DIW Wochenbericht 3 / 2025, S. 22-33
Lavinia Kinne, Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich
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Frauen sind in hohen Führungspositionen privatwirtschaftlicher Unternehmen in Deutschland nach wie vor unterrepräsentiert. Dafür gibt es zahlreiche Ursachen – eine davon sind geschlechterstereotype Zuschreibungen von Fähigkeiten und Eigenschaften, die bei hohen Führungspositionen eine große Rolle spielen. So werden Frauen nach wie vor typischerweise Eigenschaften wie Fürsorglichkeit und Familienorientierung zugeschrieben, während Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen – also Eigenschaften, die tendenziell mit Führungspositionen assoziiert werden – eher mit Männern verbunden werden. Eine quantitative Analyse von über 48000 Zeitungsartikeln der Jahre 2010 bis 2022 über Frauen und Männer in Vorständen und Aufsichtsräten von 160 DAX-Unternehmen zeigt, dass die Berichterstattung über diese Personen von Geschlechterstereotypen geprägt ist. Die häufigere Nennung familiärer Attribute in der Berichterstattung über Frauen ist dabei nicht von der Realität gedeckt, denn sie sind nicht häufiger verheiratet und leben nicht öfter mit Kindern im Haushalt als Männer in hohen Führungspositionen – im Gegenteil. Medien sollten sich ihrer Rolle als Transporteure von Geschlechterstereotypen bewusst sein und ihre Texte auf stereotypisierende Darstellungen überprüfen.
Frauen sind in der Privatwirtschaft in Deutschland und weltweit in hohen Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Wie das Managerinnen-Barometer 2025 des DIW Berlin zeigt,Vgl. dazu den ersten Bericht in dieser Ausgabe des DIW Wochenberichts: Virginia Sondergeld, Katharina Wrohlich und Anja Kirsch (2025): Immer mehr Vorständinnen und Aufsichtsrätinnen, aber nach wie vor ein weiter Weg bis zur Geschlechterparität. DIW Wochenbericht Nr. 3, 22–33. gab es in den letzten Jahren zwar Fortschritte beim Frauenanteil in den Vorständen und Aufsichtsräten der großen privatwirtschaftlichen Unternehmen in Deutschland. Mittlerweile sind 20 Prozent der Vorstandsmitglieder der 160 in den DAX-Indizes (DAX-40, MDAX und SDAX) börsennotierten Unternehmen Frauen; in den Aufsichtsräten ist der Frauenanteil mit knapp 37 Prozent noch höher. Trotzdem bleibt Geschlechterparität in den obersten Entscheidungs- und Kontrollgremien deutscher Unternehmen in weiter Ferne. Zudem ist die Zahl der Frauen, die Vorständen oder Aufsichtsräten vorsitzen, nach wie vor sehr gering: In den 160 DAX-Unternehmen gab es im Spätherbst 2024 neun Frauen als Vorstandsvorsitzende und zehn Frauen als Aufsichtsratsvorsitzende.
Für den geringen Anteil von Frauen in hohen Führungspositionen gibt es zahlreiche Gründe. So wirkt sich zum Beispiel Elternschaft im Durchschnitt nach wie vor nachteilig auf die Erwerbskarrieren von Frauen aus, aber nicht auf die von Männern.Henrik Kleven, Camille Landais und Gabriel Leite-Mariante (2024): The child penalty atlas. Review of Economic Studies. Im Erscheinen; Patricia Cortés und Jessica Pan (2023): Children and the Remaining Gender Gaps in the Labor Market. Journal of Economic Literature, 61(4); Claudia Goldin (2024): Nobel Lecture: An Evolving Economic Force. American Economic Review, 114(6). Zudem gibt es nachweisbar Nachteile für Frauen, die eine Karriere in hohen Führungspositionen anstreben. Dazu zählen etwa ein im Vergleich zu Männern eingeschränkter Zugang zu entscheidenden sozialen Netzwerken,Zoë Cullen und Ricardo Perez-Truglia (2023): The Old Boys' Club: Schmoozing and the Gender Gap. American Economic Review, 113(7); Emma von Essen und Nina Smith (2023): Network Connections and Board Seats: Are Female Networks Less Valuable? Journal of Labor Economics, 41(2); Menaka Hampole, Francesca Truffa und Ashley Wong (2024): Peer Effects and the Gender Gap in Corporate Leadership: Evidence from MBA Students. CESifo Working Paper 11295 (online verfügbar); Liz Eltling (2018): How To Navigate A Boys' Club Culture. Forbes (online verfügbar); Ilene H. Lang (2011): Co-Opt the Old Boys’ Club: Make It Work for Women. Harvard Business Review (online verfügbar). das Fehlen weiblicher Vorbilder sowie die ungleiche Belastung durch unbezahlte Sorgearbeit in der Familie.Kasey Buckles (2019): Fixing the leaky pipeline: Strategies for making economics work for women at every stage. Journal of economic perspectives, 33(1); Michael E. Brown und Linda K. Treviño (2014): Do role models matter? An investigation of role modeling as an antecedent of perceived ethical leadership. Journal of Business Ethics, 122; Catherine Porter und Danila Serra (2020): Gender differences in the choice of major: The importance of female role models. American Economic Journal: Applied Economics, 12(3); Heather Antecol, Kelly Bedard und Jenna Stearns (2018): Equal but inequitable: Who benefits from gender-neutral tenure clock stopping policies? American Economic Review, 108(9).
Eine weitere Ursache sind geschlechterstereotype Zuschreibungen in Bezug auf Fähigkeiten und Charaktereigenschaften von Männern und Frauen, die gerade bei hohen Führungspositionen eine große Rolle spielen. Stereotype spiegeln allgemeine Erwartungen über Mitglieder sozialer Gruppen wider – einzelnen Personen werden bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten also allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe, zum Beispiel aufgrund ihres Geschlechts, zugeschrieben.Ein guter Überblick über die Forschung zu geschlechtsspezifischen Stereotypen findet sich in: Naomi Ellemers (2018): Gender stereotypes. Annual review of psychology, 69(1), 275–298. So werden Frauen nach wie vor typischerweise mit Eigenschaften wie Fürsorglichkeit und Familienorientierung (sogenannte kommunale Eigenschaften) verbunden, während Charakteristika wie Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen – also Eigenschaften, die tendenziell mit Führungspositionen assoziiert werden (sogenannte agentische Eigenschaften) – typischerweise Männern zugeschrieben werden.Markus Eberhardt, Giovanni Facchini und Valeria Rueda (2023): Gender Differences in Reference Letters: Evidence from the Economics Job Market. The Economic Journal, 133(655); Audinga Baltrunaite, Alessandra Casarico und Lucia Rizzica (2024): Women in economics: the role of gendered references at entry in the profession. Bank of Italy Working Paper Nr. 1438 (online verfügbar); Michela Carlana (2019): Implicit Stereotypes: Evidence from Teachers’ Gender Bias. Quarterly Journal of Economics, 134(3). Diese in der Gesellschaft weit verbreiteten geschlechterstereotypen Zuschreibungen können sowohl die Arbeitsnachfrage als auch das Arbeitsangebot beeinflussen. Nachfrageseitig können sie dazu führen, dass Frauen, die hohe Führungspositionen anstreben, aufgrund ihres Geschlechts als weniger kompetent oder geeignet angesehen werden und daher nicht zum Zug kommen.Kai Barron et al. (2024): Explicit and Implicit Belief-Based Gender Discrimination: A Hiring Experiment. Management Science, Im Erscheinen; Ernesto Reuben, Paola Sapienza und Luigi Zingales (2014): How stereotypes impair women’s careers in science. Proceedings of the National Academy of Sciences, 111; Alan M. Benson, Danielle Li und Kelly Shue (2023): Potential and the Gender Promotions Gap. Academy of Management Proceedings, Vol. 2023; von Essen und Smith (2023), a.a.O. Angebotsseitig können Stereotype aber auch dazu führen, dass sich Frauen selbst solche Aufgaben weniger zutrauen und sich – bei gleicher Qualifikation wie männliche Kollegen – seltener auf hohe Führungspositionen bewerben.Ghazala Azmat, Vicente Cuñat und Emeric Henry (2024): Gender Promotion Gaps and Career Aspirations. Management Science, Im Erscheinen; Ingrid Haegele (2024): The Broken Rung: Gender and the Leadership Gap. arXiv:2404.07750 (online verfügbar); Sule Alan et al. (2020): Understanding Gender Differences in Leadership. The Economic Journal, 130(626); Katherine Baldiga Coffman (2014): Evidence on Self-Stereotyping and the Contribution of Ideas. Quarterly Journal of Economics, 129(4).
Medien, darunter Zeitungen, sind ein wichtiger Kanal, über den Geschlechterstereotype transportiert werden.Daphne Joanna Van der Pas und Loes Aaldering (2020): Gender Differences in Political Media Coverage: A Meta-Analysis. Journal of Communication, 70(1); Maider Eizmendi-Iraola und Simón Peña-Fernández (2022): Gender stereotypes make women invisible: The presence of female scientists in the media. Social Sciences, 12. Empirische Studien belegen beispielsweise die stereotypisierte Darstellung von Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen in Zeitungen. Frauen in diesen Rollen werden häufiger mit Attributen beschrieben, die Familien- und Gemeinwohlorientierung assoziieren lassen, während in der Berichterstattung über Männer in ihren Rollen als Politiker oder Wissenschaftler häufiger deren Fachwissen und Kompetenz betont wird.Van der Pas und Aaldering (2020), a.a.O.; Eizmendi-Iraola und Peña-Fernández (2022), a.a.O.
Um die Darstellung von Frauen und Männern in hohen Führungspositionen der Privatwirtschaft in deutschen Medien zu untersuchen, wurden für diese Studie mehr als 48000 Artikel aus drei überregionalen deutschen Tageszeitungen der Jahre 2010 bis 2022 ausgewertet (Kasten).Aus vertraglichen Gründen werden die drei Zeitungen nicht namentlich genannt. Alle diese Artikel beinhalten den Namen eines oder einer Vorsitzenden eines Aufsichtsrats oder eines Vorstands der 160 in den DAX-Indizes notierten Unternehmen.
Für diese Studie wurde die Zeitungsberichterstattung über Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende großer deutscher Unternehmen anhand von 48427 Artikeln aus drei führenden deutschen Zeitungen im Zeitraum von 2010 bis 2022 analysiert. Die Stichprobe umfasst Artikel, in denen sowohl der Name eines Unternehmens als auch die Namen der Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzenden des jeweiligen Unternehmens genannt werden. Die Gruppe der betrachteten Unternehmen umfasst all diejenigen, die im Zeitraum von 2012 bis 2022 jemals in einem der drei größten deutschen Börsenindizes (DAX-30 beziehungsweise DAX-40Seit September 2021 umfasst die Gruppe der größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland 40 statt 30 Unternehmen (Umstieg von DAX-30 auf DAX-40)., MDAX und SDAX) gelistet waren. Die Daten zu den Unternehmen sowie Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden stammen aus dem jährlichen Managerinnen-Barometer des DIW Berlin, der umfassendsten Datensammlung zur Vertretung von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von Unternehmen in Deutschland.Diese Daten stehen Forschenden an wissenschaftlichen Einrichtungen zur Verfügung und können auf der Website des DIW Berlin beantragt werden. Eine Datensatzbeschreibung findet sich in Virginia Sondergeld und Katharina Wrohlich (2024): DIW Managerinnenbarometer: Methodenbericht und Codebuch zu den Wellen 2015–2024. DIW Data Documentation Nr. 106 (online verfügbar).
Für die Analysen der demografischen Variablen (Familienstatus, Anzahl der Kinder im Haushalt) von Manager*innen wurden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im DIW Berlin herangezogen. Das SOEP ist eine seit 1984 durchgeführte repräsentative Befragung von Haushalten und Individuen in Deutschland. Anhand einer Frage zur beruflichen Stellung lassen sich im SOEP Personen in Managementpositionen identifizieren.Mehr Informationen zur Befragung finden sich in Jan Goebel et al. (2019): The German Socio Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239(2), 345–360 (online verfügbar).
Zur Analyse der Zeitungsartikel werden verschiedene Techniken aus dem Bereich Natural Language Processing (NLP) angewendet. Zunächst werden alle Sätze eines Artikels ermittelt, die den Namen einer Person, deren Pronomen oder eine Referenz zu ihrer Position (wie Aufsichtsratsvorsitz oder CEO) beinhalten. Der Artikel wird dann auf diese Sätze gekürzt, um die Analyse auf die Darstellung der jeweiligen Person zu fokussieren. Anschließend werden Zahlen, Satz- und Sonderzeichen sowie sehr häufige deutsche Wörter (stop words), Namen, Ortsnamen und Organisationen entfernt. Schließlich werden alle Wörter auf ihre grammatikalische Grundform reduziert (Lemmatisierung). Um die in den Artikeln vorhandenen Wörter numerisch auswerten zu können, kann man ihre Häufigkeit in einem bestimmten Text relativ zur Häufigkeit in der Summe aller analysierten Texte ermitteln. Mit diesen relativen Häufigkeiten eines Wortes lässt sich herausfinden, welche Wörter eine besondere Vorhersagekraft für das Geschlecht der im Artikel erwähnten Person haben. Dazu werden statistische Regressionsmethoden verwendet, die eine Selektion relevanter Variablen (in diesem Fall Wörter) vornimmt, wohingegen weniger relevante Variablen aus der statistischen Analyse entfernt werden. In Abbildung 1 und Abbildung 2 dieses Berichts sind also jene Begriffe dargestellt, die eine besondere Vorhersagekraft für Artikel über Frauen und Männer als Vorstands- beziehungsweise Aufsichtsratsvorsitzende haben.
Im weiteren Verlauf wird für jeden Text die Summe der relativen Häufigkeiten aller Wörter berechnet, die einem Wörterbuch zugerechnet werden können, das mit dem Konzept „Familie“ assoziierte Begriffe sammelt. Dabei handelt es sich um das sogenannte Linguistic Inquiry and Word Count (LIWC).Siehe die LIWC-Website sowie Yla. R. Tausczik und James W. Pennebaker (2010): The psychological meaning of words: LIWC and computerized text analysis methods. Journal of Language and Social Psychology, 29(1), 24–54 (online verfügbar). Anschließend werden die durchschnittlichen Häufigkeiten der Familienbegriffe aus dem LIWC-Wörterbuch für Männer und Frauen in Zeiträumen von zwei Jahren miteinander verglichen und berechnet, ob sich diese statistisch signifikant voneinander unterscheiden. Die statistische Signifikanz der Unterschiede ergibt sich daraus, dass keines der Konfidenzintervalle den Nullwert beinhaltet.
Im genannten Zeitraum gab es in Deutschland insgesamt 388 verschiedene Personen, die einen Vorstandsvorsitz eines der 160 DAX-Unternehmen innehatten, davon 373 Männer und 15 Frauen. Im gleichen Zeitraum gab es 273 verschiedene Personen, die einen Aufsichtsratsvorsitz innehatten, davon 260 Männer und 13 Frauen. Die ungleiche Aufteilung von Frauen und Männern auf diese Positionen spiegelt sich auch in der Anzahl der Artikel über Frauen und Männer wider: Im gesamten Zeitraum gab es knapp 35800 Artikel über Vorstandsvorsitzende – davon etwas mehr als 35100 über Männer und etwas mehr als 600 über Frauen. Ähnlich ist das Verhältnis bei den Artikeln über Aufsichtsratsvorsitzende – hier waren von den insgesamt über 12200 Artikeln knapp 11900 über Männer und 360 über Frauen. Für die folgende empirische Analyse wurde eine zufällige Stichprobe von zehn Prozent aller Artikel über Männer ausgewählt. Von den vorliegenden Artikeln über Frauen wurde alle für die Analyse herangezogen.
Die Zeitungsartikel wurden mit quantitativen Methoden des „Natural Language Processing“ (NLP) ausgewertet (Kasten). Im ersten Schritt wurden durch statistische Schätzmodelle jene Wörter identifiziert, die die stärkste Vorhersagekraft dafür haben, dass der jeweilige Artikel von einer Frau oder einem Mann handelt. Bei den Artikeln über Aufsichtsratsvorsitzende ist klar erkennbar, dass unter den 25 Wörtern mit der größten Vorhersagekraft dafür, dass der Artikel von einer Frau handelt, häufig Wörter aus dem Bereich Familie vertreten sind, zum Beispiel „Partnerin“ beziehungsweise „Partner“, „Mutter“, „Kind“ oder „Erbin“ beziehungsweise „Erbe“.Für die Analyse wurden alle Wörter auf ihre grammatikalische Grundform reduziert. Methodisch macht es also keinen Unterschied, ob in einem Text von „Erbe“ oder „Erbin“ die Rede ist. Bei den Texten über Männer stechen Wörter wie „Gewinn“, „äußern“, „behalten“ und „Kosten“ hervor (Abbildung 1). Diese Wörter sind eher dem Bereich Wirtschaft zuzuordnen.
Auch in den Texten über Vorstandsvorsitzende zeigen sich unterschiedliche Muster nach dem Geschlecht der beschriebenen Person: Unter den 25 Wörtern mit der größten Vorhersagekraft dafür, dass es in dem Artikel um einen Mann geht, dominieren Begriffe aus den Bereichen Wirtschaft (zum Beispiel „aufbauen“, „Rendite“, „Unternehmer“ beziehungsweise „Unternehmerin“) oder Führung (zum Beispiel „durchsetzen“, „Vorstandschef“ beziehungsweise „Vorstandschefin“, „Finanzvorstand“ beziehungsweise „Finanzvorständin“, „Chef“ beziehungsweise „Chefin“, …). Für Frauen als Vorstandsvorsitzende finden sich Wörter aus diesen Bereichen bei weitem nicht so häufig, dafür überwiegen neutrale Wörter wie „beteiligen“, „abschließen“ oder „tätig“ (Abbildung 2).
Auffallend ist zudem, dass das Geschlecht nur in den Artikeln über Frauen thematisiert wird, wie sich an der Häufigkeit der Wörter „Frau“ und „weiblich“ zeigt. In Texten über Männer kommen Wörter wie „Mann“ oder „männlich“ kaum vor. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Normvorstellung von Vorstandsvorsitzenden so stark männlich assoziiert ist, dass bei Männern das Geschlecht ungenannt bleiben kann, während „Frau“ eine Abweichung darstellt und daher sprachlich hervorgehoben wird. In den Texten über Frauen als Vorstandsvorsitzende wird auch öfter über andere Charakteristika wie Herkunft („Amerikanerin“, „stammen“) berichtet als in den Artikeln über Männer.Die Ursache der häufigeren Nennung von herkunftsbezogenen Wörtern in Artikeln über Frauen könnte auch darin liegen, dass weibliche Vorstandsmitglieder häufiger aus dem Ausland rekrutiert werden als Männer, siehe dazu AllBright Stiftung (2023): Frauen finden: Unternehmen setzen auf Headhunter, um mehr Vielfalt in die Vorstände zu bringen. AllBright Bericht, Juni (online verfügbar).
Die häufigere Nennung von Wörtern aus dem Bereich Familie in Artikeln, in denen es um Frauen als Vorstands- oder Aufsichtsratsvorsitzende geht, zeigt sich auch auf Basis einer alternativen Methode der quantitativen Textanalyse, des wörterbuchbasierten Ansatzes (Kasten). Hierzu wird das Wörterbuch „Familie“ des Linguistic Inquiry and Word Count (LIWC), einem wissenschaftlichen Programm zur Erforschung von Themen, Sentimenten und anderen psychologischen Prozessen in quantitativen Textanalysen, herangezogen. Die Nutzung von Begriffen aus dem Bereich Familie wird dabei anhand von normalisierten Worthäufigkeiten in Texten über weibliche und männliche Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzende quantifiziert.
In allen hier untersuchten Jahren zeigt sich ein statistisch signifikanter Unterschied in der Verwendung von Wörtern aus dem Bereich Familie in Artikeln über Männer und Frauen. Familienbezogene Begriffe werden gemessen an der normalisierten Worthäufigkeit in allen Jahren mehr als doppelt so häufig in Artikeln über Frauen als in Artikeln über Männer verwendet.Detaillierte Analyseergebnisse und Zahlen sind auf Anfrage bei den Autorinnen dieses Wochenberichts erhältlich.
Ein Grund für die häufigere Nennung von familiären Attributen in der Berichterstattung über weibliche Führungspersonen könnte sein, dass Frauen in solchen Positionen häufiger als Männer verheiratet sind und Kinder haben. Wäre das der Fall, dann wäre die häufigere Beschreibung der familiären Situation weiblicher Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender nicht Geschlechterstereotypen geschuldet, sondern der tatsächlichen Verteilung soziodemografischer Charakteristika dieser Gruppe. Um dies zu überprüfen, wurden Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet. Auf Basis dieses Datensatzes lassen sich Analysen des Familienstandes und der Kinderzahl für unterschiedliche Berufsgruppen durchführen.
Während der Anteil verheirateter Frauen und Männer im Durchschnitt aller SOEP-Befragten bei etwa 50 Prozent liegt, beträgt er bei Personen, die als Berufsgruppe „Management“ angeben, bei Männern über 60 Prozent, bei Frauen jedoch nur rund 45 Prozent und damit signifikant weniger. Ebenso ist der Anteil der Männer, die mit Kindern unter 18 Jahren im Haushalt leben, unter allen SOEP-Befragten mit 20 bis 25 Prozent bei Frauen und Männern in etwa gleich hoch. Unter Managern ist er mit etwa 35 Prozent aber deutlich höher als bei Managerinnen mit etwa 28 Prozent (Abbildung 3).
Damit zeigt sich, dass die häufigere Nennung familiärer Attribute in Zeitungsartikeln über Frauen in hohen Führungspositionen von DAX-Unternehmen nicht von der Realität gedeckt ist. Die tatsächlichen Geschlechterunterschiede bei Personen in Managementpositionen gehen in die entgegengesetzte Richtung: Frauen in dieser Gruppe sind seltener verheiratet und leben zudem auch seltener mit Kindern im selben Haushalt als Männer dieser Gruppe.
Die nach wie vor geringe Zahl von Frauen in hohen Führungspositionen in den größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland hat zahlreiche Gründe. Hierzu gehören tief in der Gesellschaft verwurzelte geschlechterstereotype Zuschreibungen über die Eigenschaften und Fähigkeiten von Frauen und Männern. Ein Kanal, über den Geschlechterstereotype verbreitet werden, ist die Medienberichterstattung über Frauen und Männer in herausgehobenen Positionen.
Die hier vorgestellte Analyse zeigt, dass in drei großen überregionalen deutschen Zeitungen die Berichterstattung über Frauen und Männer in Vorständen und Aufsichtsräten der insgesamt 160 DAX-Unternehmen Geschlechterstereotype aufgreift: Frauen werden häufiger als Männer mit Begriffen in Zusammenhang mit Familie beschrieben. Diese Begriffe, zum Beispiel „Mutter“ oder „Kind“, werden typischerweise nicht mit hohen Führungspositionen assoziiert. Wörter aus den Bereichen Wirtschaft und Führung hingegen werden häufiger in Artikeln über Männer in Vorständen und Aufsichtsräten verwendet.
Zudem zeigt sich, dass die Berichterstattung, die Frauen eher mit familiären Attributen beschreibt als Männer, nicht mit der tatsächlichen Verteilung soziodemografischer Charakteristika in der Gruppe von Personen in Managementpositionen übereinstimmt. Im Gegenteil: Managerinnen sind seltener verheiratet und leben seltener mit Kindern zusammen als Manager, obwohl die jeweiligen Anteile in der Gesamtbevölkerung nahezu identisch sind.
Häufig wird als Argument für die ausführlichere Berichterstattung über die familiäre Situation von Frauen in herausgehobenen Managementfunktionen das öffentliche Interesse daran genannt. Leser*innen würden sich gerade aufgrund der für Frauen größeren Herausforderung, Beruf beziehungsweise Karriere und Familie zu vereinbaren, eher dafür interessieren als bei Männern. Auch wenn das zutreffen mag, hat diese Art der Berichterstattung für Frauen dennoch entscheidende Nachteile. Artikel über Frauen und Männer in diesen Positionen sind im Durchschnitt in etwa gleich lang. Bei gleicher Länge eines Artikels führt daher eine ausführliche Berichterstattung über die familiäre Situation bei Frauen zu weniger Informationen über andere Bereiche, insbesondere fachliche Kompetenz oder berufliche Eignung.
Da gerade Eigenschaften und Fähigkeiten aus den Bereichen Führung und Wirtschaft für eine erfolgreiche Karriere in hohen Führungspositionen von DAX-Unternehmen entscheidend sind, kann eine stereotypisierte Berichterstattung der Medien bestehende Geschlechterungleichheiten in hohen Führungspositionen der Privatwirtschaft verfestigen. Medien sollten sich ihrer Rolle als Transporteure von Geschlechterstereotypen bewusst sein und ihre Texte auf stereotype Darstellungen überprüfen.
Themen: Unternehmen, Gender, Finanzmärkte, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: J16;M14;M12
Keywords: women in management, gender equality, board diversity, gender stereotypes, NLP
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-3-2