Brandanschläge auf das DIW Berlin: „Denkschmiede des Kapitalismus“

Das DIW Berlin wird immer mal wieder für seine Forschung und die Vorschläge, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daraus ableiten, kritisiert. Heute sind durch die sozialen Netzwerke die Kommunikationswege andere geworden, aber auch in der Vergangenheit wurde Kritik an der Arbeit des DIW geübt. Aus einer sachlichen Kritik wurde in der Vergangenheit sogar Gewalt. Wir blicken zurück auf gleich drei Brandanschläge auf das DIW Berlin in den Jahren 2004 bis 2009.

Als Andrea Jonat am 5. Januar 2004 zur Arbeit ging, fand sie eine Szene vor, die sie bis heute nicht vergessen hat. „Ich bin morgens angekommen und abgebrannte Möbel und verkokelte Unterlagen lagen im Vorgarten des damaligen Institutsgebäudes in Berlin-Steglitz. Die Räume haben nach Rauch und angeschmorten Kabeln gerochen“, erzählt die Mitarbeiterin, die seit 1998 in der Personalabteilung des DIW Berlins tätig ist. Für Jonat hatte der Anschlag auch ganz konkrete Folgen für ihre Arbeit: Der Brand hatte die Kartei vernichtet, in der Krankheits- und Urlaubstage verzeichnet wurden. „Das war alles schwer, zu rekonstruieren“, erinnert sich Jonat heute. Auch eine ehemalige Mitarbeiterin der Kommunikationsabteilung erinnert sich an den Morgen nach dem Anschlag. Die Büros ihrer Abteilung lagen über den ausgebrannten Räumen. „Wir mussten bei offenen Fenstern arbeiten, weil es so furchtbar gestunken hat“, erzählt sie.

„militante Gruppe“ bekannte sich zum Anschlag

Was war passiert? In der Silvesternacht 2003/2004 hatten Unbekannte einen Brandanschlag auf das Institut verübt, indem sie Feuerwerkskörper in zwei Räume im Erdgeschoss warfen. Damals hatte das DIW Berlin seine Räume noch in der Königin-Luise-Straße im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf. Später bekannte sich eine Vereinigung zu dem Anschlag, die sich „militante Gruppe“ – kurz mg – nannte. Bei dem Anschlag brannte ein Büro aus, der Sachschaden habe sich einer ersten Schätzung zufolge auf 40.000 Euro belaufen.infoVergl. https://www.welt.de/print-welt/article283712/Brandanschlag-auf-Wirtschaftsinstitut.html  Die Feuerwehr musste sogar, um den Brand löschen zu können, die Eingangstür aufbrechen. Mitarbeiter der Feuerwehr hatten die Möbelreste nach draußen geworfen, wahrscheinlich um sicher zu gehen, dass sie nicht mehr brannten. So kam das Bild zustande, das sich Andrea Jonat aus der Personalabteilung am ersten Arbeitstag nach dem langen Wochenende vor dem Gebäude zeigte.

Auf dieses Gebäude des DIW Berlin in Berlin-Dahlem wurden die Brandanschläge verübt.
© DIW Berlin

Verschiedene Medien berichteten über die Anschläge und zitierten aus dem Bekennerschreiben der „militanten Gruppe“. Daraus ging die Motivation der Täter hervor: Das DIW sei „Denkfabrik und Schulungsschmiede des Kapitals“, deshalb solle es „angegriffen und zerschlagen“ werden.info Vergl. https://www.welt.de/print-welt/article283712/Brandanschlag-auf-Wirtschaftsinstitut.html Auch Martin Gornig, der seit 1988 am DIW als Wissenschaftler tätig ist, erinnert sich an eine gewisse Aufregung, die nach dem Brandanschlag im DIW herrschte. „Wir haben uns schon gefragt, wie es dazu kommen kann“, sagt Gornig heute.

Selbst in der linken Zeitung Neues Deutschland fand ein Journalist deutliche Worte für den Brandanschlag aus dem links-autonomen Spektrum. Kennen würden die Täter das DIW offenbar nicht, schrieb Jörg Staude am 03.01.2004. „Wenn Wirtschaftsforscher gegen den neoliberalen Zeitgeist anschwimmen, dann die Berliner.“ Weiter heißt es in dem Text im Neuen Deutschland: „Ohnehin wird Sozialabbau nicht betrieben, weil manche Ökonomen ihn fordern – die Politik hört auf deren Rat nur, wenn es ihr in den Kram passt.“

Zweiter Anschlag im Verfassungsschutzbericht genannt

Im November 2005 kam es dann zu einem weiteren Anschlag durch die gleiche Gruppe auf das DIW-Gebäude, der sogar Erwähnung im Verfassungsschutzbericht der Bundesregierung findet. Dort heißt es: „Die mg begründete den Anschlag mit der Rolle des DIW als ‚Stichwortgeber' für die Politik. Die gegen die ‚deklassierten und marginalisierten Gesellschaftssektoren‘ gerichteten Reformvorschläge von Instituten wie dem DIW würden häufig unverändert in praktische Politik umgesetzt. Damit seien sie ‚institutioneller Teil des organisierten Klassenangriffs von oben‘ und somit erstrangige Ziele militanter Interventionen.“info Verfassungsschutzbericht 2005, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975918/762272/4a874053973cdf17c44d415189ba834e/2006-05-22-verfassungsschutzbericht-2005-data.pdf     Die Bedrohungslage wurde sogar als Argument für den Umzug des DIW Berlin in ein modernes Gebäude in Berlin-Mitte angeführt, weil das alte Gebäude im Ortsteil Dahlem schwerer zu schützen sei, wie die Berliner Zeitung berichtete.infoWolf, Sebastian (2005): Ende der Beschaulichkeit, erschienen in Berliner Zeitung, abrufbar unter: https://www.berliner-zeitung.de/archiv/das-diw-will-von-dahlem-nach-berlin-mitte-umziehen-stoesst-dabei-aber-auf-massiven-widerstand-ende-der-beschaulichkeit-li.653187

Das DIW Berlin war tatsächlich das erste Wirtschaftsforschungsinstitut, das von linken Gruppen angegriffen worden ist. In den Folgejahren gab es weitere Attacken, etwa gegen Thomas Straubhaar, den Chef des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts HWWI, dessen Auto 2006 aus seinem Carport gezogen und vor seinem Wohnhaus angezündet worden ist. Die damalige DIW-Geschäftsführerin Susanna Maria Schmidt sagte der Berliner Zeitung dazu: „Das ist ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Forschung. Das rüttelt an den Grundfesten der Demokratie.“infoKaufmann, Stephan (2006): Mit Feuer und Flamme, erschienen in Berliner Zeitung, abrufbar unter: https://www.berliner-zeitung.de/archiv/das-diw-will-von-dahlem-nach-berlin-mitte-umziehen-stoesst-dabei-aber-auf-massiven-widerstand-ende-der-beschaulichkeit-li.653187  Im Jahr 2009 kam es noch einmal zu einem Anschlag, dieses Mal auf den Dienstwagen des damaligen DIW-Präsidenten Klaus F. Zimmermann in Berlin-Kreuzberg.infoVergl. https://www.bild.de/regional/berlin/brandanschlag-auf-auto-des-diw-in-kreuzberg-9200872.bild.html

Situation heute ist eine andere

Wenn man mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht, die damals die Anschläge erlebt haben, wird klar: Dieser erste Anschlag 2004 war wirklich überraschend. Andrea Jonat aus der Personalabteilung erinnert sich noch an die damalige Zeit. Sie habe die Kritik am Institut gar nicht richtig mitbekommen. „Soziale Medien waren noch nicht richtig verbreitet“, erinnert sie sich. „Wir bekamen auch noch nicht – so wie heute – zig Mails mit Kritik an Forderungen des DIW. Auch deshalb kam dieser Anschlag völlig unerwartet.“

Wissenschaftler Martin Gornig, der heute als Forschungsdirektor für Industriepolitik in der Abteilung Unternehmen und Märkte arbeitet, sagt, man könne die Situation damals und heute nicht vergleichen. „Das DIW war zwar schon immer dafür bekannt, dass es manchmal Positionen im wirtschaftlichen Raum vertrat, die nicht dem Mainstream entsprachen.“ Die Situation sei aber eine völlig andere gewesen. „Die heutigen Kanäle etwa mit den sozialen Medien werden ganz anders genutzt.“ Auch scheint die Kritik heute aus einer anderen Richtung zu kommen: Waren es in den 2000er-Jahren vor allem linke Gruppierungen, die die Arbeit des DIW Berlin kritisierten, sind es heute eher Stimmen aus rechten Kreisen, die Kritik üben, die teilweise auch sehr unsachlich angeführt wird.

Autorin: Lena Högemann

100 JAHRE DIW BERLIN IN FÜNF EPOCHEN

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