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Nicht nur bei VW: Wieso Arbeitsplatzabbau manchmal nötig ist: Kommentar

DIW Wochenbericht 45 / 2024, S. 704

Marcel Fratzscher

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Ein gewisses Maß an Deindustrialisierung und ein damit verbundener Abbau von Arbeitsplätzen sind notwendig und richtig. Diese Aussage stößt auf Empörung und ist für viele schwer nachzuvollziehen: Sollten Politik, Unternehmen und Gewerkschaften nicht alles daransetzen, existierende Strukturen und Arbeitsplätze zu erhalten? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend dafür, ob Deutschland auch in 20 Jahren noch weltweit führend bei Wohlstand, Qualität und Bezahlung von Arbeitsplätzen und Wettbewerbsfähigkeit sein wird.

Volkswagen steht wie kaum ein zweiter Fall für diese Grundsatzdebatte. Die Ankündigung von Werksschließungen und Entlassungen trifft einen Nerv. Doch VW steht heute gar nicht mehr vor der Wahl, alle Arbeitsplätze und Werke zu erhalten oder nicht. Angesichts all der hausgemachten Probleme und Umbrüche in der Automobilindustrie steht der Konzern vor der Frage, ob er jetzt drei Werke schließt, 15 Prozent der Beschäftigten entlässt und Löhne und Kosten um zehn Prozent senkt. Oder ob er die notwendige Transformation und Reformen noch länger verschiebt und damit in fünf Jahren deutlich mehr als drei Werke schließen und deutlich mehr als 15 Prozent der Beschäftigten in Deutschland entlassen muss.

Dies ist eine unbequeme Wahrheit, aber je früher sie erkannt wird, desto besser kann gegengesteuert werden. Und dies trifft nicht nur auf VW, sondern auf viele in der Vergangenheit erfolgreiche Branchen und Unternehmen zu. Politik und Unternehmen müssen einsehen, dass sie den Status quo nicht (mehr) zementieren können. Transformation heißt Veränderung, und Veränderung bedeutet, dass manche Unternehmen schrumpfen und Beschäftigte entlassen müssen, um sich zu erneuern und wieder wettbewerbsfähig zu werden – so dramatisch es für viele der Betroffenen nachvollziehbarerweise ist, ihre Arbeit zu verlieren und sich anderswo eine neue suchen zu müssen.

Eine Kernfrage ist, was eigentlich die Ziele von Wirtschaftspolitik sind. Der Aufschrei über eine Deindustrialisierung ist groß, wenn Unternehmen energieintensive Produktion ins Ausland verlagern. Das Ziel der Wirtschaftspolitik sollte jedoch, von strategischen Ausnahmen abgesehen, nicht sein, Produktion per se in Deutschland zu verankern, sondern gute, innovative und zukunftsfähige Arbeitsplätze hierzulande zu sichern und zu schaffen. Der große Erfolg unseres Wirtschaftsmodells in den vergangenen 75 Jahren war es, Produktion, die anderswo günstiger und besser gemacht werden kann, ins Ausland zu verlagern, damit sich die Produktion hierzulande auf die komparativen Vorteile fokussieren kann. Die energieintensive Produktion war nie ein komparativer Vorteil für uns.

Genauso wenig sollte es Ziel der Wirtschaftspolitik sein, die bestehende Industrie genau so zu erhalten, wie sie heute ist. In den letzten 75 Jahren gab es stets Phasen der Deindustrialisierung, in der ganze Branchen verschwunden oder deutlich geschrumpft sind, wie die Textilindustrie in den 1970er Jahren oder die Elektronikbranche in den 1980er Jahren. Auch damals war die Empörung in Deutschland groß, aber die Entwicklung war notwendig, richtig und auch gut, weil die dort verloren gegangenen Arbeitsplätze anderswo durch bessere Jobs ersetzt werden konnten.

Zudem sollte die Politik nicht versuchen, einzelne Unternehmen zu bevorzugen. Der Staat hat keinerlei Kompetenz zu entscheiden, welche von ihnen zukunftsfähig sind. Das Beste, was er machen kann, um gute Arbeitsplätze und Wohlstand langfristig zu schaffen und zu bewahren, ist fairen Wettbewerb zuzulassen und allen Unternehmen gleichermaßen gute Rahmenbedingungen bei Infrastruktur, Bildung, Bürokratie und Innovation zu bieten. Die Bundesregierung sollte Unternehmen steuerlich entlasten und Geld in die Hand nehmen, um öffentliche Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Innovation deutlich auszuweiten. Der Versuch, in unternehmerische Entscheidungen, wie bei VW, einzugreifen, existierende Strukturen zu zementieren und die Transformation zu verhindern, ist kontraproduktiv. Er wird die Deindustrialisierung beschleunigen und den Arbeitsplatzverlust erhöhen.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 1. November 2024 bei Focus Online erschienen.

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