Wirtschaftsnobelpreis: Wichtige Lehren auch für Deutschland: Kommentar

DIW Wochenbericht 43 / 2024, S. 676

Marcel Fratzscher

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Die Gewinner des Wirtschaftsnobelpreises 2024 heißen Daron Acemoğlu, Simon Johnson und James A. Robinson. Die Forschung der drei belegt, wie wichtig die Qualität von Institutionen – also ein starker Rechtsstaat, eine liberale Demokratie und eine hohe Effizienz der Bürokratie – für wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand ist. Menschen werden sich nicht erfolgreich als Unternehmer*innen und Innovator*innen betätigen können, wenn es keine klaren Eigentumsrechte gibt. Fairer Wettbewerb und die Auslese der besten Ideen sind unmöglich ohne verlässliche Spielregeln, die bindend für alle sind. Ohne Freiheit und die Garantie von Menschenrechten können Menschen ihre Talente und Potenziale nicht entwickeln und einbringen.

Deshalb ist die Demokratie so entscheidend für Wohlstand und Fortschritt. Heute sind fast alle Länder, die einen hohen materiellen und immateriellen Wohlstand wie Gesundheit, Zufriedenheit und sozialen Frieden haben, Demokratien. Das Scheitern von Institutionen führt zu Staatsversagen und hoher Ungleichheit zwischen Staaten und innerhalb von Gesellschaften – so eine der einflussreichsten ökonomischen Arbeiten mit dem Titel „Why Nations Fail“ von Daron Acemoğlu und James A. Robinson aus dem Jahr 2012. Denn dysfunktionale Institutionen und ein autokratisches Regime bedeuten, dass Macht und Ressourcen höchst ungleich verteilt sind und die Früchte des wirtschaftlichen Handelns nur einigen wenigen zugutekommen. Die Forschung der drei Nobelpreisträger enthält wichtige Lehren nicht nur für gescheiterte Staaten im Globalen Süden, sondern auch für westliche Demokratien wie Deutschland. In den letzten 20 Jahren ist die Demokratie global auf dem Rückzug, immer mehr Gesellschaften haben autokratische Regime und viele Demokratien erfahren eine Aushöhlung und Schwächung ihrer Institutionen. Dies galt und gälte nicht nur für die USA unter einem Präsidenten Donald Trump, sondern auch in europäischen Staaten wie Ungarn kommt dies vor.

Und hier sollte Deutschland sich seiner großen und vielleicht wichtigsten Stärke bewusst werden: Kaum eine Gesellschaft hat eine im internationalen Vergleich so robuste Demokratie, mit einem so starken Rechtsstaat und so exzellenten Institutionen. Aber uns muss klar sein, dass wir diese Stärke besser nutzen müssen und dass sie in Gefahr ist. Wir erleben zunehmend Angriffe auf unsere demokratischen Institutionen, nicht nur von rechtsextremen und antidemokratischen Kräften. Eine Beschneidung des Rechts auf Asyl, die Schwächung der vier Freizügigkeiten Europas, die zunehmenden sozialen Ungleichheiten und die Schwächung freier Medien sind allesamt ein Angriff auf unsere liberale Demokratie.

Manche widersprechen den Forschungsergebnissen der drei Nobelpreisträger mit Hinweis auf den großen Erfolg Chinas der letzten 30 Jahre. Durch harsche Kontrollen konnte China die Corona-Pandemie aus wirtschaftlicher Perspektive besser meistern. In manchen Technologiebereichen konnten chinesische Unternehmen westliche Firmen überholen. Chinas Regime und Wirtschaft reagieren flexibler und schneller auf Schocks und Transformationen und verschaffen sich deshalb Vorteile gegenüber westlichen Unternehmen. Die unzureichende Flexibilität und geringe Geschwindigkeit, um auf Krisen und Veränderungen zu reagieren, sind in der Tat zentrale Schwächen westlicher Demokratien.

Die Lösung liegt jedoch nicht in der Aushöhlung demokratischer Institutionen, sondern in deren Weiterentwicklung und Stärkung. Denn das Resultat der drei Forscher steht und bleibt: Demokratien sind resilienter und widerstandsfähiger und sie sind der einzige Weg, um langfristig einer großen Mehrheit der Gesellschaft Freiheit und Wohlstand zu ermöglichen. Die Wertschätzung des Individuums und von Vielfalt, die Verteidigung einer offenen Gesellschaft und der Schutz der Freiheit jedes Einzelnen sind essenziell für eine funktionierende Demokratie. Auch in Deutschland entfernen wir uns zur Zeit von diesem Ideal immer weiter. Verantwortliche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wären gut beraten, sich die Lehren der drei Wissenschaftler zu Herzen zu nehmen.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 18. Oktober 2024 in „Fratzschers Verteilungsfragen“ bei ZEIT Online erschienen.

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