Tief verankerte Geschlechterstereotype sind nach wie vor ein Problem: Interview

DIW Wochenbericht 3 / 2025, S. 40

Virginia Sondergeld, Erich Wittenberg

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Frau Sondergeld, inwieweit ist der Frauenanteil in den obersten Entscheidungsgremien der größten Unternehmen in Deutschland im letzten Jahr gestiegen? Die Repräsentation von Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten der größten Unternehmen hierzulande hat 2024 wie in den Jahren zuvor weiter zugenommen. Die 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland hatten im vierten Quartal 2024 einen Frauenanteil in ihren Vorständen von gut 19 Prozent, rund eineinhalb Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. In den 40 größten börsennotierten Unternehmen (DAX-40) gibt es mittlerweile sogar fast 26 Prozent Frauen in den Vorständen. Das entspricht einer Erhöhung um knapp drei Prozentpunkte. In den Aufsichtsräten liegt der Frauenanteil schon seit längerem auf einem höheren Niveau. Er hat dort, beispielsweise in der Top-200-Gruppe, ebenfalls leicht zugenommen und liegt nun bei gut 33 Prozent.

Wo hat es die meisten Zuwächse gegeben? Der Finanzsektor konnte aufholen. Bei den 100 größten Banken beispielsweise stieg der Anteil von Frauen in den Vorständen in den letzten zwei Jahren von gut 14 auf fast 21 Prozent. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass es in den Top-200-Unternehmen Ende vergangenen Jahres 13 Frauen als Vorstandsvorsitzende gab, vier mehr als ein Jahr zuvor. Trotzdem entspricht das insgesamt erst einem Anteil von sieben Prozent. Bei den DAX-40-Unternehmen werden mittlerweile drei von 40 Unternehmen von einer Frau geführt, mehr als je zuvor, seit im Rahmen des Managerinnen-Barometers Daten für diese Gruppe erhoben werden. Dies entspricht aber ebenfalls nur einem Anteil von gut sieben Prozent.

Wie viele Unternehmen haben mehr als eine Frau im Vorstand? Hier sehen wir definitiv eine positive Entwicklung in den letzten Jahren. Ein Vorstand, der rein aus Männern besteht, entspricht nicht mehr der sozialen Norm. Dazu hat auch das Mindestbeteiligungsgebot für Frauen in Vorständen beigetragen, das für Unternehmen, die paritätisch mitbestimmt und börsennotiert sind, gilt. Wenn sie einen Vorstand mit mehr als vier Personen haben, dann müssen sie mindestens eine Frau bestellen. In dieser Unternehmensgruppe gibt es mittlerweile fast kein Unternehmen mehr, das keine Frau im Vorstand hat. Das ist ein Trend, den wir auch in den anderen Unternehmensgruppen sehen.

Sie haben auch die Medienberichterstattung über Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von DAX-Unternehmen untersucht. Inwieweit spiegelt sich die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern in Führungspositionen in der medialen Berichterstattung wider? Wir haben große Unterschiede in der Berichterstattung entdeckt, die auch mit Geschlechterstereotypen zusammenhängen. Beispielsweise haben wir herausgefunden, dass in Zeitungsartikeln über Frauen öfter familienbezogene Begriffe verwendet werden. Weiterhin haben wir uns angeschaut, welche Worte vorhersagen, ob ein Artikel über einen Mann oder eine Frau geschrieben wurde und herausgefunden, dass Begriffe aus dem Bereich Wirtschaft eher Vorhersagen für Artikel über Männer sind, während Begriffe aus dem Bereich Familie voraussagen, dass ein Artikel von einer Frau handelt.

Inwieweit hat das Nachteile für den Karriereweg von Frauen? Tief verankerte Stereotype spielen eine Rolle dabei, ob Frauen und Männer eine Führungsposition erreichen, weil sie sowohl ihre Entscheidungen und ihre Ambitionen, in eine solche Position zu gelangen, aber auch die externen Bewertungen beeinflussen. Und wenn die Medien nun diese Stereotype, beispielsweise eine Familienorientierung von Frauen, widerspiegeln, dann trägt das dazu bei, dass sich solche Stereotype in den Köpfen der Menschen festsetzen und langfristig die Karrierewege von Frauen und Männern verzerren.

O-Ton von Virginia Sondergeld
Tief verankerte Geschlechterstereotype sind nach wie vor ein Problem - Interview mit Virginia Sondergeld

Virginia Sondergeld

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics

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