Wie sind Sie denn zu dem Netzwerk gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie zu den Women in Economics geführt hat?
Schäper: Ich habe schon seit Beginn des Studiums versucht, mich zu engagieren und habe dabei früh gelernt, wie wichtig Netzwerke sind – und wie viel Motivation für den beruflichen Werdegang mitgenommen werden kann, wenn man sich mit Leuten zusammenschließt, die Lust haben, die Ökonomie als Profession inklusiver und fairer zu gestalten. Angefangen habe ich in der Fachschaft an der Uni Mannheim, als Masterstudiengangsvertreterin an der Paris School of Economics und später als PhD-Studierendenvertreterin in Berlin. Ich habe auch schnell verstanden, dass es Frauen oft passiert, dass sie in repräsentative Funktionen gedrängt werden, weil sie eine Frau sind, die ihrer Karriere gar nichts bringen, zum Beispiel wenn man in einer Auswahlkommission auch eine weibliche Stimme haben will. Ich wollte mich einbringen, aber eben auch etwas machen, das mir mit meiner Karriere hilft. Ein konkreter Auslöser bei WiE aktiv zu werden war dann tatsächlich mein persönliches Netzwerk selbst: Women in Economics wurde vor ca. sechs Jahren gegründet. Ich habe das bei einer ehemaligen Mannheimer Fachschafts-Kollegin auf LinkedIn gesehen und war sofort begeistert und war erst einmal stilles Mitglied. Das hat sich geändert, als Virginia Sondergeld, eine der Mitgründer*innen von WiE und Kollegin von mir in der Gender Economics Gruppe am DIW, auf mich zukam. Sie hatte gesehen, wie ich mich zwei Jahre lang als Vertreterin der Doktorand*innen an der Berlin School of Economics und im DIW Graduate Center für bessere Strukturen eingesetzt habe. Als diese Studienvertretung endete, hat sie mich überzeugt, meine Energie bei WiE als zunächst als Freiwillige im „Writing and Editing“ Team weiter einzubringen. Im selben Jahr habe ich auch meinen Artikel zum Machtmissbrauch in der Wissenschaft veröffentlichtinfoSchäper, C. Addressing Sexual Misconduct & Power Abuse in Academia, Blogpost written with support from the Women in Economics Initiative writing & editing team, the Women in Economics Initiative, September 2023, abrufbar unter https://www.women-in-economics.com/post/addressing-sexual-misconduct-power-abuse-in-academia und wurde in den Vorstand gewählt.
In dem Artikel geht es um #EconMeToo, also Fälle von Belästigung und Missbrauch in den Wirtschaftswissenschaften. Es ist deutlich geworden, dass es auch in der Ökonomie diesen Machtmissbrauch gibt. Sie haben sich intensiv mit dem Phänomen beschäftigt. Wie kam es dazu?
Schäper: Auslöser für #EconMeToo war, dass der Wirtschaftswissenschaftler Philip H. Dybvig 2022 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde und kurz darauf mehrere ehemalige Studentinnen – zuerst in chinesischen Foren - darauf aufmerksam machten, dass dieser Mann sie als ihr Professor sexuell belästigt hatte. Das hat in den Wirtschaftswissenschaften eine Welle ausgelöst. Die amerikanische Professorin Jennifer Doliac hat dann Berichte von betroffenen Frauen gesammelt und auf (damals) Twitter veröffentlicht. Für mich wurde es dann konkret, als sich ein Opfer aus dem Berliner Raum gemeldet hat. Ich war zu dieser Zeit PhD-Studierendenvertreterin am Graduate Center und der Berlin School of Economics. Der Fall lag schon einige Zeit zurück, aber die Frau konnte sehr klar aufzeigen, welche Instanzen sie damals durchlaufen ist und wie viel dabei innerhalb der Institutionen, selbst wenn man sich als Opfer mit dem Vorfall an die Universität wendet, schiefgegangen war. Wir haben das als Chance gesehen, das Thema auch hier in Berlin anzugehen. Die Frau hat berichtet, wie oft ihr Türen versperrt worden sind und ihr nicht zugehört wurde. Niemand hat sich damals zuständig gefühlt. Die Kosten lagen beim Opfer des Übergriffes. Wir wollten anhand der Erlebnisse dieses Falls daran arbeiten, die Strukturen zu verbessern. Zur ganzen Geschichte des Artikels gehört außerdem, dass wir eine größere Gruppe von Frauen waren, die ein Jahr lang sehr intensiv an diesem Thema gearbeitet haben und, den Artikel geschrieben haben, aber nur ich bin am Ende als Autorin aufgeführt.
Warum das?
Schäper: Ich arbeite im Bereich Gender Economics und Arbeitsmarktfragen. Da versperre ich mir im Besten Fall keinen Karriereweg, wenn ich über sexuellen Missbrauch in den Wirtschaftswissenschaften schreibe. Aber Kolleginnen aus anderen, männer-dominierteren Arbeitsfeldern der Ökonomie haben sich Sorgen gemacht, dass ihnen das in der Zukunft nicht positiv ausgelegt werden könnte oder ihrer Karriere sogar schadet. Zur Wahrheit gehört auch, dass man eben nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen wird, wenn man auf Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung im Kontext von Lehre und Forschung hinweist.
Wenn Sie auf die Arbeit zu dem Thema zurückschauen, was waren wichtige Errungenschaften?
Schäper: Insgesamt war es nicht einfach, vor allem wenn man über die eigenen Strukturen hinausgeht. Denn zuständig ist lokal eigentlich das Land Berlin, auch mit dem Senat haben wir Gespräche geführt. Aber das Feld der Wirtschaftswissenschaften ist gleichzeitig extrem international ausgerichtet und Erfolg und Reputation basiert auch auf (informellen) internationalen Netzwerken, die gleichzeitig wenig rechtliche Befugnis haben in lokalen Institutionen einzugreifen. Eine große Errungenschaft war sicher die Organisation eines Panels zu dem Thema, das in Berlin organisiert wurde und dass es jetzt in der Berlin School of Economics und auch am DIW einen Code of Conduct gibt und für alle Mitglieder, auch Professor*innen, verpflichtende Trainings dazu. Es hat sich aber auch gezeigt, dass je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, desto mehr Fragen auftauchen.
Gibt es etwas, das Sie gerade von männlichen Kollegen in diesem Zusammenhang erwarten?
Schäper: Als ich damals sehr intensiv neben meiner Forschung dazu gearbeitet habe, ist es mir passiert, dass mich männliche Kollegen beim Mittagessen fragen: Wie, ihr beschäftigt euch immer noch mit dem Thema? So, als wäre es doch sicher schon lange ausdiskutiert. Das waren Männer in meinem Alter, ganz sicher keine „alten weißen Männer“, und trotzdem fehlte das Verständnis dafür, was für ein großes Thema Machtmissbrauch und alles, was damit zusammenhängt, ist und dass dieses Thema wahrscheinlich nie ausdiskutiert sein wird. Insofern wünsche ich mir von Männern in den Wirtschaftswissenschaften, gerade von denen, die sich als Allies verstehen, das Bewusstsein dafür, dass Machtmissbrauch und sexueller Missbrauch ein Thema ist, das leider allgegenwärtig, wissenschaftlich erforscht und kontinuierlich, in jeder kleinen Interaktion, jeden Tag mitgedacht und angegangen werden muss.
Gab es konkrete Forderungen zum Umgang mit Machtmissbrauch und sexuellem Missbrauch?
Schäper: Wir haben in unserem Artikel, den wir als Women in Economcis Blogpost veröffentlichen konnten drei konkrete Handlungsempfehlungen verfasst. Es braucht mehr Unterstützung für die Opfer, sowohl finanzieller Art als auch psychologischer. Ganz konkret heißt das zum Beispiel: Wenn eine Studentin sexuelle Belästigung durch einen Dozierenden erfährt und dann diesen Kurs nicht mehr belegen kann, dann braucht es eine einfache Lösung, die dadurch verlorenen Kurs-Credits im gleichen Semester noch in einem anderen, verwandten Fach schnell anerkannt zu bekommen, sodass die negativen Auswirkungen dieser Erfahrung auf ihre Ausbildung und Karriere minimiert werden. Sollte sie als Konsequenz des Vorfalls länger studieren müssen, sollte auch das finanziell unterstützt werden. Der zweite Punkt ist Prävention zu institutionalisieren, also dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten für das Thema sensibilisiert sind und es Anlaufstellen mit genug Autorität gibt. Dazu gehört zum Beispiel, dass es Ombudspersonen gibt, die unabhängig sind. Es ist tatsächlich nicht selten, dass eine Person Ansprechperson für sexuelle Übergriffe ist, die selbst abhängig von den Tätern ist. Organisationen – auch Universitäten - müssen Ansprechstellen schaffen, die wirklich die Autorität haben, diese Fälle aufzuklären. Auch im täglichen Miteinander muss erlernt werden, respektvoll miteinander umzugehen und trotzdem den Netzwerk-Charakter und die wichtigen Schauplätze, die oft nicht im Büro zu den Karriere-Sprüngen verhelfen als sichere und angenehme Orte für alle zu gestalten. Es ist zum Beispiel keine Lösung, wenn weibliche Doktorandinnen jetzt aus der Feierabend-Bier-Runde ausgeschlossen werden, damit es bloß keinen Anlass für Vorwürfe gibt. Das schafft nur neue Ungleichheiten. Damit das nicht passiert, müssen alle, ab der Einführungsveranstaltung im Bachelor bis zum bald emeritierten Professor wissen, was am Arbeitsplatz Universität und in Wissenschaftlichen Instituten angemessenes Verhalten ist und was eben nicht. Der dritte Punkt ist, dass klare und transparente Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gegen nationale Gesetze sowie bei Verstößen gegen den Code of Conduct bestehen. Diese müssen für alle nachvollziehbar sein und sicherstellen, dass sich eine Meldung an die Institutionen für die Betroffenen nicht als Nullsummenspiel - oder noch schlimmer, als Nachteil für sie selbst ohne Konsequenzen für die Täter - erweist.
Nochmal zurück zur Nobelpreisträgerin Claudia Goldin, die in ihrer Nobelpreisrede gesagt hat: „Die letzte Meile, das letzte Kapitel, der letzte Akt in der Saga der Geschlechterungleichheiten kann nicht geschrieben werden, bis Paare mehr teilen und bis die Arbeitswelt dies zu einer weniger kostspieligen Angelegenheit macht.“ Sie verweisen öfter auf dieses Zitat. Warum ist es Ihnen so wichtig?
Schäper: Ich glaube, dass Goldin dieses Zitat etwas allgemeiner gemeint hat, als ich es anwende. Aber gerade für Deutschland passt es sehr gut. Wir sind ein Land, in dem der Gender Care Gap besonders hoch ist. Ich forsche dazu hier am DIW Berlin und habe in einem Wochenbericht (PDF, 2.33 MB )sehr genau beschrieben, wie sich der Gender Care Gap und der der Gender Pay Gap im Lebensverlauf entwickeln. Die Unterschiede in der unbezahlten Sorgearbeit und dem Einkommen zwischen Männern und Frauen gehen eigentlich erst richtig los, wenn Kinder in das Leben von Erwachsenen kommen. Mit ungefähr dreißig Jahren, geht der Gender Pay Gap richtig auseinander und er schließt sich auch nicht wieder, wenn die Kinder älter werden. Das hat ganz konkret damit zu tun, wie Sorgearbeit innerhalb von Paaren aufgeteilt ist. Wenn Väter nicht anfangen, gleichberechtigt Sorgearbeit zu übernehmen, können sich die Arbeitsmarkteffekte für Frauen im Vergleich zu Männern nicht erholen. Genau daran denke ich, wenn ich an Goldins Satz denke, auch wenn sie das wahrscheinlich allgemeiner gemeint hat.Schäper, C. Addressing Sexual Misconduct & Power Abuse in Academia, Blogpost written with support from the Women in Economics Initiative writing & editing team, the Women in Economics Initiative, September 2023.