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Historische Erbschaftsregeln: Gleichmäßige Verteilung von Land hat zu höherem Wachstum geführt

Pressemitteilung vom 25. September 2024

Noch heute wirken verschiedene erbrechtliche Regelungen nach – Im Gegensatz zu Regionen mit Anerbenrecht (eine Person erbt allein) ist in Gebieten mit Realteilung (alle Kinder erben zu gleichen Teilen) der Wohlstand heute höher und das Unternehmertum stärker ausgeprägt – Eine gleichmäßigere Vermögensverteilung beeinflusst die wirtschaftliche Entwicklung positiv

Landwirtschaftliche Nutzflächen wurden in Deutschland je nach Region entweder an ein Kind (Anerbenrecht) oder gleichmäßig (Realteilung) an die folgende Generation vererbt. Wie eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigt, wirken sich die unterschiedlichen Regelungen bis heute auf den Wohlstand, die unternehmerische Tätigkeit und die Produktivität aus. Die Analyse des von der Frühindustrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart reichende Datensatzes zeigt: Dort, wo Land gleichmäßig verteilt wurde, begünstigte dies langfristig Unternehmertum, Wachstum und Wohlstand einer Region. „In Gebieten mit Realteilung hatten alle Geschwister eigene finanzielle Mittel zum Experimentieren und zum Abfedern unternehmerischer Risiken. Deshalb gab es dort auch mehr Unternehmensgründungen“, sagt Studienautorin Charlotte Bartels, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) des DIW Berlin.

© DIW Berlin

Langfristig hat die Kombination aus Anreizen zu unternehmerischer Tätigkeit und Zugang zu finanziellen Ressourcen die Zahl der Unternehmer*innen erhöht und der Bevölkerung in den Gebieten mit Realteilung mehr Wohlstand gebracht. „Diese unternehmerische Tätigkeit bildete den Nährboden für den innovativen Mittelstand, der in vielen Branchen Weltmarktführer hervorgebracht hat. Das prägt bis heute die deutsche Unternehmenslandschaft“, schlussfolgert Studien-Co-Autor Simon Jäger, Professor am MIT.

Realteilungsgebiete heute wirtschaftlich stärker als Anerbenrechtsgebiete

In Deutschland liegt heutzutage die Einkommenslücke der Haushalte in historischen Realteilungsgebieten und solchen, die sich in historischen Anerbenrechtsgebieten befinden, bei etwa sechs Prozent. Der Unterschied der regionalen Wirtschaftskraft ist mit etwa 15 Prozent sogar noch höher.

„Grob gesprochen galt das Anerbenrecht, nachdem die/der Erstgeborene alles erbt, eher im Norden und Osten Deutschlands und die Gleichteilung, die traditionell Realteilung heißt, tendenziell eher im Südwesten. Aber es ist keinesfalls so, dass in ganz Baden-Württemberg oder ganz Hessen das gleiche Recht galt“ sagt Studienautorin Charlotte Bartels. Zentral für die Interpretation der Ergebnisse dieser Studie ist, dass die Regionen mit Realteilung nicht schon aus anderen Gründen bessere Ausgangsbedingungen für langfristig höheres Wirtschaftswachstum hatten, zum Beispiel durch besseren Zugang zu Bildung oder ertragreichere Böden. Um zu gewährleisten, dass die Regionen tatsächlich vergleichbar sind, werden zahlreiche historische Indikatoren auf Unterschiede zwischen Realteilungs- und Anerbenrechtsgebieten geprüft. Die Analyse zeigt keine Hinweise auf vorteilhaftere Ausgangsbedingungen für Realteilungsgebiete vor der industriellen Revolution in Bezug auf landwirtschaftliche Produktivität, allgemeine Bildung, städtische Bevölkerung, Bevölkerungsdichte, Fertilität oder Auswanderung in die Vereinigten Staaten.

Links

O-Ton von Charlotte Bartels
Gleichmäßigere Aufteilung von Land förderte den Wohlstand - Interview mit Charlotte Bartels
Charlotte Bartels

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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