DIW Wochenbericht 49 / 2024, S. 780
Sabine Zinn, Erich Wittenberg
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Frau Zinn, es gibt in Deutschland seit einiger Zeit eine Debatte darüber, dass ein großer Teil der staatlichen Hilfen für Geflüchtete ins Ausland überwiesen wird. Lässt sich beziffern, wie viel Geld das tatsächlich ist? Nein, denn entsprechende Statistiken existieren nicht. Es gibt Statistiken der Weltbank, die sich aus Informationen der Deutschen Bundesbank speisen, die aber nur die Gesamtsumme beziffern, die aus Deutschland ins Ausland überwiesen wird. Eine Differenzierung der Absender nach Fluchtstatus oder Migrationshintergrund existiert nicht.
Wie hat sich die Zahl der Überweisungen in den letzten Jahren entwickelt? Die Summe der Auslandsüberweisungen aus Deutschland ist enorm gestiegen. Sie liegt aktuell bei rund 22 Milliarden Euro. Damit ist Deutschland eines der Länder in Europa, das den größten Anteil an Auslandsüberweisungen hat. Das liegt auch darin begründet, dass wir hierzulande in den letzten zwei Jahrzehnten eine starke Migrationsdynamik beobachten können. Mittlerweile haben 25 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund, das sind 20 Millionen.
Sie haben in Ihrer Studie zwischen Migrant*innen mit und ohne Fluchthintergrund differenziert. Welche Gruppe sendet am häufigsten Geld ins Ausland? Die Gruppe, die am häufigsten Geld ins Ausland sendet, sind Migrant*innen ohne Fluchthintergrund. Geflüchtete senden ebenfalls Geld ins Ausland, aber nicht so häufig.
Wo liegen die Motive für die Geldtransfers? Wir unterscheiden hier drei verschiedene Motive. Das sind zum einen altruistische Motive, das heißt, sie möchten anderen Menschen in ihrer Herkunftsregion helfen. Zudem gibt es häufig die Intention, dass man sich im Ausland, also meist der alten Heimat, etwas aufbauen möchte und dort in ein Gebäude oder ein Unternehmen investiert. Und natürlich gibt es noch das Motiv, dass man dort, wo man herkommt, kulturell und auch sozial verankert bleiben will.
Lässt das darauf schließen, dass diese Menschen planen, irgendwann wieder zurückzugehen? Tatsächlich zeigt unsere Studie, dass Menschen, die eine hohe Rückkehrabsicht haben, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit solche Geldtransfers vornehmen. Menschen, die sich in Deutschland integriert haben, hier heimisch geworden sind und gerne hierbleiben möchten, zeigen eine geringere Neigung, Geld ins Ausland zu überweisen.
Welche Wirkung hat das ins Ausland überwiesene Geld vor Ort? Tatsächlich spielen Auslandsüberweisungen eine essenzielle Rolle im Rahmen von Entwicklungshilfe. Wir bezeichnen das als informelle Entwicklungshilfe. Dadurch, dass in der Heimat investiert wird, zum Beispiel in Immobilien, werden die entsprechenden Regionen unterstützt. Auch wenn Geld aus sozialen Gründen überwiesen wird, stärkt das die Kaufkraft in den Herkunftsregionen.
Wie beurteilen Sie die politische Debatte, die über diese Geldüberweisungen geführt wird? Zum einen zielt die politische Debatte oft auf Geflüchtete ab, die aber gar nicht über die finanziellen Kapazitäten verfügen, um in großem Maße Auslandsüberweisungen zu tätigen. Insofern ist das eine Scheindebatte. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich, dass die Auslandsüberweisungen über die letzten Jahre gestiegen sind. Wie gesagt mittlerweile rund 22 Milliarden Euro jährlich, die aus Deutschland ins Ausland überwiesen werden. Aber dieses Geld kommt in erster Linie von Menschen, die hier auch arbeiten, also von Migrant*innen, die hier bereits heimisch geworden sind. Und das ist ja vollkommen in Ordnung, wenn diese Leute ihr selbstverdientes Geld ins Ausland überweisen und damit auch strukturelle Unterstützung leisten, um dort etwas aufzubauen.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Ungleichheit, Migration