DIW Wochenbericht 37 / 2024, S. 588
Alexander S. Kritikos, Alexander Kriwoluzky
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Es kam, wie es kommen musste. Statt auf die Erfolge der populistischen Parteien AfD und BSW bei den Europawahlen im Juni zu reagieren, wurde das Ergebnis von der Regierungskoalition als Zeichen für ein kräftiges „Weiter so“ gewertet. Die Quittung gab es bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. AfD und BSW sind wieder die großen Wahlgewinner. Nach dem Wahlschock folgte der eigentliche Schrecken: die Reaktion der Ampelkoalition. Während die SPD ihre Politik den Wählenden noch besser erklären möchte, verharren die Grünen bei ökologischen Veränderungen beim „Weiter so wie bisher“. Die FDP plädiert hingegen dafür, „die Probleme zu lösen“. Welche Probleme und welche Lösungen gemeint sind, blieb offen.
Diese Haltung wird nicht helfen, die demokratische Mitte im Osten zu stärken – im Gegenteil. Denn den meisten Wählenden ist es offensichtlich egal, ob die AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Viele „sind wütend, dass nichts passiert, dass neben die (von ihnen nicht gewollten) Veränderungen einfach die Verwaltung des Verfalls und leere bloß symbolische Reden getreten seien“, schrieb kürzlich der Philosoph Michael Hampe. Wenn in den nächsten fünf Jahren in diesen Ländern kein Politikwechsel stattfindet, wird die AfD bei den folgenden Landtagswahlen zur ausschlaggebenden Partei werden.
Wie könnte eine geeignete Politik in diesen Regionen aussehen, um die Parteien der demokratischen Mitte zu stärken? Unsere Studie am DIW Berlin hat sich mit den regionalen Merkmalen auseinandergesetzt, in denen AfD und BSW besonders viel Zuspruch erfahren. Demnach sind sie in Regionen stark, die entweder durch Überalterung bei gleichzeitig niedrigem Anteil an Abiturient*innen oder durch ein niedriges durchschnittliches Haushaltskommen gekennzeichnet sind, also in Regionen mit geringen wirtschaftlichen Perspektiven.
Aus diesen Resultaten lassen sich Politikmaßnahmen ableiten. Mit individueller Sozialpolitik – Erhöhung von Mindestlohn und Bürgergeld – lässt sich auf strukturelle Herausforderungen jedenfalls nicht wirkungsvoll antworten. Die Politik muss vielmehr versuchen, die negativen Ausprägungen dieser Strukturmerkmale in den betroffenen Regionen zu reduzieren. Drei Politikvorschläge lassen sich daraus ableiten: Investitionen, Investitionen und Investitionen. Erstens: Investitionen in Schulen und Universitäten. Dazu gehört die materielle Ausstattung, aber auch die Ausbildung der Lehrenden. Gut ausgebildete Arbeitskräfte sind von jeher einer der bestimmenden Standortfaktoren. Gute Universitäten ziehen zudem junge Menschen an und helfen so, die negative demographische Entwicklung umzukehren. Zweitens: Investitionen in Wohnungen und öffentlichen Nahverkehr. Günstiger Wohnraum zusammen mit einer guten Anbindung ist ein wichtiger Faktor, wenn Menschen sich überlegen, wo sie hinziehen. Drittens: Investitionen in die lokale öffentliche Infrastruktur, zum Beispiel Polizeistationen, Krankenhäuser, Bürgerämter, Parks und Freibäder. Das Schaffen von öffentlichem Raum, der als sicher empfunden wird, schwächt die Faktoren, die mit den Wahlerfolgen der AfD zusammenhängen. Denn die öffentliche Infrastruktur wurde – trotz aller Transfers in den Osten – gerade in denjenigen Regionen abgebaut, die von starker Abwanderung geprägt sind. Genau diese Entscheidungen haben die Wut der dort gebliebenen Menschen befördert.
Werden diese Politikmaßnahmen von den Parteien der demokratischen Mitte angestoßen, wird sich das für sie auch an der Wahlurne auszahlen. Die Frage bleibt, wie diese Maßnahmen finanziert werden. Neben Steuererhöhungen steht die Forderung im Raum, konsumtive Ausgaben herunterzufahren. Ansonsten bleiben neue Schulden. Hierbei müssen sämtliche demokratischen Parteien Möglichkeiten schaffen, die Schuldenbremse für solche Investitionen auszusetzen. Wie schnell eine Zweidrittelmehrheit der demokratischen Parteien weg sein kann, haben wir gerade in Thüringen und Sachsen erlebt. Die gute Nachricht ist, dass Deutschland eines der am geringsten verschuldeten Länder ist. Im Zweifel müssen sich die Schuldenbremser vor Augen führen, dass eine populistische oder gar faschistische Regierung dem Land teurer zu stehen kommt.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 8. September 2024 online beim Tagesspiegel erschienen.
Themen: Regionalwirtschaft