Wettbewerbsfähigkeit, Telekommunikation und die Denkfehler des Mario Draghi: Kommentar

DIW Wochenbericht 42 / 2024, S. 664

Tomaso Duso, Martin Peitz

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Am 10. September hat der ehemalige EZB-Chef Mario Draghi seinen Bericht über die europäische Wettbewerbsfähigkeit vorgestellt. Als zentrale Hindernisse identifiziert er unzureichende Investitionen in Innovationen und die physische Infrastruktur wie Energie- und Telekommunikationsnetze. Seine radikalen Verbesserungsvorschläge zielen darauf ab, Europas Wettbewerbsnachteile gegenüber China und den USA umzukehren. Radikale Schritte mögen zwar nötig sein, aber die zur Telekommunikation sind fehlgeleitet und gefährlich. Ihre Umsetzung würde Europas Wettbewerbsfähigkeit dauerhaft schwächen.

Robuste Telekommunikationsnetze und erschwingliche Preise sind entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas, denn es handelt sich um eine Schlüsselinfrastruktur, die von allen Privatpersonen und Unternehmen genutzt wird. Dies wird im Draghi-Bericht zu Recht anerkannt. Bei Qualität und Abdeckung der Netze steht Europa aber gar nicht schlecht da und die Preise für Telekommunikationsdienste sind deutlich niedriger als in den USA. Allerdings gibt es innerhalb der EU große Unterschiede: Während Länder wie die Niederlande, Rumänien, Portugal und Spanien 2022 eine Netzabdeckung mit Hochkapazitätsnetzwerken von über 90 Prozent erreichen, liegt Deutschland mit etwa 70 Prozent unterhalb des EU-Durchschnitts, weil es beim Glasfaserausbau hinterherhinkt.

Draghi fordert, die Fusionskontrolle im Telekomsektor zu lockern. Er erwartet, dass größere Unternehmen mehr in die Netzinfrastruktur investieren. Doch Unternehmensgröße und Marktmacht werden hier vermischt. Grenzüberschreitende Fusionen können in der Tat Vorteile bringen. Allerdings braucht es dafür keine Überarbeitung der Fusionskontrolle, da die aktuell bestehenden Vorschriften solche Zusammenschlüsse nicht behindern. Hier wurde also eine Nebelkerze gezündet.

Das Problem ist also nicht die Unternehmensgröße, sondern die Marktmacht. Und die zeigt sich vor allem auf nationaler Ebene. Ähnlich wie zuvor der Letta-Bericht und im Gleichklang mit den Stimmen großer Telekommunikationsunternehmen, spricht sich Draghi de facto auch für nationale Fusionen aus. Empirische Untersuchungen zeigen aber, dass solche Fusionen im Telekomsektor zu höheren Preisen führen, ohne die Investitionen anzukurbeln. Sie sind somit ein schlechtes Rezept für mehr Wettbewerbsfähigkeit.

Um Fusionen zu erleichtern, schlägt Draghi vor, den Telekommunikationsmarkt EU-weit zu definieren. Tatsächlich sind diese Märkte jedoch national oder regional strukturiert, da die Nachfrageseite nur auf inländische Angebote vor Ort zugreifen kann. Zwar haben einige große Unternehmen expandiert und sind zu wichtigen Akteuren in mehreren Mitgliedstaaten geworden, doch ist der Zugang zu den nationalen Märkten begrenzt und national reguliert.

Eine EU-weite Marktdefinition würde mehr Unternehmen in den Markt einbeziehen und nationale Fusionen auf dem Papier unproblematisch erscheinen lassen. Dies würde Unternehmenszusammenschlüsse ermöglichen, die zu höheren Preisen und geringeren Investitionen führen, Haushalten und Unternehmen schaden und letztlich die Wettbewerbsposition Europas langfristig schwächen. Problematisch ist auch Draghis Vorschlag zur Änderung des Auktionsdesigns für Mobilfunklizenzen. Dies würde es einem Unternehmen erlauben, beliebig viele Frequenzen zu erwerben, solange dessen Marktanteil unter 50 Prozent liegt. Abgesehen von Umsetzungsproblemen halten wir eine solche Regelung für gefährlich, weil damit zwei Betreiber fast das gesamte angebotene Spektrum erwerben könnten. Dies sollte im Sinne Europas unbedingt vermieden werden.

Die Europäische Kommission könnte hingegen Initiativen zur Schaffung eines stärker integrierten Marktes fördern, insbesondere durch eine Harmonisierung der Frequenzvergabeverfahren. Dies würde den länderübergreifenden Wettbewerb erleichtern und Skaleneffekte schaffen. Also, Ja zu länderübergreifenden Effizienzgewinnen und Nein zur Vergrößerung von Marktmacht. Monopolisierung ist Gift für die Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Der Beitrag ist weitgehend identisch am 12. Oktober 2024 bei Capital erschienen.

Tomaso Duso

Abteilungsleiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte

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