„Wir sind noch weit weg von gleicher Repräsentation in der Ökonomie“ – Clara Schäper über Frauen in den Wirtschaftswissenschaften

Wie steht es um die Gleichberechtigung von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften? Clara Schäper arbeitet als Doktorandin am DIW Berlin und forscht in den Bereichen Gender- und Familienökonomie, Arbeitsökonomie und angewandte Mikroökonometrie. Sie ist Vorstandsmitglied der Women in Economics Initiative. Im Interview spricht sie über Sichtbarkeit und Repräsentanz von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften, #EconMeToo und über Vorbilder und Pionierinnen.

Sie sind im Vorstand der Women in Economics. Was ist das für eine Organisation und warum braucht es sie?

Clara Schäper: Women in Economics ist ein internationales Netzwerk von Ökonom*innen, die sich für Chancengleichheit, Sichtbarkeit und eine inklusive Kultur in den Wirtschaftswissenschaften einsetzt. Es geht uns um die Repräsentanz von Frauen und non-binären Menschen. Wir wollen ihre Beiträge in den Wirtschaftswissenschaften sichtbar machen, uns vernetzen, informieren und empowern. Denn wir wissen, dass wir hier von einer gleichen Repräsentanz der Geschlechter noch weit weg sind. Das zeigen auch die Zahlen.

Clara Schäper ist seit 2020 als Doktorandin am DIW Berlin Graduate Center. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Gender- und Familienökonomie, Arbeitsökonomie, angewandte Mikroökonometrie sowie in der Schnittstelle dieser Bereiche.
© DIW Berlin/ F. Schuh

Was für Zahlen sind das und was zeigen sie genau?

Schäper: Das zeigt sich an verschiedenen Zahlen. So betrachten wir in unserem WiE Index die Entwicklung des Anteils von Frauen in führenden Positionen in der Ökonomie in den Bereichen Wissenschaft, sowie im privaten und öffentlichen Sektor.   Die Ergebnisse für 2024 zeigen ein deutliches Ungleichgewicht: In der Wissenschaft stellen Frauen nur neun Prozent der Top-Autor*innen ökonomischer Fachliteratur, 22 Prozent der Leiter*innen von Think Tanks und 23 Prozent der Professor*innen an führenden Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten. In der Privatwirtschaft sind 20,9 Prozent der Chefökonom*innen in den größten globalen Unternehmen Frauen, bei Versicherungen sind es nur 7,1 Prozent, bei Banken 26,3 Prozent. Im öffentlichen Sektor liegt der Frauenanteil bei 11,7 Prozent unter den Zentralbankgouverneur*innen, bei 16,5 Prozent unter den Finanzminister*innen, bei 21,4 Prozent in nationalen Wirtschaftswissenschaftlichen Beiräten und bei 22,7 Prozent unter den Chefökonom*innen internationaler Institutionen.  Das sind nur Ausschnitte, aber wir wissen ganz klar: Wir sind weit weg von einer ausgeglichenen Repräsentanz aller Geschlechter in der Wirtschaft und den Wirtschaftswissenschaften.infoBuehler, D., García, Q., John, J., Oladepo, S., Poonamallee, L., Raith, J., Seidlitz, A., Singh, Y., Wagner, S., & Zillur, K. (2024, December). The Women in Economics Index 2024. The Women in Economics Initiative e.V., Dezember 2024: https://www.women-in-economics.com/_files/ugd/8ba6dc_0afb39b1793b49b7a90c637a713570a7.pdf

„Wir sind noch weit weg von gleicher Repräsentation in der Ökonomie“, sagt Clara Schäper im Interview. Diese Zahlen zeigen es.
© DIW Berlin

Gibt es denn Bereiche in der Ökonomie, wo es schon Fortschritte in Sachen Gleichberechtigung gibt?

Schäper: Wenn wir uns den Frauenanteil weltweit anschauen, die einen PhD machen, hat sich da etwas getan. Waren in dem PhD Jahrgang (1972) von Claudia Goldin, die 2023 für ihre Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden am Arbeitsmarkt den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat, noch unter fünf Prozent Frauen, liegt der Frauenanteil bei denen, die einen PhD in Economics machen mittlerweile bei über zwanzig Prozent. Wir in Deutschland liegen da ziemlich genau im weltweiten Schnitt.infoDiese Zahlen beruhen auf den bei RePEc Author Service registrierten Ökonom*innen. Sie zeigen den Frauenanteil in den jeweiligen Abschlusskohorten von 1971 bis 2023. Die Daten stammen aus IDEAS/RePEc (Female representation in Economics by cohort, https://ideas.repec.org/top/female.html. Siehe auch: Contextualising Claudia Goldin’s Nobel Prize win; why this is a turning point. Women in Economics Initiative, Blog Post, October 2023, https://www.women-in-economics.com/post/contextualising-claudia-goldin-s-nobel-prize-win-why-this-is-a-turning-point o Es ist natürlich erfreulich, dass sich da etwas tut. Wenn man sich die Zahlen genauer anguckt, fällt aber auf, dass es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften große Unterschiede gibt. Der Frauenanteil in den Forschungs-Themenfeldern Arbeit und Gesundheit beispielsweise ist wesentlich höher als in der Makroökonomie.infoSiehe: A. Boschini, A. Sjögren, Is team formation gender neutral? Evidence from coauthorship patterns. J. Labor Econ. 25, 325–365 (2007). und Auriol, E., Friebel, G., Weinberger, A., & Wilhelm, S. (2022). Underrepresentation of women in the economics profession more pronounced in the United States compared to heterogeneous Europe. Proceedings of the National Academy of Sciences, 119(16), e2118853119. Und vor allem zeigt unser WiE Index und auch der Anteil der publizierenden Autorinnen, dass es in den letzten fünf Jahren kaum weitere Veränderung in Richtung mehr Repräsentanz gegeben hat.infoSchuetz, J., V. Sondergeld, and I. Weilage (2024): “The Women in Economics Index-Monitoring Women Economists’ Representation in Leadership Positions,” DIW Discussion Papers, 2076.

Es ist natürlich erfreulich, dass sich da etwas tut. Wenn man sich die Zahlen genauer anguckt, fällt aber auf, dass es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften große Unterschiede gibt. Der Frauenanteil in den Forschungs-Themenfeldern Arbeit und Gesundheit beispielsweise ist wesentlich höher als in der Makroökonomie.Es ist natürlich erfreulich, dass sich da etwas tut. Wenn man sich die Zahlen genauer anguckt, fällt aber auf, dass es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften große Unterschiede gibt. Der Frauenanteil in den Forschungs-Themenfeldern Arbeit und Gesundheit beispielsweise ist wesentlich höher als in der Makroökonomie.Es ist natürlich erfreulich, dass sich da etwas tut. Wenn man sich die Zahlen genauer anguckt, fällt aber auf, dass es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften große Unterschiede gibt. Der Frauenanteil in den Forschungs-Themenfeldern Arbeit und Gesundheit beispielsweise ist wesentlich höher als in der Makroökonomie.Diese Zahlen beruhen auf den bei RePEc Author Service registrierten Ökonom*innen. Sie zeigen den Frauenanteil in den jeweiligen Abschlusskohorten von 1971 bis 2023. Die Daten stammen aus IDEAS/RePEc (Female representation in Economics by cohort, https://ideas.repec.org/top/female.html. Siehe auch: Contextualising Claudia Goldin’s Nobel Prize win; why this is a turning point. Women in Economics Initiative, Blog Post, October 2023, https://www.women-in-economics.com/post/contextualising-claudia-goldin-s-nobel-prize-win-why-this-is-a-turning-point

Der Anteil von Frauen in den Wirtschaftswissenschaften ist seit 1970 gestiegen, aber das Verhältnis von Frauen und Männern ist noch lange nicht ausgeglichen.
© DIW Berlin

Als neulich Bundeskanzler Friedrich Merz zum Investitionsgipfel im Kanzleramt lud, entstand ein Foto, auf dem genau zwei Frauen zu sehen sind: die Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) und die Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp. In den sozialen Netzwerken und Kommentarspalten der Zeitungen riss die Kritik nicht ab. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen bei den Women in Economics?

Schäper: Leider ist das nicht das erste Mal gewesen, dass ich in den letzten Wochen mit Friedrich Merz und dem Thema Gleichstellung in den Schlagzeilen in Berührung kam. Der Bundeskanzler ist uns in der Initiative auch damit aufgefallen, dass er gesagt hat, dass Männer eine „bessere Begabung und Befähigung hätten, Netzwerke zu bilden und sich gegenseitig zu unterstützen“. Friedrich Merz ist ja nicht irgendwer, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, einer der größten Volkswirtschaften weltweit. Und er stellt sich hin und behauptet, dass Männer quasi von Natur aus besser im Netzwerken seien. Damit sagt er indirekt auch, dass es richtig sei, dass so viel mehr Männer in Führungspositionen der Wirtschaft sind als Frauen. Genau solchen Klischees wollen wir bei Women in Economics entgegenwirken.

Wie arbeiten denn die Women in Economics und was bieten sie konkret?

Schäper: Wir arbeiten sehr niedrigschwellig. Zum Teil fangen schon Schülerinnen als Freiwillige bei uns an. Wir vernetzen Menschen, die gerade ihre Karriere in den Wirtschaftswissenschaften beginnen mit solchen, die schon erfolgreich im Karriereaufbau sind. In unserem Mentoring-Programm gibt es zum Beispiel ganz konkrete Hilfestellungen. Und es geht bei uns auch darum, weibliche Vorbilder zu zeigen und zu finden. Zum Beispiel durch unsere Spotlight-Reihe, in der wir Ökonom*innen vorstellen, die in der Wissenschaft, im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft arbeiten. So zeigen wir, wie vielfältig Karrieren in der Ökonomie aussehen können – und dass Frauen* in allen Bereichen eine wichtige Rolle spielen. Außerdem organisieren wir online und offline Netzwerktreffen, Workshops und seit diesem Jahr eine neue wissenschaftliche Brown Bag Seminarreihe. All das wird getragen vom ehrenamtlichen Engagement unserer über 60 freiwilligen Mitarbeiter:innen aus der ganzen Welt.

Haben Sie denn selbst Vorbilder oder gibt es Pionierinnen, die Sie geprägt haben?

Schäper: Tatsächlich gibt es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften verschiedene Frauen, die mich sehr geprägt haben. Der ersten bin ich schon in meinem Bachelor-Studiengang begegnet. Michèle Tertilt war Professorin in Mannheim und hatte eine Stelle als studentische Hilfskraft ausgeschrieben, wo ich mich direkt im ersten Studienjahr beworben habe. In meiner Arbeit für sie habe ich viel über Forschung gelernt, aber auch über strukturelle Ungleichheiten in den Wirtschaftswissenschaften. Natürlich ist auch Claudia Goldin, Wirtschaftsnobelpreisträgerin von 2023 ein absolutes Vorbild für mich. Ich habe sie sogar bei einem Forschungsaufenthalt in Harvard persönlich getroffen und hatte das Privileg mit ihr über meine Forschung zu sprechen, was mir sehr viel bedeutet hat. Vorbilder und Pionierinnen müssen aber nicht immer diese großen Namen sein. Mich haben auch Frauen geprägt, die mir in meiner WG-Küche oder in der Familie oder Freundeskreis begegnet sind. Auch meine Mutter und meine älteren Schwestern sind absolute Vorbilder für mich.

Claudia Goldin erhielt 2023 für ihre Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden am Arbeitsmarkt den Wirtschaftsnobelpreis.
© Wikimedia Commons

Wie sind Sie denn zu dem Netzwerk gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zu den Women in Economics geführt hat?

Schäper: Ich habe schon seit Beginn des Studiums versucht, mich zu engagieren und habe dabei früh gelernt, wie wichtig Netzwerke sind – und wie viel Motivation für den beruflichen Werdegang mitgenommen werden kann, wenn man sich mit Leuten zusammenschließt, die Lust haben, die Ökonomie als Profession inklusiver und fairer zu gestalten. Angefangen habe ich in der Fachschaft an der Uni Mannheim, als Masterstudiengangsvertreterin an der Paris School of Economics und später als PhD-Studierendenvertreterin in Berlin. Ich habe auch schnell verstanden, dass es Frauen oft passiert, dass sie in repräsentative Funktionen gedrängt werden, weil sie eine Frau sind, die ihrer Karriere gar nichts bringen, zum Beispiel wenn man in einer Auswahlkommission auch eine weibliche Stimme haben will. Ich wollte mich einbringen, aber eben auch etwas machen, das mir mit meiner Karriere hilft. Ein konkreter Auslöser bei WiE aktiv zu werden war dann tatsächlich mein persönliches  Netzwerk selbst: Women in Economics wurde vor ca. sechs Jahren gegründet. Ich habe das bei einer ehemaligen Mannheimer Fachschafts-Kollegin auf LinkedIn gesehen und war sofort begeistert und war erst einmal stilles Mitglied. Das hat sich geändert, als Virginia Sondergeld, eine der Mitgründer*innen von WiE und Kollegin von mir in der Gender Economics Gruppe am DIW, auf mich zukam. Sie hatte gesehen, wie ich mich zwei Jahre lang als Vertreterin der Doktorand*innen an der Berlin School of Economics und im DIW Graduate Center für bessere Strukturen eingesetzt habe. Als diese Studienvertretung endete, hat sie mich überzeugt, meine Energie bei WiE als zunächst als Freiwillige im „Writing and Editing“ Team weiter einzubringen. Im selben Jahr habe ich auch meinen Artikel zum Machtmissbrauch in der Wissenschaft veröffentlichtinfoSchäper, C. Addressing Sexual Misconduct & Power Abuse in Academia, Blogpost written with support from the Women in Economics Initiative writing & editing team, the Women in Economics Initiative, September 2023, abrufbar unter https://www.women-in-economics.com/post/addressing-sexual-misconduct-power-abuse-in-academia  und wurde in den Vorstand gewählt.

 In dem Artikel geht es um #EconMeToo, also Fälle von Belästigung und Missbrauch in den Wirtschaftswissenschaften. Es ist deutlich geworden, dass es auch in der Ökonomie diesen Machtmissbrauch gibt. Sie haben sich intensiv mit dem Phänomen beschäftigt. Wie kam es dazu? 

Schäper: Auslöser für #EconMeToo war, dass der Wirtschaftswissenschaftler Philip H. Dybvig 2022 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde und kurz darauf mehrere ehemalige Studentinnen – zuerst in chinesischen Foren - darauf aufmerksam machten, dass dieser Mann sie als ihr Professor sexuell belästigt hatte. Das hat in den Wirtschaftswissenschaften eine Welle ausgelöst. Die amerikanische Professorin Jennifer Doliac hat dann Berichte von betroffenen Frauen gesammelt und auf (damals) Twitter veröffentlicht. Für mich wurde es dann konkret, als sich ein Opfer aus dem Berliner Raum gemeldet hat. Ich war zu dieser Zeit PhD-Studierendenvertreterin am Graduate Center und der Berlin School of Economics. Der Fall lag schon einige Zeit zurück, aber die Frau konnte sehr klar aufzeigen, welche Instanzen sie damals durchlaufen ist und wie viel dabei innerhalb der Institutionen, selbst wenn man sich als Opfer mit dem Vorfall an die Universität wendet, schiefgegangen war. Wir haben das als Chance gesehen, das Thema auch hier in Berlin anzugehen. Die Frau hat berichtet, wie oft ihr Türen versperrt worden sind und ihr nicht zugehört wurde. Niemand hat sich damals zuständig gefühlt. Die Kosten lagen beim Opfer des Übergriffes. Wir wollten anhand der Erlebnisse dieses Falls daran arbeiten, die Strukturen zu verbessern. Zur ganzen Geschichte des Artikels gehört außerdem, dass wir eine größere Gruppe von Frauen waren, die ein Jahr lang sehr intensiv an diesem Thema gearbeitet haben und, den Artikel geschrieben haben, aber nur ich bin am Ende als Autorin aufgeführt.

Warum das?

Schäper: Ich arbeite im Bereich Gender Economics und Arbeitsmarktfragen. Da versperre ich mir im Besten Fall keinen Karriereweg, wenn ich über sexuellen Missbrauch in den Wirtschaftswissenschaften schreibe. Aber Kolleginnen aus anderen, männer-dominierteren Arbeitsfeldern der Ökonomie haben sich Sorgen gemacht, dass ihnen das in der Zukunft nicht positiv ausgelegt werden könnte oder ihrer Karriere sogar schadet. Zur Wahrheit gehört auch, dass man eben nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wird, wenn man auf Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung im Kontext von Lehre und Forschung hinweist.

Wenn Sie auf die Arbeit zu dem Thema zurückschauen, was waren wichtige Errungenschaften?

Schäper: Insgesamt war es nicht einfach, vor allem wenn man über die eigenen Strukturen hinausgeht. Denn zuständig ist lokal eigentlich das Land Berlin, auch mit dem Senat haben wir Gespräche geführt. Aber das Feld der Wirtschaftswissenschaften ist gleichzeitig extrem international ausgerichtet und Erfolg und Reputation basiert auch auf (informellen) internationalen Netzwerken, die gleichzeitig wenig rechtliche Befugnis haben in lokalen Institutionen einzugreifen. Eine große Errungenschaft war sicher die Organisation eines Panels zu dem Thema, das in Berlin organisiert wurde und dass es jetzt in der Berlin School of Economics und auch am DIW einen Code of Conduct gibt und für alle Mitglieder, auch Professor*innen, verpflichtende Trainings dazu. Es hat sich aber auch gezeigt, dass je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr Fragen auftauchen.

Gibt es etwas, das Sie gerade von männlichen Kollegen in diesem Zusammenhang erwarten?

Schäper: Als ich damals sehr intensiv neben meiner Forschung dazu gearbeitet habe, ist es mir passiert, dass mich männliche Kollegen beim Mittagessen fragen: Wie, ihr beschäftigt euch immer noch mit dem Thema? So, als wäre es doch sicher schon lange ausdiskutiert. Das waren Männer in meinem Alter, ganz sicher keine „alten weißen Männer“, und trotzdem fehlte das Verständnis dafür, was für ein großes Thema Machtmissbrauch und alles, was damit zusammenhängt, ist und dass dieses Thema wahrscheinlich nie ausdiskutiert sein wird. Insofern wünsche ich mir von Männern in den Wirtschaftswissenschaften, gerade von denen, die sich als Allies verstehen, das Bewusstsein dafür, dass Machtmissbrauch und sexueller Missbrauch ein Thema ist, das leider allgegenwärtig, wissenschaftlich erforscht und kontinuierlich, in jeder kleinen Interaktion, jeden Tag mitgedacht und angegangen werden muss.

Gab es konkrete Forderungen zum Umgang mit Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch?

Schäper: Wir haben in unserem Artikel, den wir als Women in Economcis Blogpost veröffentlichen konnten drei konkrete Handlungsempfehlungen verfasst. Es braucht mehr Unterstützung für die Opfer, sowohl finanzieller Art als auch psychologischer. Ganz konkret heißt das zum Beispiel: Wenn eine Studentin sexuelle Belästigung durch einen Dozierenden erfährt und dann diesen Kurs nicht mehr belegen kann, dann braucht es eine einfache Lösung, die dadurch verlorenen Kurs-Credits im gleichen Semester noch in einem anderen, verwandten Fach schnell anerkannt zu bekommen, sodass die negativen Auswirkungen dieser Erfahrung auf ihre Ausbildung und Karriere minimiert werden. Sollte sie als Konsequenz des Vorfalls länger studieren müssen, sollte auch das finanziell unterstützt werden. Der zweite Punkt ist Prävention zu institutionalisieren, also dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten für das Thema sensibilisiert sind und es Anlaufstellen mit genug Autorität gibt.  Dazu gehört zum Beispiel, dass es Ombudspersonen gibt, die unabhängig sind. Es ist tatsächlich nicht selten, dass eine Person Ansprechperson für sexuelle Übergriffe ist, die selbst abhängig von den Tätern ist. Organisationen – auch Universitäten - müssen Ansprechstellen schaffen, die wirklich die Autorität haben, diese Fälle aufzuklären. Auch im täglichen Miteinander muss erlernt werden, respektvoll miteinander umzugehen und trotzdem den Netzwerk-Charakter und die wichtigen Schauplätze, die oft nicht im Büro zu den Karriere-Sprüngen verhelfen als sichere und angenehme Orte für alle zu gestalten. Es ist zum Beispiel keine Lösung, wenn weibliche Doktorandinnen jetzt aus der Feierabend-Bier-Runde ausgeschlossen werden, damit es bloß keinen Anlass für Vorwürfe gibt. Das schafft nur neue Ungleichheiten. Damit das nicht passiert, müssen alle, ab der Einführungsveranstaltung im Bachelor bis zum bald emeritierten Professor wissen, was am Arbeitsplatz Universität und in Wissenschaftlichen Instituten angemessenes Verhalten ist und was eben nicht. Der dritte Punkt ist, dass klare und transparente Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen nationale Gesetze sowie bei Verstößen gegen den Code of Conduct bestehen. Diese müssen für alle nachvollziehbar sein und sicherstellen, dass sich eine Meldung an die Institutionen für die Betroffenen nicht als Nullsummenspiel - oder noch schlimmer, als Nachteil für sie selbst ohne Konsequenzen für die Täter - erweist.

Nochmal zurück zur Nobelpreisträgerin Claudia Goldin, die in ihrer Nobelpreisrede gesagt hat: „Die letzte Meile, das letzte Kapitel, der letzte Akt in der Saga der Geschlechterungleichheiten kann nicht geschrieben werden, bis Paare mehr teilen und bis die Arbeitswelt dies zu einer weniger kostspieligen Angelegenheit macht.“ Sie verweisen öfter auf dieses Zitat. Warum ist es Ihnen so wichtig?

Schäper: Ich glaube, dass Goldin dieses Zitat etwas allgemeiner gemeint hat, als ich es anwende. Aber gerade für Deutschland passt es sehr gut. Wir sind ein Land, in dem der Gender Care Gap besonders hoch ist. Ich forsche dazu hier am DIW Berlin und habe in einem Wochenbericht (PDF, 2.33 MB )sehr genau beschrieben, wie sich der Gender Care Gap und der der Gender Pay Gap im Lebensverlauf entwickeln. Die Unterschiede in der unbezahlten Sorgearbeit und dem Einkommen zwischen Männern und Frauen gehen eigentlich erst richtig los, wenn Kinder in das Leben von Erwachsenen kommen. Mit ungefähr dreißig Jahren, geht der Gender Pay Gap richtig auseinander und er schließt sich auch nicht wieder, wenn die Kinder älter werden. Das hat ganz konkret damit zu tun, wie Sorgearbeit innerhalb von Paaren aufgeteilt ist. Wenn Väter nicht anfangen, gleichberechtigt Sorgearbeit zu übernehmen, können sich die Arbeitsmarkteffekte für Frauen im Vergleich zu Männern nicht erholen. Genau daran denke ich, wenn ich an Goldins Satz denke, auch wenn sie das wahrscheinlich allgemeiner gemeint hat.Schäper, C. Addressing Sexual Misconduct & Power Abuse in Academia, Blogpost written with support from the Women in Economics Initiative writing & editing team, the Women in Economics Initiative, September 2023.

Mit dem Gender Care Gap kommt der Gender Pay Gap, wie diese Berechnung auf Grundlage von Daten des sozio-oekonomischen Panels zeigen.
© DIW Berlin

Am DIW gab es schon sehr früh bekannte Frauen auch in wichtigen Positionen, war das für Sie ein Grund, ans DIW zu kommen? Wie sehen Sie das Institut heute?

Schäper: Ich bin auf jeden Fall nicht zufällig zum DIW Berlin gekommen. Für mich gab es zwei Gründe, hier zu arbeiten. Zum einen hatte das DIW, die Forschungsgruppe Gender Economics und in dieser Form hat das eigentlich kein Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland. Diese Kombination aus Forschung in dem Bereich und Wissenstransfer hat mich sehr angesprochen. Außerdem gab und gibt es am DIW Berlin zwei Frauen, die für mich und meine Arbeit prägend waren und sind. Schon in meiner Bachelor-Arbeit an der Uni Mannheim habe ich sie viel zitiert: Katharina Spieß und Katharina Wrohlich. Spieß war Abteilungsleiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW, Wrohlich leitet die Forschungsgruppe Gender Economics. In meiner Bachelorarbeit ging es um die Effekte des Kita-Ausbaus auf die Erwerbstätigkeit von Müttern in Deutschland. Dazu hatten beide maßgeblich die Literatur geprägt. Einige Jahre später, als ich im Master einen Platz für mein Pflichtpraktikum gesucht habe, habe ich mich daher bei Katharina Wrohlich gemeldet. Es hat geklappt und ich habe mich am DIW Berlin sofort wohl gefühlt. Das hat die Entscheidung mich hier für meine Promotion zu bewerben sehr leicht gemacht. Das Institut ist für mich ein sehr guter Arbeitsplatz, weil ich weiß, dass die Themen, zu denen ich forsche, sehr ernst genommen werden – sowohl wissenschaftlich als auch institutsintern. Auch als ich mich mit dem Thema Machtmissbrauch in den Wirtschaftswissenschaften beschäftigt habe, wurde meine Arbeit dazu unterstützt, wertgeschätzt und zum Beispiel mein Women in Economics Blogpost in Kommentarform im Wochenbericht veröffentlicht.

Gibt es etwas, das Sie jungen Frauen raten würden, die sich für Volkswirtschaftslehre interessieren, aber vom männlich dominierten Image der Ökonomie abgeschreckt werden?

Schäper: Ich möchte den jungen Frauen sagen: Ihr werdet gebraucht. Ihr seid nicht allein. Und eure Perspektive zählt – gerade, weil sie bisher oft gefehlt hat. In manchen Bereichen ist die Geschlechterverteilung schon sehr ausgewogen, in anderen – etwa Makroökonomie – noch stark männerdominiert. Mein Rat: Vernetzt euch früh mit anderen Frauen, holt euch Rückhalt, aber geht auch mit Selbstbewusstsein in dieses Fach. Auch die Forschung zeigt: meist ist es weniger ein Skill Gap, als ein Confidence Gap, der zu ungleicher Repräsentanz in gewissen Bereichen führt. Frauen können genauso viel oder haben sogar bessere Qualifikationen, zweifeln aber häufiger an sich selbst.

Das Interview führte Lena Högemann.

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Clara Schäper
Clara Schäper

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Gender Economics

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