Die Bekämpfung von Kinderarmut ist möglich: Kommentar

DIW Wochenbericht 3 / 2025, S. 44

Marcel Fratzscher

get_appDownload (PDF  117 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  3.08 MB - barrierefrei / universal access)

Mit großen Ambitionen war die Bundesregierung angetreten, um Kinderarmut durch die Einführung einer Kindergrundsicherung zu bekämpfen. Diese Kindergrundsicherung steht jedoch nun vor dem Scheitern, auch weil es vielen nicht um den Inhalt geht, sondern um Wahlkampf. Es gibt jedoch ein anderes Instrument, um Kinderarmut zu reduzieren und soziale Teilhabe zu verbessern, das schnell und unbürokratisch umgesetzt werden könnte und dem Staat zudem kein zusätzliches Geld kostet: Die Reform der Kinderfreibeträge.

Sehr vereinfacht erklärt gibt es aktuell drei zentrale Elemente für die finanzielle Förderung von Kindern in Deutschland: Erstens, die Grundsicherung, also das Kindergeld. Das erhalten alle Familien mit Kindern bis mindestens 18 Jahre oder maximal 25 Jahre, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Der Betrag wurde unter dieser Bundesregierung signifikant erhöht und beträgt heute 255 Euro pro Kind und Monat. Zweitens, der Kinderzuschlag. Viele von Armut bedrohte Familien können einen Kinderzuschlag beantragen, der maximal weitere 297 im Monat betragen kann. Das dritte Element sind die Freibeträge für Bildung, Erziehung und Ausbildung (BEA-Freibeträge), die Eltern für diese Zwecke steuerlich geltend machen können. Diese Freibeträge sind progressiv: Je höher die Einkommen der Eltern, desto höher die steuerlichen Vorteile, die je Elternteil bis zu 3192 Euro pro Kind und Jahr für Spitzenverdienende betragen können.

Diese BEA-Freibeträge unterstreichen die nicht mehr zeitgemäße Logik des deutschen Steuersystems. Eine Gesellschaft, die Chancengleichheit für alle Kinder und die Förderung von Talenten und Fähigkeiten jedes Kindes gleichermaßen in den Mittelpunkt stellt, sollte mehr Geld für Kinder in einkommensschwächeren Haushalten als für Haushalte mit hohen Einkommen zur Verfügung stellen. Die Logik des deutschen Steuersystems fokussiert sich jedoch auf eine so genannte horizontale Gleichbehandlung – ein Paar mit Kindern soll finanziell gegenüber einem Paar ohne Kinder nicht schlechter gestellt sein. Da einkommensstarke Paare deutlich mehr Geld für ihre Kinder ausgeben, sollen sie auch mehr finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten – so die Logik.

Die Konsequenzen dieser Logik sind für Gesellschaft und Wirtschaft katastrophal. Der Bildungsabschluss der Kinder hängt viel stärker vom Einkommen und der Bildung der Eltern ab. Für viele junge Menschen bedeutet dies weniger soziale und politische Teilhabe. Und der Wirtschaft und Gesellschaft entgeht dadurch ein riesiges Potenzial durch fehlende Fachkräfte.

Eine neue Studie der DIW Econ (einer Tochtergesellschaft des DIW Berlin) im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO) berechnet, wie hoch die Freibeträge sind und wie sich diese über Familien verteilen: Eine Kürzung der BEA-Freibeträge auf das gesetzliche Minimum würde dem deutschen Staat knapp 3,5 Milliarden Euro im Jahr einsparen.

Dies ist eine beträchtliche Summe, die zielgenauer auf bedürftige Kinder umverteilt werden könnte und sollte. Die Empfehlung der AWO aus diesen Berechnungen ist, dass diese 3,5 Milliarden Euro für die Erhöhung des Kinderzuschlags genutzt werden sollten. Das wären knapp 120 Euro im Monat mehr für jedes von Armut betroffene Kind. Dieses Geld könnte für die Betroffenen einen nennenswerten Unterschied ausmachen, Kindern und Jugendlichen soziale Teilhabe und bessere Bildungschancen zu ermöglichen.

Zu häufig werden Vorschläge zur Armutsbekämpfung mit dem Argument abgelehnt, es sei kein Geld dafür vorhanden. Eine Reform der BEA-Freibeträge widerlegt dieses Argument. Die Bundesregierung könnte sehr schnell und recht zielgenau Kinder aus einkommensschwachen Haushalten finanziell besser unterstützen, ohne dass dies den Staat auch nur einen Euro mehr kostet.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 3. Januar 2025 bei ZEIT Online erschienen.

keyboard_arrow_up