DIW Wochenbericht 5 / 2025, S. 68
Theresa Entringer, Erich Wittenberg
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Frau Entringer, Sie haben die Einsamkeit in Deutschland statistisch untersucht. Warum ist das Thema Einsamkeit von gesellschaftlicher Relevanz? Wir sehen, dass Einsamkeit zunehmend mit ernstzunehmenden gesundheitlichen Risiken einhergeht. Menschen, die einsam sind, neigen häufiger zu psychischen, aber auch zu physischen Erkrankungen. Es zeigt sich zudem, dass Einsamkeit nicht nur durch persönliche Merkmale oder Fähigkeiten bedingt ist, sondern maßgeblich durch soziostrukturelle Merkmale, also Dinge, die in meiner Umgebung stattfinden, und Dinge, die wir als Gesellschaft vielleicht auch ändern können.
Wie erfassen Sie Einsamkeit statistisch? In unseren Langzeitbefragungen stellen wir alle vier Jahre Fragen zur Einsamkeit. Dabei erfassen wir drei verschiedene Facetten der Einsamkeit: das Gefühl, dass mir die Gesellschaft anderer fehlt, das Gefühl, dass ich sozial isoliert bin, und das Gefühl, dass ich außen vor bin. Aus dem Mittelwert aller drei Fragen bilden wir dann einen Gesamtindex.
Wie viele Menschen in Deutschland fühlen sich einsam? Die Daten, auf denen unsere Studie basiert, stammen aus dem Jahr 2021 und sind daher noch im Spiegel der Corona- Pandemie zu betrachten. In diesem Jahr gaben 19 Prozent der Menschen an, dass sie sich mindestens manchmal oder häufiger einsam fühlen. Das ist etwas häufiger als in den Befragungen von 2013 und 2017. Da waren ungefähr 14 bis 15 Prozent der Menschen einsam.
Welche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Facetten von Einsamkeit? Wir haben herausgefunden, dass vor allem das Gefühl, allein zu sein, also das Gefühl, dass mir die Gesellschaft anderer Menschen fehlt, besonders stark ausgeprägt war. Hier haben 56 Prozent der Menschen gesagt, dass dies der Fall ist. Sozial isoliert fühlten sich 20 Prozent, und 28 Prozent sagten, dass sie sich ausgeschlossen fühlen. Das Gefühl, einsam zu sein, war im Jahr 2021 vor allen Dingen getrieben durch das Gefühl: „Mir fehlen andere Menschen“ oder „ich fühle mich allein“.
Inwieweit gibt es regionale Unterschiede? Es gibt frühere Studien, die gezeigt haben, dass Menschen in Ostdeutschland sich tendenziell einsamer fühlen als Menschen in Westdeutschland. Dieses Ost-West-Gefälle ist 2021 nicht zu erkennen. Wir sehen keine klaren regionalen Unterschiede mehr. Etwas unterschiedlich bilden sich die verschiedenen Facetten aus. Vor allem das Gefühl, dass einem die Gesellschaft anderer fehlt, ist regional unterschiedlich ausgeprägt und kommt in Westdeutschland etwas häufiger als in Ostdeutschland vor.
Welche Rolle spielen soziodemografische Merkmale? Soziodemografische Merkmale spielen für Einsamkeit eine maßgebliche Rolle. Wir können drei Risikofaktoren für Einsamkeit erkennen. Zum einen sind Menschen mit niedrigem Einkommen einsamer als andere. Zum anderen sind Menschen mit Migrationshintergrund einsamer. Drittens, und das hat uns erstaunt, sind Männer tendenziell einsamer als Frauen, insbesondere dann, wenn auch die beiden anderen Risikofaktoren dazukommen.
Welche Maßnahmen würden Sie aufgrund Ihrer Ergebnisse empfehlen? Ich glaube, wir dürfen Einsamkeit nicht mehr als individuelles Phänomen betrachten, sondern müssen erkennen, dass sie jeden treffen kann. Daher sollte sie auch bei politischen Entscheidungen, die die soziale Teilhabe betreffen, berücksichtigt werden. Wir müssen daher mehr beitragen zur Entstigmatisierung von Einsamkeit. Ärzt*innen sollten das Thema ganz selbstverständlich ansprechen und am besten auch Maßnahmen gegen Einsamkeit verschreiben können. Und natürlich würde ich mir wünschen, dass es mehr Geld für weitere Studien gibt.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gesundheit