DIW Wochenbericht 48 / 2024, S. 768
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Nichts ist umsonst im Leben, die Inflation schon gar nicht. Das zeigt nicht nur der Blick ins Portemonnaie. Der (politische) Preis ist ungleich höher. Der Wahlsieg Donald Trumps in den USA hat uns die wahren Kosten der Inflation noch einmal vor Augen geführt. Diese Wohlfahrtskosten werden in der Diskussion über die Geldpolitik gerne vergessen beziehungsweise geringer gewichtet als die unmittelbaren Folgen der Geldpolitik für den Arbeitsmarkt oder die Realwirtschaft.
Welche Faktoren könnten die inflationsgebeutelten Haushalte bewegt haben, ihre Stimme Donald Trump zu geben? Erstens verlieren sämtliche Haushalte einen Teil ihres Vermögens, wenn sie in niedrig verzinslichen Anlagen wie zum Beispiel Sparkonten oder Bargeld sparen. Ist die Rendite geringer als die Inflation, verliert das Vermögen an Wert. Zweitens dauert es immer eine gewisse Zeit, bis Löhne und Renten an eine schnell steigende Inflation angepasst werden. Bis dahin kann sich jeder Haushalt weniger Konsum leisten. Drittens müssen Haushalte, wenn die Löhne endlich gestiegen sind, unter Umständen höhere Steuern zahlen. Viertens wird die Aussagekraft von relativen Preisen zwischen Gütern gestört, wenn die Unternehmen ihre Preise lediglich in längeren Zeitabständen ändern, in Zeiten höherer Inflation dann aber umso stärker. Das erschwert den Konsumierenden die Wahl zwischen ähnlichen Produkten.
So kann die Konsument*in, die*der vor der Wahl zwischen Äpfeln und Birnen steht, nicht wissen, ob die Äpfel gerade teurer sind, weil die Preise vor kurzem kräftig angehoben wurden. Ohne die Hilfestellung des Preissignals wird die Wahl zwischen Äpfeln und Birnen zusätzlich erschwert und kann zu Fehlkäufen und damit zu einem geringeren Konsumnutzen führen. Fünftens verursacht die Bekämpfung von bestehender und anhaltender Inflation durch die nötigen Zinserhöhungen ein geringeres Bruttoinlandsprodukt (BIP) und gefährdet Arbeitsplätze.
Dabei, und das hat die Wahl in den USA aufgezeigt, muss vor allem beachtet werden, dass die Kosten der Inflation sehr ungleich in der Bevölkerung verteilt sind. Nicht nur unterscheiden sich die Haushalte in ihren Ersparnissen, sondern auch in ihrem Konsumkorb. Ärmere Haushalte geben einen höheren Anteil ihres Einkommens für Energie und Nahrungsmittel aus als reichere Haushalte. Die Inflation gerade bei diesen Produkten trifft deswegen ärmere Haushalte ungleich härter als reiche Haushalte; zusätzlich ist das geringe Sparguthaben schnell aufgebraucht.
Studien haben die Kosten der Inflation der Jahre 2021 bis 2023 für die unterschiedlichen Haushalte im Euroraum sehr gut aufgeschlüsselt. In Deutschland waren aufgrund ihrer Vermögensposition am stärksten die älteren Haushalte der Mittelschicht von der Inflation betroffen. Danach folgt die Mittelschicht in der Gruppe der 45- bis 64-Jährigen.
Eine Studie der Abteilung Makroökonomie des DIW Berlin hat gezeigt, dass die Inflation der Jahre nach 2021 von der Europäischen Zentralbank durchaus zu verhindern gewesen wäre. Sie hätte die Zinsen frühzeitig anheben müssen, um damit ein klares Signal an die Wirtschaft zu senden und die Inflationserwartungen zu dämpfen. Die Kosten dieser Maßnahme wären ein Einbruch des BIP gewesen, der aber mittlerweile überwunden worden wäre. Die Wirtschaft würde sich dann besser entwickeln, da die Zinsen aufgrund der fehlenden Inflation mittlerweile wesentlich geringer wären und den privaten Konsum und die Investitionen ankurbeln würden.
Nun kann man sagen, dass es aber zumindest keine tiefe Rezession gegeben hat, und deshalb mit der Geldpolitik zufrieden sein. Das blendet aber die Kosten der Inflation aus, die die Haushalte eben auch zu spüren bekommen haben und teilweise auch noch spüren. Und so geht Deutschland in das Wahljahr 2025 – mit einer Inflationserfahrung, die noch nicht ganz abgeklungen ist. Was dies kosten kann, zeigt uns das Wahlresultat in den USA. Ein Mutmacher für die Bundestagswahl ist das Resultat eher nicht.
Dieser Kommentar ist am 25. November 2024 zuerst im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Konjunktur, Geldpolitik