DIW Wochenbericht 38 / 2024, S. 598
Hannes Ullrich, Erich Wittenberg
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Herr Ullrich, Sie haben untersucht, wie es zu Unterschieden in der Häufigkeit von Antibiotikaverschreibungen kommt. Warum verwenden Sie für diese Studie Daten aus Dänemark? Wir können in diesen Daten für die gesamte Bevölkerung Dänemarks sehen, wann welche und wie viele Antibiotika verschrieben wurden. In Deutschland sind diese Daten so nicht verfügbar. Über die Datenverfügbarkeit hinaus gibt es aber zwei weitere Gründe: Erstens hat Dänemark ein sehr homogenes, nationales Gesundheitssystem, das steuerfinanziert ist. Das heißt, es gibt im Grunde nur einen Versicherer mit gleichem Zugang für alle. Somit bietet das System die Möglichkeit, solche Untersuchungen relativ gut durchzuführen. Zum anderen gilt Dänemark im Bereich Antibiotikaverschreibungen als vorbildlich. Es gibt dort viele Politikmaßnahmen mit dem Ziel, Antibiotikaverschreibungen zu verbessern. Für Deutschland und andere Länder mit stärkeren Anreizen für Über- und Unterversorgung könnten die Ergebnisse daher noch stärker ausfallen.
Wie groß sind die von Ihnen festgestellten Unterschiede in der Verschreibungshäufigkeit von Antibiotika? Die Unterschiede sind aus unserer Sicht überraschend groß. Im Schnitt gibt eine Allgemeinarztpraxis in Dänemark pro Patient und pro Jahr knapp eine Verschreibung für Antibiotika aus. Wenn man von diesem Durchschnitt ausgeht, können die Unterschiede zwischen zwei verschiedenen Praxen bis zu 50 Prozent dieser Verschreibungshäufigkeit betragen. Wenn ich also in einer Arztpraxis im Schnitt ein Antibiotikum pro Jahr erwarten kann, könnte es passieren, dass ich beim Wechsel zu einer anderen Praxis bis zu eineinhalb Verschreibungen oder nur eine halbe Verschreibung im Jahr bekomme. Das sind deutliche Unterschiede.
Wie sind diese Unterschiede in der Verschreibungshäufigkeit zu erklären? Zunächst ist es eine schwierige Herausforderung, diese Unterschiede zu erklären, weil sie daher kommen können, dass manche Praxen Patienten haben, die einfach eine höhere Notwendigkeit haben, Antibiotika einzunehmen. Aber es könnte auch sein, dass verschiedene Ärzt*innen selbst bei denselben Patient*innen unterschiedliche Behandlungsentscheidungen treffen. Die Gründe für diese Unterschiede können in der Diagnosequalität, in der Abwägung zwischen dem Nutzen von Antibiotika für Patient*innen oder auch in Erfahrungs- oder Ausbildungsunterschieden der behandelnden Ärzt*innen liegen.
Was sagt die Verschreibungshäufigkeit einer Arztpraxis über die Behandlungsqualität aus? Wenn eine Arztpraxis mehr Antibiotika verschreibt, kann das durchaus an einem höheren medizinischen Bedarf liegen. Aber wir zeigen, dass die starken Unterschiede in den Verschreibungshäufigkeiten auf Ineffizienzen hinweisen. Wir sehen das daran, dass Arztpraxen, die höhere Verschreibungshäufigkeiten haben, im Ergebnis keine bessere Patientengesundheit aufweisen. Zum Beispiel werden Patienten in diesen Arztpraxen nicht weniger häufig mit im Primärbereich vermeidbaren Infekten in Krankenhäuser eingewiesen.
Wie ließe sich die Diagnose- und Verschreibungspraxis verbessern? Ein wichtiger Weg könnte im Ausbildungsbereich liegen. Das zeigt unsere Untersuchung in Dänemark. Bei Ärzt*innen, bei denen die Ausbildung nicht weit in der Vergangenheit liegt, scheint die Verschreibungsqualität besser zu sein. Die Qualität ließe sich auch über Weiterbildungsangebote verbessern. Aber vielleicht noch wichtiger wäre es, die Diagnosequalität zu verbessern. Dies ist insbesondere möglich durch Innovationen bei diagnostischen Technologien. Da gibt es schon Bewegung, unter anderem auch in Deutschland. Gleichzeitig könnte auch der Verwaltungsaufwand für das medizinische Personal reduziert werden, so dass dieses seine Zeit stärker seinen medizinischen Kernkompetenzen und Patient*innen widmen kann.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Gesundheit