DIW Wochenbericht 39 / 2024, S. 609
Charlotte Bartels, Erich Wittenberg
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Frau Bartels, in manchen Regionen Deutschlands wurde Land nur an die/den Erstgeborenen vererbt, in anderen Regionen gleichmäßig unter den Nachkommen aufgeteilt. Welche Daten haben Sie dazu erhoben und welche Fragestellung stand bei der Auswertung im Fokus? Wir haben sehr viele Daten über einen sehr langen Zeitraum erhoben. Uns hat interessiert, wie sich Regionen mit Gleichverteilung gegenüber Regionen, wo nur die/der Erstgeborene geerbt hat, langfristig entwickelt haben, weil unter Ökonomen immer noch die Frage im Raum steht, wie sich eigentlich Ungleichheit zu Wachstum verhält.
In welchen Regionen Deutschlands galt welches Recht? Grob gesprochen galt das Anerbenrecht, nachdem die/der Erstgeborene alles erbt, eher im Norden und Osten Deutschlands und die Gleichteilung, die traditionell Realteilung heißt, tendenziell eher im Südwesten. Aber es ist keinesfalls so, dass in ganz Baden-Württemberg oder ganz Hessen das gleiche Recht galt. Um das historisch nachzuzeichnen, haben wir eine Karte auf Dorfniveau erstellt, die zeigt, wo welche erbschaftlichen Regelungen und Bräuche praktiziert wurden.
Wie groß sind die Unterschiede in Wirtschaftskraft und Haushaltseinkommen zwischen diesen Gebieten heute? Durchschnittlich haben Haushalte, die heute in den Regionen wohnen, wo traditionell Realteilung praktiziert wurde, sieben Prozent mehr Einkommen. Aber das Bruttoinlandsprodukt, das in diesen Kreisen produziert wird, ist 15 Prozent höher. Das deutet darauf hin, dass tendenziell Menschen, die heute in Anerbenrechtsgebieten wohnen, in diese produktiveren Regionen hinein pendeln, weil heute dort mehr Firmen produzieren.
Sorgt also eine gleichmäßige Aufteilung von Land unter den Erben für mehr Wirtschaftswachstum? Diese Regelungen gelten weitestgehend seit dem Mittelalter und jahrhundertelang sind keine größeren Einkommensunterschiede zwischen diesen Regionen entstanden. Erst in der Industrialisierung hat man in den Regionen, wo es Realteilung gab, angefangen, auf dem Hof zusätzliche Produkte zu produzieren, wie zum Beispiel Seife oder optische Geräte. Das hat dazu geführt, dass einerseits aus nebenberuflichen Tätigkeiten dieser Bauern Unternehmen entstanden sind, aber auch dazu, dass sich Fabriken dort angesiedelt haben, wo schon dieses Humankapital vorhanden war.
Könnte es nicht sein, dass andere Faktoren für den größeren Erfolg in diesen Regionen verantwortlich sind? Das ist eine zentrale wissenschaftliche Frage, der wir uns natürlich ausführlich gewidmet haben. Deshalb haben wir auch so viele zusätzliche Daten, die noch vor der Industrialisierungszeit entstanden sind, zusammengetragen. Wir haben extra geprüft, ob die Böden substanziell unterschiedlich sind, ob sie in den Realteilungsgebieten ertragreicher waren, ob die Menschen dort besser gebildet waren, also ob irgendwelche anderen Faktoren darauf hindeuten könnten, dass diese Regionen bessere Ausgangsbedingungen hatten, und das können wir verneinen.
Hat die gleichmäßigere Verteilung von Grund und Boden in den Realteilungsgebieten zu einer insgesamt geringeren Ungleichheit geführt? Es ist jetzt über 100 Jahre her, dass Deutschland aus einem landwirtschaftlich geprägten Land in ein Industrieland übergegangen ist. Heutzutage finden wir eine höhere Konzentration von Einkommen und Vermögen in den ehemaligen Realteilungsgebieten, weil sich über die Zeit natürlich einige Unternehmen durchgesetzt haben, die dann vermutlich auch eher wieder an einen alleinigen Erben weitergegeben werden. Aber die Durchschnittseinkommen und mittleren Einkommen sind auch höher. Es geht also heute den Menschen in diesen Regionen im Mittel besser.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Unternehmen, Ungleichheit, Regionalwirtschaft, Konjunktur