Deutsche Wirtschaft in der ewigen Stagnation? Editorial

DIW Wochenbericht 50 / 2024, S. 795-796

Marcel Fratzscher

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Die Hoffnung auf einen baldigen und starken wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland wird wieder einmal enttäuscht. Das ist die zentrale Botschaft der neuesten Konjunkturprognose des DIW Berlin für die Jahre 2024 bis 2026. Eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung rückt erneut weiter in die Zukunft. Zum wiederholten Male müssen wir unsere Konjunkturprognose für Deutschland nach unten revidieren. Auch im gerade zu Ende gehenden Jahr wird die deutsche Wirtschaft leicht schrumpfen, zum zweiten Mal in Folge. Und 2025 dürfte die Wirtschaftsleistung hierzulande höchstens ein wenig wachsen. Viele Risiken und Unsicherheiten sind noch gar nicht genauer quantifizierbar, eine Rezession und Fortsetzung der Deindustrialisierung werden für 2025 immer wahrscheinlicher.

Die Zahlen sind ernüchternd: Nur um magere 0,2 Prozent wird die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr voraussichtlich wachsen. Im Herbst haben wir noch ein Wachstum von 0,9 Prozent erwartet – eine deutliche Korrektur nach unten. Der Hauptgrund ist die große Unsicherheit und der tiefe Pessimismus, bei den Unternehmen wie auch bei den Bürger*innen. Die große Hoffnung, dass die positive Entwicklung der Reallöhne den privaten Konsum und dadurch das Wirtschaftswachstum spürbar erhöht, hat sich bisher nicht materialisiert und dürfte es auch mindestens bis Mitte nächsten Jahres nicht tun. Viele Menschen legen ihre zusätzlichen Einkommen lieber auf die hohe Kante, sodass der private Konsum 2025 lediglich mit 0,3 Prozentpunkten zum Wachstum der Wirtschaftsleistung beitragen dürfte.

Die Industrie bleibt das große Sorgenkind der deutschen Wirtschaft. Viele Industriebranchen kommen nicht vom Fleck oder schrumpfen sogar weiter. Kurzarbeit, Entlassungen, Werksschließungen, Insolvenzen und Unterauslastungen dürften sich auch im Jahr 2025 fortsetzen und möglicherweise intensivieren. Viele Industrieunternehmen kämpfen mit den vergleichsweise hohen Energiepreisen, zu hohen weiteren Produktionskosten, Ineffizienzen und unzureichender Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit.

Dagegen laufen viele Dienstleistungsbereiche nach wie vor ordentlich, sodass sie die Schwäche der Industrie teilweise ausgleichen können. Die Ausrüstungsinvestitionen dürften im kommenden Jahr noch einmal zurückgehen, um 0,3 Prozent. Und auch die deutschen Exporte entwickeln sich schwächer, sodass auch sie das Wirtschaftswachstum in Deutschland leicht dämpfen werden. Mit einem positiven Beitrag von 0,3 Prozent hilft der Staatskonsum geringfügig, allerdings bei weitem nicht so deutlich, wie dies in der gegenwärtig schwierigen Lage notwendig wäre.

Ein Lichtblick bleibt der Arbeitsmarkt, der mittlerweile zwar ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wird, indem die Beschäftigung leicht sinkt und die Arbeitslosigkeit etwas steigt. Im Großen und Ganzen bleibt die Beschäftigung trotz der Wirtschaftsflaute aber vergleichsweise hoch und die Arbeitslosenquote relativ gering. Die Inflation ist in diesem Jahr deutlich schneller und stärker gesunken, als viele es erwartet haben. Auch deshalb konnten sich die meisten Beschäftigten in Deutschland über ordentliche Reallohnsteigerungen freuen. Eine negative Entwicklung sind hingegen die riesigen Nettoersparnisse der deutschen Volkswirtschaft, die sich in einem Leistungsbilanzüberschuss von wohl mehr als 250 Milliarden Euro oder voraussichtlich knapp sechs Prozent der Wirtschaftsleistung widerspiegeln. Dies trägt nicht nur zu erheblichen globalen Ungleichgewichten bei und wird Deutschland unweigerlich zu einem der Hauptgegner Donald Trumps machen. Sondern diese Überschüsse schaden vor allem Deutschland, weil dadurch mehr als 250 Milliarden Euro an privatem Kapital aus Deutschland ins Ausland exportiert und nicht in Deutschland investiert werden. Dadurch entgeht der Volkswirtschaft und dem Wirtschaftsstandort ein enormes Potenzial. Arbeitsplätze und Innovationen entstehen so anderswo in der Welt. Allerdings ist dies keine neue Entwicklung, sondern ein sich schon seit 20 Jahren fast ungemindert fortsetzender Trend.

Die wohl noch bedrückendere Botschaft ist, dass die beschriebene Konjunkturentwicklung eher ein optimistisches Szenario darstellt. Die Risiken eines noch deutlich schwächeren Wachstums überwiegen. Unsere Prognose beruht auf der Annahme, dass es nicht zu massiven Handelskonflikten durch die von Donald Trump angekündigten Strafzölle kommt. Sollte es doch dazu kommen, würde dies die deutsche Wirtschaft potenziell stark in Mitleidenschaft ziehen. Auch die Unsicherheit nach dem Ende der Ampelkoalition und die dadurch wohl erst einmal ausbleibenden wirtschaftlichen Entlastungen für Unternehmen und Bürger*innen könnten stärker belasten als erwartet. Eine Eskalation der geopolitischen Konflikte würde die Unsicherheit noch weiter erhöhen.

Eine Eskalation der Handelskonflikte und der geopolitischen Konflikte könnte zudem erneut die Inflation befeuern und damit die Zentralbanken zwingen, die Zinsen nicht weiter zu senken, sondern sie wieder zu erhöhen. Das unweigerliche Resultat wären schlechtere Finanzierungsbedingungen und dadurch eine Abnahme von Investitionen, Konsum und Wachstum.

In einer solchen Situation ist es vor allem die Aufgabe des Staates, stabilisierend zu wirken und Unsicherheiten so weit wie möglich zu reduzieren. Das politische Vakuum durch das Ende der Ampelkoalition und von mindestens sechs Monaten ohne eine handlungsfähige Bundesregierung und ohne einen handlungswilligen Bundestag bedeuten, dass die Wirt-schaft weiter geschwächt und die Unsicherheit hoch bleiben wird. Es ist daher essenziell, dass alle Parteien im Bundestag ihrer Verantwortung gerecht werden und zumindest die dringend notwendigen Reformen und finanziellen Entlastungen noch in dieser Legislaturperiode vornehmen. Zudem braucht Deutschland mit seinen europäischen Partnern dringend eine überzeugende Strategie, wie mit der erneuten Präsidentschaft Donald Trumps und den zunehmenden Konflikten mit China umzugehen ist. Ohne eine handlungsfähige Bundesregierung und ohne ein starkes Europa laufen wir Gefahr, dass vor allem die deutsche Wirtschaft und der hiesige Wirtschaftsstandort in den kommenden Jahren weiteren Schaden nehmen werden.

Themen: Konjunktur

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