DIW Wochenbericht 44 / 2024, S. 679-683
Pia Hüttl, Matthias Kaldorf
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„Wir stellen fest, dass die EZB die Finanzmarktintegration nur sehr limitiert fördern kann. Da ist die Politik gefragt. Man sollte zum Beispiel die Bankenunion endlich finalisieren. Das gilt auch für die europäische Einlagensicherung. Das würde die Finanzmarktintegration vorantreiben und grenzüberschreitende Kredite einfacher machen.“ Pia Hüttl
Können Zentralbanken einen wirksamen Beitrag zur Finanzmarktintegration leisten? Im Januar 2007 hat die Europäische Zentralbank (EZB) erstmals eine einheitliche Liste der Vermögenswerte, die Banken als Sicherheiten verpfänden können, eingeführt und dabei auch grenzüberschreitende Bankkredite aufgenommen. Dieser Wochenbericht untersucht, wie sich diese Änderung auf das Verhalten der Banken im Euroraum ausgewirkt hat. Die Analyse zeigt: Die betroffenen Banken haben ihre Kreditvergabe ausgeweitet und sind risikobereiter geworden, während die mit diesen Banken verbundenen Unternehmen einen Anstieg ihrer Gesamtverschuldung und ihrer Investitionen verzeichnen. Der Effekt auf die grenzüberschreitende Kreditvergabe ist positiv. Er beschränkt sich jedoch auf Kredite, die von mehreren Banken an ein Unternehmen bewilligt werden (Konsortialkredit), wovon eins meist ein inländisches ist. Somit hat der Sicherheitenrahmen nur beschränkt zur Finanzmarktintegration beigetragen. Die Ergebnisse legen nahe, dass stattdessen starke reale Hindernisse für die grenzüberschreitende Kreditvergabe, wie kulturelle und sprachliche Unterschiede und Unterschiede im Unternehmensinsolvenzrecht, bestehen.
Ein wichtiges politisches Ziel im Euroraum ist eine stärkere Integration der Finanzmärkte, um die gemeinsame Währungsunion resilienter gegen Krisen zu machen.Mario Draghi (2024): The future of European competitiveness: In-depth analysis and recommendations. Technical Report (online verfügbar, abgerufen am 8. Oktober 2024. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen, soweit nicht anders vermerkt). Seit der Einführung des Euros wächst der Interbankenmarkt, also die Kreditvergabe von Bank zu Bank innerhalb des Euroraums. Eine direkte, grenzüberschreitende Kreditvergabe von Banken an die Realwirtschaft hinkt jedoch weitgehend hinterher. Dies beeinträchtigt potenziell die Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen und damit das Wirtschaftswachstum.Dieser Wochenbericht stützt sich auf einen kürzlich erschienenen Aufsatz: Pia Hüttl und Matthias Kaldorf (2024): The transmission of bank liquidity shocks: Evidence from the Eurosystem collateral framework. Discussion Paper Deutsche Bundesbank. No. 04 (online verfügbar). Dieser Wochenbericht gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten der Deutschen Bundesbank oder des Eurosystems wider. Daher sind die europäischen Kapitalmärkte im Vergleich zur Größe des Euroraums unterentwickelt. Auch haben die globale Finanzkrise von 2008 und die europäische Schuldenkrise von 2011 gezeigt, wie anfällig der Euroraum für asymmetrische Schocks ist.
Da Unternehmen weiterhin stark von Banken abhängen, sollte eine Finanzmarktunion die Finanzierungsbedingungen der Unternehmen von der Gesundheit des lokalen Bankensektors entkoppeln und somit zur Risikoteilung innerhalb des Euroraums beitragen. In diesem Fall würden nationale Grenzen keine Rolle mehr spielen: Ein deutsches Unternehmen könnte nicht nur wie bisher bei deutschen, sondern auch französischen oder spanischen Banken für ähnliche Konditionen einen Kredit bekommen. Während Konsens darüber besteht, dass internationale Mechanismen zur Risikoteilung als makroökonomisch wünschenswert gelten, ist das Wissen über die mikroökonomischen Aspekte der Finanzmarktintegration begrenzt. Insbesondere ist unklar, welche Instrumente zu ihrer erfolgreichen Umsetzung beitragen können,ECB Committee on Financial Integration (2024): Financial Integration and Structure in the Euro Area. Technical Report (online verfügbar). und welche Rolle die Geldpolitik in diesem Zusammenhang spielen kann.Carlo Altavilla et al. (2024): A research program on monetary policy for Europe. Journal of Monetary Economics (im Erscheinen).
Die Sicherheitenpolitik einer Zentralbank befasst sich mit der Liste der Vermögenswerte, die Banken als Sicherheit hinterlegen können, um sich finanzielle Mittel von der Zentralbank zu beschaffen (Kasten). Bis 2006 bestimmten die jeweiligen nationalen Zentralbanken des Euroraums den Umfang der Sicherheitenlisten, also der zugelassenen Vermögenswerte. Im Januar 2007 hat die Europäische Zentralbank (EZB) diese nationalen Sicherheitenlisten durch eine einheitliche, für den gesamten Euroraum geltende Liste ersetzt. Diese im Juni 2005 angekündigte Änderung betraf eine Vielzahl an Vermögenswerten, auch Unternehmenskredite, wobei zum ersten Mal grenzüberschreitende Kredite berücksichtigt wurden. Die Erweiterung der zulässigen Sicherheiten erhöhte die Gesamtliquidität der Banken und kann als positiver Liquiditätsschock für den Bankensektor interpretiert werden. Außerdem liegt die Einführung des einheitlichen Sicherheitenrahmens deutlich vor der globalen Finanzkrise und der europäischen Schuldenkrise. Somit eignet sich dieser Schock sehr gut, um die Auswirkungen eines einheitlichen Sicherheitenrahmens auf die Finanzintegration im Euroraum, die Risikobereitschaft der Banken und den Unternehmenssektor zu analysieren.
Ein Sicherheitenrahmen der Zentralbank sorgt dafür, dass finanzielle Mittel, die von der Zentralbank an den Bankensektor gewährt werden, durch geeignete Vermögenswerte gedeckt sind. Eine Sicherheitenliste legt fest, welche Vermögenswerte Banken als Sicherheit bei der Zentralbank hinterlegen können. Da Zentralbanken im Gegensatz zu privaten Banken nicht mit Liquiditätsengpässen konfrontiert sind, können sie ein breiteres Spektrum an Sicherheiten akzeptieren, auch solche, die weniger liquide sind.
Ein gut strukturierter Sicherheitenrahmen ist entscheidend für die Stabilität des Finanzsystems, da er Banken ermöglicht, in Krisenzeiten auf Liquidität zurückzugreifen, ohne gleichzeitig die Zentralbank einem übermäßigen Risiko auszusetzen.
Der Sicherheitenrahmen der EZB ist im Vergleich zu anderen Zentralbanken besonders breit gefasst. Während zum Beispiel ein Großteil der Sicherheitenpolitik der US-amerikanischen Zentralbank Federal Reserve über hochliquide Staatsanleihen abgewickelt wird, bietet die EZB eine breite Palette von Vermögenswerten. Dadurch soll gewährleistet sein, dass – in Abwesenheit eines europäischen „safe assets“ – genügend Sicherheiten bei den unterschiedlichen Banken im Euroraum vorhanden sind.
Um die Effekte des Schocks zu testen, wurden zunächst die am stärksten betroffenen Banken identifiziert. Dafür wurden Daten auf Kreditebene aus dem Konsortialkreditmarkt verwendet. Diese wurden von WRDS-Thomson-Reuters LPC DealScan bezogen. Die Daten auf Kreditebene wurden mit Bank- und Firmenbilanzdaten aus S&P SNL Financials und S&P Compustat zusammengeführt. In diesem Markt werden Kredite hauptsächlich von einer federführenden Bank und mehreren teilnehmenden Banken an eine einzelne Firma vergeben. Diese Kredite sind die wichtigste Form der grenzüberschreitenden Kreditvergabe im Euroraum.Sebastian Doerr und Philip Schaz (2021): Geographic Diversification and Bank Lending During Crises. Journal of Financial Economics 140(3), 768–788. Um eine Bank als „betroffen“ einzustufen, wurde für jede Bank der Anteil der grenzüberschreitenden Kredite am Gesamtkreditvolumen berechnet, die sie vor der Ankündigung der einheitlichen Liste im Juni 2005 vergeben hatte. Liegt dieser Anteil über dem Median aller Banken, so hat sich die Liquidität dieser Bank durch die einheitlichen Sicherheiten stark verbessert und sie gilt damit als „betroffen“.
Ob sich das Kreditangebot betroffener Banken nach der Erweiterung des Sicherheitenrahmens von dem der nicht betroffenen Banken unterscheidet, wird mit einem Differenz-von-Differenzen-Ansatz getestet.Dabei werden umfassende Kontrollvariablen auf Kredit- und Bankenebene verwendet sowie ein umfangreicher Satz fixer Effekte, um für die Kreditnachfrage zu kontrollieren. Asim I. Khwaja und Atif Mian (2008): Tracing the Impact of Bank Liquidity Shocks: Evidence from an Emerging Market. American Economic Review 98(4), 1413–1442. Die Analyse zeigt, dass sich das Kreditangebot betroffener und nicht betroffener Banken vor der Einführung der einheitlichen Sicherheitenliste nicht signifikant unterscheidet. Danach steigt das Kreditangebot der betroffenen Banken im Vergleich zu dem der nicht betroffenen jedoch um etwa vierzehn Prozent (Abbildung 1). Genauer gesagt erhalten Unternehmen nach der Einführung der einheitlichen Sicherheitenliste höhere Kreditvolumina von den bereits vor der Einführung stark in grenzüberschreitenden Krediten engagierten Banken.
Die Analyse wird von zwei zusätzlichen Tests gestützt. Im ersten wird untersucht, ob internationale Banken, die in der EU, aber außerhalb des Euroraums tätig sind, ihr Kreditangebot ausweiten, wenn sich der Sicherheitenrahmen ändert. Im zweiten wird analysiert, ob Banken auch andere Arten von Krediten ausweiten, wie zum Beispiel revolvierende Kreditlinien.Bei einem revolvierenden Kredit hat der Kreditnehmer die Möglichkeit, innerhalb eines festgelegten Zeitraums mehrmals Geld zu erhalten und wieder zurückzuzahlen. Der Kredit kann je nach Bedarf beliebig oft abgerufen werden, bis zu einem vorher festgelegten Höchstbetrag. Das gesamte geliehene Geld inklusive Zinsen muss erst am Ende der Kreditlaufzeit zurückgezahlt werden. In beiden Tests sollten keine Auswirkungen auf die Kreditvergabe zu erwarten sein, da die Banken im ersten Test nicht von der EZB-Politik betroffen sind und im zweiten Test diese Art von Krediten nicht als Sicherheiten zugelassen wurden. Und in der Tat wurden keine Effekte festgestellt.
Zudem wird analysiert, ob sich die Einführung der einheitlichen Sicherheitenliste auch auf die grenzüberschreitende Kreditvergabe ausgewirkt hat. Die Struktur von Konsortialkrediten, welche von mehreren Banken an ein Unternehmen bewilligt werden, wovon eins meist ein inländisches war, spielt dabei eine wichtige Rolle (Abbildung 2).
Die Analyse wird für drei verschiedene Teilstichproben durchgeführt, die auf dem Standort der Unternehmen basieren: Inland, Euroraum-Ausland, anderes Ausland. Wie erwartet gibt es keine Anzeichen für ein zusätzliches Kreditangebot an Unternehmen außerhalb des Euroraums, da diese nicht von der Einführung der einheitlichen Liste betroffen waren. Hingegen unterscheidet sich die Konsortialkreditvergabe ins Euroraum-Ausland von federführenden und teilnehmenden Banken deutlich voneinander: Betroffene teilnehmende Banken erhöhen ihr Kreditangebot an Unternehmen im Euroraum-Ausland, während sie ihr inländisches Kreditangebot nicht ändern. Betroffene federführende Institute verzeichnen hingegen einen geringen Anstieg der grenzüberschreitenden Kreditvergabe und leiten stattdessen den größten Teil des zusätzlichen Kreditangebots an inländische Unternehmen weiter. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Schock für grenzüberschreitende Kredite lediglich eine indirekte Rolle gespielt hat. Die Kreditvergabe erfolgt durch die Beteiligung an Konsortialkrediten – und nicht durch die Stärkung direkter, grenzüberschreitender Beziehungen zwischen Unternehmen und Banken.
Welche Art von Finanzintegration gefördert werden sollte, prägt auch die aktuelle Diskussion über die europäische Banken- und Kapitalmarktunion. Die grenzüberschreitende Kreditvergabe wurde weitgehend vom Interbankenmarkt dominiert,Mathias Hoffmann et al. (2022): Small firms and domestic bank dependence in Europe's great recession. Journal of International Economics 137. der sich während der europäischen Schuldenkrise als fragile Finanzierungsquelle erwies. Die grenzüberschreitende, direkte Kreditvergabe von Banken an Unternehmen war hingegen sehr begrenzt. Die Analyse auf Kreditebene ermöglicht es, zwischen grenzüberschreitenden, direkten Beziehungen zwischen Banken und Unternehmen und grenzüberschreitenden, indirekten Beziehungen mittels Konsortialkreditbeteiligung zu unterscheiden.
Das gesamte Kreditangebot der teilnehmenden Banken brach während der Finanzkrise um mehr als 80 Prozent ein, während die federführenden Banken den Unternehmen wesentlich stabilere Finanzmittel zur Verfügung stellten (Abbildung 2). Dieser Rückgang war auf die grenzüberschreitende indirekte Kreditvergabe zurückzuführen.
Ein letzter Schritt der Analyse zeigt, dass betroffene Banken ihre Risikobereitschaft auf dem Markt für Konsortialkredite erhöhen. Unternehmen im Dienstleistungssektor erhalten mehr Kredite, und die Ausfallwahrscheinlichkeit des Kreditportfolios der betroffenen Banken nimmt nach dem Schock zu.
Bemerkenswert ist, dass die Unternehmen nicht einfach von den nicht betroffenen zu den betroffenen Banken wechseln, sondern dass sie insgesamt ein Kreditwachstum verzeichnen. Bei Unternehmen, die vor dem Schock in großem Umfang Kredite bei den betroffenen Banken aufnahmen, stieg die Beschäftigung und die Investitionen an: Der neue Sicherheitenrahmen wirkt sich auf die Realwirtschaft aus.
Vor der globalen Finanzkrise war die grenzüberschreitende Kreditvergabe im Euroraum weitgehend auf den Interbankenmarkt beschränkt, während Unternehmen weiterhin auf inländische Banken angewiesen waren.Hoffmann et al. (2022), a. a. O. Es ist jedoch unklar, welche Instrumente effektiv zur Finanzmarktintegration beitragen.
Die Studie konzentriert sich auf ein potenzielles Instrument zur Steigerung der direkten grenzüberschreitenden Kreditvergabe. Im Jahr 2007 führte die EZB eine Liste von einheitlichen Sicherheiten ein, wobei auch alle Kredite, die an Unternehmen im Euroraum vergeben werden, zugelassen wurden. Dieser einheitliche Sicherheitenrahmen sollte gleiche Wettbewerbsbedingungen im Euroraum schaffen.ECB (2006): The Single List in the Collateral Framework of the Eurosystem. Monthly Bulletin. May, 75–87. Die Ergebnisse zeigen, dass die Sicherheitenliste zwar einen positiven Effekt auf die Kreditvergabe der Banken hatte, jedoch nicht auf die erwünschte grenzüberschreitende Kreditvergabe. Lediglich indirekt über Konsortialkrediten hat die Sicherheitenliste die Finanzmarktintegration positiv beeinflusst. Das liegt vermutlich vor allem an realen Hindernissen wie länderspezifische Insolvenzgesetze oder mangelnde geografische Nähe. Von einer echten Finanzmarktintegration ist der Euroraum aber noch weit entfernt. Hierbei ist die Politik gefragt. Man sollte beispielsweise endlich die Bankenunion finalisieren. Das würde die Finanzmarktintegration vorantreiben und grenzüberschreitende Kredite einfacher machen.
Themen: Finanzmärkte, Europa
JEL-Classification: E44;E58;G21
Keywords: Collateral Framework, Bank Liquidity Shocks, Bank Lending Channel, Cross-Border Lending, Real Effects
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2024-44-1