Wie auch Deutschland von Auslandsüberweisungen profitiert: Kommentar

DIW Wochenbericht 51/52 / 2024, S. 860

Sabine Zinn

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Das Ende des Assad-Regimes in Syrien befeuert die schwelende Debatte über die Geflüchteten in Deutschland weiter. Häufig schwingt hierbei die Sorge mit, dass finanzielle Unterstützung in Form von Sozialleistungen überwiegend ins Ausland weitergeleitet wird. Die tatsächlichen Zusammenhänge sind jedoch, wie so oft, deutlich vielschichtiger. Richtig ist, dass nur sieben Prozent der Geflüchteten Geld ins Ausland, sogenannten Remittances, überweisen. Richtig ist auch, dass Deutschland seit Jahren zu den globalen Spitzenreitern bei privaten Geldüberweisungen ins Ausland zählt. Im Jahr 2023 erreichte Deutschland mit einem Überweisungsvolumen von 24 Milliarden US-Dollar Platz vier der weltweit größten Senderländer.

Doch Deutschland ist nicht nur ein bedeutender Absender, sondern auch ein zentraler Empfänger privater Geldtransfers. Im selben Jahr flossen 20 Milliarden US-Dollar aus dem Ausland nach Deutschland, womit das Land Rang acht der globalen Empfängerländer einnahm. Der Nettoabfluss von lediglich vier Milliarden Euro entspricht gerade einmal 0,16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Private Geldtransfers ins Ausland sind unterschiedlich motiviert. Häufig steht die Unterstützung von Angehörigen und Freunden im Vordergrund, etwa zur Deckung von Lebenshaltungskosten oder zur Finanzierung von Bildung, Gesundheitsversorgung und Pflege. Andere Transfers verfolgen strategische Ziele, wie den Kauf von Immobilien oder langfristige Investitionen. In ärmeren Ländern oder Krisenregionen spielen zudem altruistische Motive eine Rolle, wenn Absender in Not geratenen Menschen helfen wollen.

Überweisungen nach Deutschland dürften seltener von altruistischen Absichten geprägt sein. Hier stehen vermutlich familiäre Unterstützung und strategische Investitionen im Fokus. Die Herkunftsländer der Transfers liefern Hinweise auf die Beweggründe: Ein Großteil stammt aus Ländern mit enger wirtschaftlicher Verflechtung zu Deutschland. Europäische Staaten spielen dabei eine Schlüsselrolle. Im Jahr 2021 kam fast die Hälfte aller Remittances nach Deutschland aus nur sieben europäischen Ländern. Die USA – der weltgrößte Sender privater Geldtransfers – steuerten 15 Prozent bei.

Auch Länder mit starker deutscher Zuwanderung haben einen erheblichen Anteil an den privaten Geldflüssen nach Deutschland. Die Schweiz und Österreich beispielsweise machten 2021 zusammen 17 Prozent der Transfers aus. Staaten mit großen Einwanderergemeinschaften in Deutschland, wie die Türkei (acht Prozent) und Italien (sechs Prozent), tragen ebenfalls maßgeblich bei.

Dass auch aus ärmeren Volkswirtschaften Geld nach Deutschland fließt, mag zunächst überraschen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass viele Menschen, die nach Deutschland ziehen, zusätzliche finanzielle Unterstützung benötigen – etwa für Studiengebühren oder Lebenshaltungskosten. Im Wintersemester 2023/2024 waren 469.485 internationale Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben, mit 16,4 Prozent aller Studierenden ein neues Rekordhoch. Viele dieser jungen Menschen stammen aus Ländern wie Indien, China oder der Türkei und erhalten vermutlich Unterstützung aus ihren Herkunftsländern. Zudem wird Deutschland trotz seiner Wirtschaftsstagnation im Ausland noch immer als stabile Volkswirtschaft wahrgenommen, was viele Menschen im Ausland dazu bewegt, hier zu investieren, etwa in Immobilien oder andere Anlageformen. So haben ausländische Anleger*innen ihr Beteiligungskapital in Deutschland von Ende 2019 bis Juni 2024 kumuliert um 163 Milliarden Euro erhöht.

Die Debatte über private Geldüberweisungen ins Ausland sollte daher immer auch den erheblichen Nutzen beleuchten, den Deutschland selbst aus den Zuflüssen aus dem Ausland zieht. Die Milliardenbeträge, die jährlich nach Deutschland fließen, werden hier konsumiert oder investiert und tragen damit wesentlich zur wirtschaftlichen Stabilität und nachhaltigen Entwicklung bei. Private Geldtransfers sind somit nicht nur Ausdruck persönlicher Unterstützung, sondern auch ein zentraler wirtschaftlicher Faktor – sowohl für Deutschland als auch im globalen Kontext.

Sabine Zinn

Kommissarische Direktorin SOEP in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

Themen: Migration

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