DIW Berlin stellt Chronik „Die Vermessung der Wirtschaft“ vor

Das DIW Berlin hat am 5. März seine Chronik vorgestellt. „Die Vermessung der Wirtschaft – 100 Jahre DIW Berlin“ heißt das Buch, das einen Abriss über die 100-jährige Geschichte des Wirtschaftsforschungsinstituts geben soll.

Bei der Vorstellung im Festsaal des Roten Rathauses betonte der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, die Bedeutung des DIW für Berlin und die Bundesrepublik. „Wir brauchen Ihre Zuarbeit und Expertise“, sagte er. Das zeige sich auch in der aktuellen Diskussion um eine Reform der Schuldenbremse im Rahmen der Sondierungsgespräche. Ihm gehe es darum, dass der Staat seiner Verantwortung nachkommen könne, erklärte Wegner. „Wenn ich von Infrastruktur spreche, spreche ich nicht nur von Brücken und Schienen, sondern auch von Bildung, Wissenschaft und Forschung“, sagte der Regierende Bürgermeister. Wegner bedankte sich beim DIW Berlin für die wichtige Forschung zu diesen notwendigen Investitionen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher und Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin bei der Buchvorstellung.
© DIW Berlin/Phototek

Historische Entwicklungen vorgestellt

Die Chronik beleuchtet zentrale Entwicklungen der vergangenen 100 Jahre und die Rolle des DIW Berlin in den verschiedenen historischen Epochen. Dazu gehören unter anderem die Einbindung Berlins in den Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg, wirtschaftliche Analysen während der deutschen Teilung sowie die Forschung zu den Auswirkungen der Wiedervereinigung. Auch Themen wie Wohnungsmarktentwicklung, soziale Ungleichheit und Klimapolitik werden in der Chronik beleuchtet.

„Das Institut hat eine reiche und vielfältige Geschichte erlebt“, sagte DIW-Präsident Marcel Fratzscher, bei der Vorstellung der Chronik. Begonnen hat die Geschichte des DIW Berlin in den 1920er Jahren, „eine Zeit großer Umwälzungen und fehlender Orientierung“, erklärt Fratzscher die Zeit, als Ernst Wagemann das DIW gründete – damals noch unter dem Namen „Institut für Konjunkturforschung“. „Der Auftrag des Instituts war es, Forschung zu betreiben und diese in die Öffentlichkeit zu bringen“, erklärte der DIW-Präsident und zeigte eine Übersicht vergangener Wochenberichte der letzten 100 Jahre. Er berichtete vom Schweinepreiszyklus, der Analyse von Arthur Hanau zur konjunkturellen Entwicklung von Schweinepreisen, die er 1928 veröffentlichte.

DIW-Präsident Marcel Fratzcher bei der Vorstellung der Chronik.
© DIW Berlin/Phototek

Schuld und Verantwortung

Auch auf die dunklen Kapitel in der Geschichte des Instituts ging Fratzscher ein. „Das Institut hat eine schwere Schuld auf sich geladen“, sagte er zur Forschung für das NS-Regime. Die Forscher*innen hatten Gefälligkeitsgutachten für das Regime erstellt, der erste DIW-Präsident und Gründer Ernst Wagemann war NSDAP-Mitglied. „Wir können an der Geschichte nichts ändern, aber wir haben die Verantwortung, mit dieser Geschichte umzugehen. Diese Verantwortung heißt zuallererst: Nie wieder“, betonte Fratzscher. Das DIW Berlin lebe die Werte der Wissenschaft: Wahrheit und Ehrlichkeit, Fakten aufzuzeigen und blinde Flecken offen zu legen. Um genauer herauszufinden, welche Rolle das DIW in der NS-Zeit gespielt hat, wird die Geschichte des Instituts in einem Forschungsprojekt ab Frühjahr 2025 genauer untersucht.

Nach dem Krieg nahm das Institut eine zentrale Rolle in der Erforschung der DDR-Wirtschaft ein. Als es allerdings um die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der DDR ging, hatte das Institut danebengelegen. Die Wissenschaftler*in hatten die Wirtschaftskraft zu hoch eingeschätzt. Der DIW-Präsident betonte auch die Bedeutung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), in dem seit 1983 30.000 Menschen aus 22.000 Haushalten regelmäßig befragte werden. Er berichtete auch von damals neuen Forschungsfeldern, wie Gender Economics und Klimaschutz. „Wir gehörten zu den Ersten, die untersuchten, wie die Wirtschaft nachhaltig arbeiten kann – und zwar als das noch unpopulär war“, blickte er zurück.

Bei der Podiumsdiskussion diskutierten der Wirtschaftshistoriker Nikolaus Wolf von der Humboldt-Universität zu Berlin (2 v.l.), die Präsidentin der Leibniz-Gemeinschaft Martina Brockmeier (2. V.r.) und DIW-Präsident Marcel Fratzscher (rechts). Moderiert hat DIW-Pressesprecherin Petra Jasper (links).
© DIW Berlin/Phototek

Der Historiker Nikolaus Wolf von der Humboldt-Universität zu Berlin forscht zur Geschichte des DIW. Auf die Frage, was die Geschichte des Instituts ausmache, betonte Wolf: „Das DIW zeichnet sich dadurch aus, dass es von vorneherein Daten gesammelt hat und datenbasiert gearbeitet hat.“ Das habe sich durch das Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) noch einmal verstärkt. „Das kann man gar nicht überbewerten“, sagte er.

Auch die Präsidentin der Leibniz-Gemeinschaft, Prof. Dr. Martina Brockmeier, hob die Rolle des Instituts innerhalb der deutschen Forschungslandschaft hervor: „Das SOEP ist ein Datenschatz; sagte sie und sprach von „einer herausragende Forschungsdaten-Infrastruktur“. Jeden Tag würden Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften erscheinen, die auf der Grundlage von Daten aus dem SOEP basieren.

Aktuelle Herausforderungen

Bei der Buchvorstellung ging es auch um die Zukunft der Wirtschaftsforschung. Die Präsidentin der Leibniz-Gemeinschaft berichtete von aktuellen Sorgen und Herausforderungen, etwa wenn sie mit Kolleg*innen aus der Wissenschaft in den USA spreche. Es sei in der aktuellen Weltlage wichtiger denn je, Kompromisse zu suchen und gemeinsam zu sprechen. „Wissenschaft muss gemeinsam sprechen und sich gemeinsam Gehör zu verschaffen“, sagte sie. „Die Wissenschaftsfreiheit ist das höchstes Gut und wir sollten es gemeinsam verteidigen“, sagte sie.

Rund 150 ehemalige Mitarbeitende und Wegbestreiter*innen des DIW folgten der Einladung ins Rote Rathaus.
© DIW Berlin/Phototek

Gefragt, ob denn die Wissenschaft lauter werden müsse, erklärte Fratzscher: „Wir reden über eine Sozialwissenschaft, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht. Wir müssen immer wieder hinterfragen, was wir wirklich wissen. Wissenschaft muss nicht laut sein, aber sie muss unbequem sein.“ Auch deshalb müssten sich Wissenschaftler*innen auf Grundlage ihrer Erkenntnisse positionieren.

Zahlreiche aktive und ehemalige DIW-ler*innen, Wegbegleiter*innen aus Wissenschaft und Politik nutzten die Gelegenheit, beim anschließenden Empfang im Wappensaal des Roten Rathauses in den Austausch zu gehen.

Die Chronik „Die Vermessung der Wissenschaft“ ist hier online nachzulesen.

Autorin: Lena Högemann  

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