Kriminalprävention lohnt sich auch aus ökonomischer Sicht: Kommentar

DIW Wochenbericht 1/2 / 2025, S. 16

Anna Bindler

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Kriminalität kostet: den Staat durch Justizkosten oder Maßnahmen zur Kriminalprävention und die Gesellschaft durch finanzielle Schäden, die verschiedene Delikte anrichten. Der Blick auf diese Kosten sollte erweitert werden um die individuellen Folgekosten für die Kriminalitätsopfer. Dabei wäre das vom Bundeskabinett Ende November beschlossene Gewalthilfegesetz ein Schritt in die richtige Richtung.

In Zeiten knapper Haushalte und schwacher Wirtschaftsleistung sind die Schäden, die Kriminalität verursacht, nicht zu vernachlässigen. Gesamtkostenschätzungen sind aufgrund des hohen Dunkelfelds an Kriminalitätsfällen zwar schwierig, liefern aber eine Größeneinordnung. Eine oft zitierte Schätzung der gesamtwirtschaftlichen Kosten in den USA beläuft sich auf ca. zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), eine andere Schätzung im europäischen Ländervergleich auf ca. vier bis sieben Prozent des BIP. Auf Deutschland übertragen bedeutet dies einen Verlust zwischen 165 und 288 Milliarden Euro – pro Jahr.

Bei diesen Schätzungen bleiben persönliche wirtschaftliche Folgen für Kriminalitätsopfer meist noch außen vor. Leider stehen in Deutschland Daten, um diese Kosten systematisch zu erfassen, nicht zur Verfügung. Anhand von niederländischen Daten lässt sich aber berechnen, welche Effekte bestimmte Delikte – körperliche Gewalt, Bedrohungen, Raub oder Einbrüche – auf die Betroffenen haben. Opfer von Kriminalität, insbesondere bei Gewalttaten, erleben im Durchschnitt einen unmittelbaren Rückgang bei Arbeitseinkommen und ein erhöhtes Risiko von Jobverlust. Gleichzeitig steigen der Bedarf an Sozialleistungen sowie die Kosten für benötigte Gesundheitsaufwendungen, auch für die psychische Gesundheit.

Drei Fakten belegen die Bedeutung dieser Folgekosten: Ein Jahr nach Viktimisierung beläuft sich der durchschnittliche Verlust bei Arbeitseinkommen auf bis zu 8,4 Prozent bei Männern und bis zu 13 Prozent bei Frauen. Der Bedarf an Sozialleistungen steigt im Schnitt um bis zu fünf Prozent bei Männern und bis zu sechs Prozent bei Frauen.

Zweitens: Besonders ausgeprägt sind die Folgekosten für Opfer von häuslicher Gewalt. Global wird jede dritte Frau einmal in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt. Laut aktuellem Bundeslagebild des BKA wurden 2023 in Deutschland fast 500 Frauen pro Tag Opfer häuslicher Gewalt, dazu kommt ein (vermutlich großes) Dunkelfeld. Die Folgen für die Betroffenen sind immens. Unsere Berechnungen für die Niederlande zeigen Verluste bei Arbeitseinkommen von bis zu 18 Prozent – und einen Anstieg im Bedarf an Sozialleistungen von über 40 Prozent.

Drittens: Allein für Körperverletzungen belaufen sich die von uns geschätzten jährlichen Verluste bei Arbeitseinkommen auf durchschnittlich ca. 1500 Euro für Männer und ca. 1700 Euro für Frauen. Auch vier Jahre später ist das vorherige Niveau der Arbeitseinkommen noch nicht wieder erreicht.

Wir gehen davon aus, dass sich die Ergebnisse auch auf den deutschen Kontext übertragen lassen. Diese Folgekosten für Opfer von Kriminalität sollten ernst genommen werden – individuell und gesamtgesellschaftlich. Wichtig ist zunächst, dass alle Kosten, die durch Kriminalität entstehen, bei politischen Entscheidungen zu Prävention und Opferschutz einbezogen werden. Neben direkten Maßnahmen der Kriminalitätsbekämpfung wie effektiver Polizeiarbeit sind auch sozial- und wirtschaftspolitische Maßnahmen erforderlich, um Perspektiven zu schaffen und den Einstieg in Kriminalität zu vermeiden. Um kausale Evidenz zur Wirksamkeit solcher Maßnahmen zielgerichtet bereitstellen zu können, bedarf es in Deutschland einer besseren Datengrundlage. Daneben muss dem Opferschutz größere Bedeutung zukommen.

Die anstehende Entscheidung zum Gewalthilfegesetz wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Opfer von Kriminalität zu werden hinterlässt auch ökonomisch langfristige Spuren, die sich mit gutem Opferschutz reduzieren lassen. Doch es bleibt dabei: Der beste Opferschutz ist die Kriminalprävention.

Anna Bindler

Abteilungsleiterin in der Abteilung Kriminalität, Arbeit und Ungleichheit

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