiver Abschreibungsregeln entsprechen. Von den 49 Maßnahmen aus der jüngst angekündigten „Wachstumsinitiative der Bundesregierung“ ist nur das Steuerfortentwicklungsgesetz in dieser Prognose enthalten, für das bereits ein Kabinettsbeschluss vorliegt. Da damit zu rechnen ist, dass die Maßnahmen nur allmählich in den kommenden beiden Jahren implementiert werden, dürfte der Wachstumseffekt zwar positiv, aber eher gering ausfallen.infoVgl. VFA – Die forschenden Pharmaunternehmen (2024): Impulse der Wachstumsinitiative: Welche Wirkungen dadurch möglich sind. MacroScope Pharma Nr. 8 (online verfügbar); sowie Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024): Wachstumsinitiative der Bundesregierung. Schlaglichter der Wirtschaftspolitik. Monatsbericht Nr. 8 (online verfügbar). Insgesamt werden die Fehlbeträge im gesamtstaatlichen Haushalt somit über den Prognosezeitraum wohl zurückgehen, von 2,6 Prozent in Relation zur Wirtschaftsleistung in diesem Jahr auf 2,3 Prozent im kommenden und 1,7 Prozent im Jahr 2026 (Abbildung 6).

Die finanzpolitischen Maßnahmen werden im laufenden und im kommenden Jahr in Summe restriktiv sein und um voraussichtlich 0,7 und 0,4 Prozent des BIP gegenüber dem Vorjahr schrumpfen. Im Jahr 2026 wird die Fiskalpolitik dann neutral ausgerichtet sein. Im Einklang mit den finanzpolitischen Annahmen sind die Maßnahmen der „Wachstumsinitiative der Bundesregierung“ im Folgenden größtenteils nicht berücksichtigt.

Der Großteil der fiskalischen Maßnahmen betrifft private Haushalte. Um die Impulse für den privaten Konsum und das BIP unter Berücksichtigung ihrer Verteilungswirkungen abzuschätzen, kommt ein DSGE-Modell mit zwei verschiedenen Haushaltstypen zum Einsatz (TANK-Modell). Dazu wird zunächst unterschieden, in welchem Umfang die Maßnahmen die einkommensschwächsten 40 Prozent der Haushalte betreffen und wie die übrigen Haushalte profitieren oder belastet werden.

Die einkommensschwächsten 40 Prozent beziehen ungefähr 20 Prozent des verfügbaren Einkommens und haben eine Sparquote von null, weshalb sie als liquiditätsbeschränkte (LC) Haushalte bezeichnet werden. Zusätzlich zu den privaten Haushalten gibt es noch die Maßnahmen, die auf Unternehmen oder den Staat wirken. Gemäß ihrer Wirkung auf die beiden Haushaltstypen und die weiteren Agierenden werden die finanzpolitischen Maßnahmen in sechs Kategorien eingeteilt:

  1. Maßnahmen, die nur LC-Haushalte betreffen
  2. Maßnahmen, die alle Haushalte pro Kopf betreffen
  3. Maßnahmen, die alle Haushalte proportional zu ihrem Einkommen betreffen
  4. Maßnahmen, die nur die einkommensstarken Haushalte betreffen
  5. Maßnahmen, die Unternehmen betreffen (unterschieden in Wirkung auf Gewinne und Subventionen)
  6. Maßnahmen, die den Staat betreffen

Aufgrund des unterschiedlichen Konsumverhaltens der beiden Haushaltstypen wird der Konsumeffekt insbesondere für einkommensschwache Haushalte am höchsten sein und über die weiteren drei Kategorien abnehmen. Zu den Maßnahmen, die vornehmlich die einkommensschwachen Haushalte entlasten, zählen die Bürgergeldreform und die Wohngeldreform im laufenden Jahr sowie die Kindergrundsicherung im kommenden Jahr. Zudem dürfte die Änderung der Grundrente ab diesem Jahr Einkommensschwache Haushalte stützen. Einkommensstarke Haushalte dürften vor allem im Jahr 2024, aber auch noch in den kommenden beiden Jahren von dem Inflationsausgleichsgesetz und insbesondere von den entsprechenden Einkommensteuertarifanpassungen profitieren.

Zu den Maßnahmen, die beide Haushaltstypen pro Kopf belasten, gehört vor allem die auslaufende Abgabenfreiheit der Inflationsausgleichsprämie, aber auch die auslaufenden Strom- und Gaspreisbremsen. Zusätzliche Belastungen proportional zu den Einkommen der privaten Haushalte ergeben sich aus Erhöhungen der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung. Haushalte mit höheren Einkommen werden durch das Auslaufen der Kaufprämie für Elektroautos und des vierten Corona-Steuerhilfegesetzes, aber auch durch Kürzungen beim Elterngeld für Spitzenverdienende belastet. Für Unternehmen fallen im laufenden und im kommenden Jahr vor allem Umsatzsteuersenkungen verschiedener Art und die Gas- und Strompreisbremsen weg.

Insgesamt werden die fiskalpolitischen Maßnahmen das Einkommen der privaten Haushalte in Relation zum BIP um 0,04 Prozent im Jahr 2024 sowie in den Jahren 2025 und 2026 um jeweils 0,01 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2022 mindern (Tabelle). Die Maßnahmen dämpfen den privaten Konsum im laufenden Jahr um 0,3 und in den beiden kommenden Jahren um jeweils 0,4 Prozent, was vor allem auf den Konsumrückgang bei den einkommensschwachen Haushalten zurückzuführen ist. Die Investitionen werden in diesem Jahr um 0,4 und im nächsten beziehungsweise übernächsten Jahr um 0,5 und 0,6 Prozent gemindert, da insbesondere Unternehmen ihre Investitionstätigkeit reduzieren. Insgesamt belasten die restriktiven finanzpolitischen Impulse das BIP in den Jahren 2025 und 2026 um 0,06 und 0,05 Prozent.

Tabelle: Impulse der finanzpolitischen Maßnahmen

In Prozent des Bruttoinlandsprodukts

2024 2025 2026
Einkommensschwache Haushalte 0,03 0,08 0,08
Einkommensstarke Haushalte 0,32 0,48 0,60
Pro Kopf −0,22 −0,45 −0,45
Proportional −0,65 −0,82 −0,95
Unternehmen −0,41 −0,59 −0,60
Staat 0,18 0,08 0,14
Insgesamt −0,75 −1,22 −1,18

Quelle: DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

Expansiven finanzpolitischen Maßnahmen, die im Rahmen der Energiekrise aufgesetzt worden waren und nun auslaufen, folgen wesentlich weniger umfangreiche neue Programme. Damit ergibt sich im laufenden Jahr ein beträchtlicher negativer fiskalischer Impuls (Tabelle).

Tabelle: Finanzpolitische Maßnahmen: Be- (−) und Entlastungen (+) des gesamtstaatlichen Haushalts

In Milliarden Euro (gegenüber dem Vorjahr)

2024 2025 2026
Einnahmen der Gebietskörperschaften
Jahressteuergesetz 2022 0,2 1,0 −1,1
Inflationsausgleichsgesetz (Anpassung Einkommensteuertarif) −14,6 −2,8 −1,0
Fortführung Ausgleich kalte Progression 0,0 −5,4 −2,8
Anhebung Freigrenze SolZ 0,0 −0,4 −0,3
Abgabenfreiheit Inflationsausgleichsprämie 2,5 5,1 0,0
Wegfall der Begünstigung von Agrardiesel 0,0 0,2 0,1
Erhöhung Luftverkehrsteuer 0,4 0,2 0,0
Absenkung der Stromsteuer −3,3 0,0 3,3
Umsatzsteuersenkung auf Gas 4,5 1,0 0,0
Umsatzsteuersenkung in der Gastronomie 2,9 0,5 0,0
Erlöse Brennstoffemissionshandel (BEHG) 4,3 2,9 2,1
Wegfall Spitzenausgleich Stromsteuer 1,7 0,0 0,0
Degressive AfA (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) 3,8 1,8 0,0
Viertes Corona-Steuerhilfegesetz (Verlängerung degressive AfA, Home-Office-Pauschale etc.) −1,2 2,1 3,1
Reform Sammelabschreibungen, Verlängerung degressive AfA 0,0 −0,3 −4,0
Anhebung LKW-Maut 7,5 0,0 0,0
Wachstumschancengesetz −0,7 −0,9 0,7
Anhebung der Tabaksteuer 0,0 0,9 0,8
Zukunftsfinanzierungsgesetz −0,6 −0,3 −0,1
Sonstige steuerliche Maßnahmen 0,3 0,0 −0,2
Einnahmen der Sozialversicherungen
Erhöhung durchschnittlicher Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung 2,6 0,0 2,0
Erhöhung Beitragssatz in der gesetzlichen Pflegeversicherung 3,5 2,1 0,0
Abgabenfreiheit Inflationsausgleichsprämie 3,5 7,1 0,0
Ausgaben der Gebietskörperschaften
Strom- und Gaspreisbremsen, Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte 29,3 1,3 0,0
Hilfen für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen (Energiekrise) 6,0 0,0 0,0
Einmalzahlungen an Rentner*innen und Studierende 0,8 0,0 0,0
Zuschuss für Unternehmen mit hohen Zusatzkosten aufgrund gestiegener Erdgas- und Strompreise 2,0 0,0 0,0
Entlastung von der EEG-Umlage −3,9 2,1 0,0
Sonstige Ausgaben des KTF −6,0 3,5 1,0
Einführung Bürgergeld −0,4 0,0 0,0
Kürzungen beim Bürgergeld 0,3 0,1 0,0
Erhöhung Kindergeld 1,5 −0,7 −0,7
Kindergrundsicherung 0,0 −2,0 0,0
Wohngeldreform −0,9 0,0 0,0
Zusätzliche finanzielle Unterstützung für sozialen Wohnungsbau −0,7 −0,4 −0,2
49-Euro-Ticket −0,6 0,0 0,0
Kürzungen beim Elterngeld für Spitzenverdienende 0,2 0,3 0,1
Startchancenprogramm für Schulen −0,4 −0,5 −0,3
Mehrausgaben für Verteidigung −14,0 −2,2 −4,0
Unterstützungsleistungen Ukraine −2,9 3,5 0,0
Konsolidierungsmaßnahmen des Bundes 1,9 2,3 0,0
Ausgaben der Sozialversicherungen
Anpassung der Renten Ost −0,5 0,0 0,0
Grundrente −0,1 −0,1 −0,2
Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz 1,0 −3,0 −0,2
Insgesamt 30,0 19,0 −1,8
In Relation zum Bruttoinlandsprodukt in Prozent 0,7 0,4 0,0
Nominales Bruttoinlandsprodukt 4319,2 4439,7 4586,4

Anmerkung: Ohne makroökonomische Rückwirkungen. Sonstige steuerliche Maßnahmen beinhalten das Jahressteuergesetz 2020, das Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, die Anhebung der Kinderfreibeträge in den Jahren 2025 und 2026 sowie die Ausweitung Forschungszulage. Nicht berücksichtigte Maßnahmen sind das Aus- und Weiterbildungsgesetz, auslaufende Corona-Maßnahmen (Unternehmenshilfen) sowie das 29. BaföG-Änderungsgesetz.

Quellen: Bundesregierung (Haushaltsplan, Gesetzesentwürfe, Monatsberichte des Bundesfinanzministeriums, Finanzberichte der Jahre 2021 bis 2024, Datensammlung zur Steuerpolitik); DIW-Konjunkturprognose Herbst 2024.

Am deutlichsten schlägt hier das Auslaufen der Strom- und Gaspreisbremsen sowie das Ende von Hilfen für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen im Rahmen der Energiekrise zu Buche. Dem stehen auf der Ausgabenseite Mehrausgaben des Klima- und Transformationsfonds (Förderung der Energieeffizienz im Gebäudebereich, Zuschüsse zur Errichtung von Tank- und Ladeinfrastruktur sowie Abschaffung der EEG-Umlage für die Verbraucher*innen) sowie Ausgaben des Sondervermögens für die Bundeswehr und Unterstützungsleistungen für die Ukraine entgegen. Diese sind für sich genommen gewichtig, fallen quantitativ aber geringer aus als die Ausgabenkürzungen.

Auf der Einnahmenseite des Staates führen die Anhebung des CO2-Preises und der Lkw-Maut sowie die Erhöhung der Luftverkehrsteuer zu höheren Einkünften der Gebietskörperschaften. Auch von der Einnahmenseite der Sozialversicherungen gehen restriktive Impulse aus. So wirkt die Erhöhung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Pflegeversicherung zum 1. Juli 2023 im laufenden Jahr noch nach. Zudem wird angenommen, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihren Zusatzbeitrag im Vergleich zum Vorjahr im Durchschnitt nochmals leicht anheben werden. Da annahmegemäß ein geringerer Teil der Lohnanstiege im laufenden Jahr auf die abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie entfällt als noch im vorigen Jahr, ergibt sich dadurch ebenfalls ein restriktiver Impuls auf die Arbeitseinkommen der Haushalte. Insgesamt dürfte die Finanzpolitik mit einem Impuls von 0,7 Prozent in Relation zum BIP im laufenden Jahr somit bremsend auf das wirtschaftliche Geschehen wirken.

Auch im kommenden Jahr sind die finanzpolitischen Maßnahmen in Summe restriktiv, da auf der Einnahmenseite Steuer- und Abgabenerhöhungen überwiegen und auf der Ausgabenseite Kürzungen stärker zu Buche schlagen als Ausgabenausweitungen. Insgesamt dürfte sich die Budgetwirkung der finanzpolitischen Maßnahmen im Jahr 2025 gemessen an der Wirtschaftsleistung auf 0,4 Prozent belaufen.

So führen das Auslaufen der Inflationsausgleichsprämie und eine weitere Anhebung des CO2-Preises wie auch etwaige Erhöhungen der Beitragssätze der Sozialversicherung einnahmeseitig zu höheren Mehreinkünften, als Anpassungen des Einkommensteuertarifs im Rahmen des Ausgleichs der kalten Progression und Steuervergünstigungen des Wachstumschancengesetzes die Staatseinnahmen mindern. Ausgabeseitig dürften die Einführung der Kindergrundsicherung, eine weitere Erhöhung des Kindergeldes, die Maßnahmen des Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetzes und weitere Mehrausgaben für Verteidigung für stimulierende Impulse sorgen. Hingegen führen Kürzungen von Unterstützungsleistungen an die Ukraine sowie beim Klima- und Transformationsfonds (KTF) dazu, dass die Ausgaben insgesamt im Vergleich zum laufenden Jahr weniger hoch sind und somit ein restriktiver fiskalischer Impuls von ihnen ausgeht.

Im Jahr 2026 halten sich die finanzpolitischen Maßnahmen die Waage, sodass der Effekt in Relation zum BIP bei null liegen dürfte. Auf der Einnahmenseite führen vor allem Anpassungen im Einkommensteuertarif, wie der erneute Ausgleich der kalten Progression, zu Mindereinnahmen des Staates, die im Gegenzug die Einkommen der privaten Haushalte steigern und somit expansiv wirken. Ebenso trägt die Reform der Sammelabschreibungen und die Verlängerung der degressiven Abschreibungen für Anlagen (AfA) zum expansiven Charakter der Einnahmenseite bei. Auf der anderen Seite dürften Sozialversicherungsbeiträge weiter angehoben werden und Erlöse des Brennstoffemissionshandels die Einnahmen des gesamtstaatlichen Haushalts weiter stützen. Auf der Ausgabenseite schlagen insbesondere Investitionen im Rahmen des Sondervermögens für die Bundeswehr zu Buche – gedämpft wird dieser Stimulus allerdings durch weitere Konsolidierungsmaßnahmen im KTF.

Alles in allem dürfte das preisbereinigte BIP im laufenden Jahr stagnieren. In den kommenden beiden Jahren dürfte die Wirtschaftsleistung dann um 0,9 beziehungsweise 1,4 Prozent ausgeweitet werden. Damit senkt das DIW Berlin seine Prognose für das Jahr 2024 im Vergleich zum Sommer um 0,3 Prozentpunkte und für das Jahr 2025 um 0,4 Prozentpunkte. Ausschlaggebend für die Herabsetzung der Prognose sind dabei sowohl die Revision der abgerechneten Daten als auch die über den Sommer deutlich abgeschwächten Indikatoren für die Binnen- und die Weltwirtschaft.

Durch die anhaltende Investitionsschwäche und das abnehmende Erwerbspersonenpotenzial entwickelt sich das potenzielle BIP bis Ende 2029 wohl weiter schwach. Bedingt durch die demografische Alterung dürfte vor allem das Arbeitsvolumen sinken. Angesichts der Stagnation im laufenden Jahr wird sich die Produktionslücke voraussichtlich weiter öffnen und im Jahresdurchschnitt −1,9 Prozent des potenziellen BIP betragen. Mit der Erholung in den kommenden Jahren dürfte die Produktionslücke dann zum Ende der kurzen Frist auf −0,6 Prozent schrumpfen und sich im Jahr 2029 schließen.

Die Verbraucherpreisinflation wird im Jahresdurchschnitt 2024 wohl bei 2,2 Prozent liegen. In den Jahren 2025 und 2026 dürfte sie sich dann beim Inflationsziel der EZB von zwei Prozent einpegeln. Damit fällt die Inflationserwartung für das laufende Jahr im Vergleich zum Sommer leicht niedriger aus, während sie für das kommende Jahr unverändert bleibt. Die Kernrate, also die Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel, dürfte in diesem Jahr angesichts anhaltend stärkerer Preisanstiege für Dienstleistungen im Durchschnitt drei Prozent betragen, über den Prognoseverlauf aber ebenfalls die Zwei-Prozent-Marke erreichen.

Zusätzlich zu den globalen Risiken, die den Ausblick für die deutsche Wirtschaft mit Unsicherheit behaften, gibt es auch inländische Risikofaktoren. Dazu zählt allen voran die politische Unsicherheit, die laut Economic-Policy-Uncertainty-Index aktuell nahe ihrem Höchststand liegt. Zwar hat sich die Bundesregierung zuletzt auf einen Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 einigen können, weiterhin besteht jedoch die Sorge einer gewissen Handlungsunfähigkeit der Koalitionsparteien, die in vielen Belangen unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen. Dies sorgt für eine unklare Ausgestaltung der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen, die die Binnenwirtschaft merklicher belasten könnte als in dieser Prognose unterstellt.

Ein zusätzlicher Risikofaktor, insbesondere für die ostdeutsche Wirtschaft, besteht in den jüngsten Ergebnissen der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen und dem dortigen Erstarken populistischer Kräfte. Dies könnte den Fachkräftemangel verschärfen und die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts insgesamt verringern.

Auch bei der im kommenden Jahr anstehenden Bundestagswahl könnte das Abschneiden rechts- und linkspopulistischer Parteien eine große Rolle spielen und die Unsicherheit mit Blick auf die folgende Regierungsbildung erhöhen.

Angelina Hackmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Makroökonomie

Nina Maria Brehl

Doktorandin in der Abteilung Makroökonomie

Ruben Staffa

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

Teresa Schildmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Makroökonomie

Marie Rullière

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Makroökonomie

Jan-Christopher Scherer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

Frederik Kurcz

Doktorand in der Abteilung Makroökonomie

Pia Hüttl

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Makroökonomie

Laura Pagenhardt

Doktorandin in der Abteilung Makroökonomie

Geraldine Dany-Knedlik

Leitung Prognose und Konjunkturpolitik in der Abteilung Makroökonomie

Konstantin A. Kholodilin

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

Hella Engerer

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

Themen: Konjunktur



JEL-Classification: E32;E66;F01
Keywords: Business cycle forecast, economic outlook
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-36-2

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