30. Januar 2025 – Die aktuelle Schuldenbremse muss reformiert werden. Dies darf nicht symbolisch und kosmetisch erfolgen, wie es sich in der Debatte bisher andeutet, sondern muss eine signifikante Verbesserung bringen. Die Reform muss insbesondere den blinden Fleck der Generationengerechtigkeit berücksichtigen. Eine generationengerechte Schuldenregel erfordert vier konkrete Änderungen: (1) Eine nominale Ausgabenregel muss eingeführt werden: Staatsschulden dürfen jedes Jahr so stark steigen, wie das nominale Potenzialwachstum ausfällt. Dadurch würde sich die Staatsschuldenquote bei etwa 60 Prozent stabilisieren – und nicht bei 20 Prozent wie die aktuelle Regel implizit fordert. Zudem ermöglicht es dem Staat in wirtschaftlichen Schwächephasen stärker kontrazyklisch zu agieren. (2) Eine Goldenen Regel, die öffentliche Investitionen von Schuldenbegrenzungen ausnimmt, sollte wiedereingeführt werden. Nettoinvestitionen müssen dauerhaft positiv bleiben. Zudem müssen die öffentlichen Konsumausgaben proportional zur Demographie schrumpfen. (3) Implizite Staatsschulden, wie die zukünftigen Kosten für die Sozialsysteme und die Klimakrise, dürfen nicht weiter steigen, sondern müssen proportional mit dem Rückgang des Erwerbstätigenpotenzials abnehmen. (4) Die Verteilungswirkungen staatlicher Ausgaben und Investitionen müssen bei den Staatsausgaben berücksichtigt werden. Der Staat muss Daseinsfürsorge und Chancengleichheit für alle gewährleisten.
Kaum eine Frage spaltet die Gesellschaft so sehr wie die nach der Sinnhaftigkeit der Schuldenbremse. Doch fast alle demokratischen Parteien, einschließlich der Union unter Friedrich Merz, zeigen sich offen für eine Reform. Diese seltene Chance könnte die Weichen für Deutschlands wirtschaftliche Zukunft entscheidend stellen. Die Schuldenbremse wurde 2009 ins Grundgesetz aufgenommen. Sie schränkt die Möglichkeit des Staates, neue Schulden zu machen, sehr viel stärker ein, als es die europäischen Vorgaben verlangen. So muss die Bundesregierung die strukturelle Neuverschuldung auf 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung begrenzen – das entspricht etwa 14 Milliarden Euro pro Jahr.Bundesministerium der Finanzen (2022): Kompendium zur Schuldenregel des Bundes (Schuldenbremse) (online verfügbar). In wirtschaftlich schlechten Zeiten, in denen die Volkswirtschaft unter ihrem Potenzial produziert, kann diese Summe um ein paar Milliarden Euro höher ausfallen, in guten Zeiten muss sie geringer sein. Für die Bundesländer gilt eine noch strengere Regel: Sie dürfen keine strukturelle Neuverschuldung eingehen. Bei unvorhersehbaren Krisen oder Katastrophen kann das Parlament eine temporäre Ausnahme von der Schuldenbremse und eine erhöhte Verschuldung beschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil im November 2023 dafür jedoch sehr enge Grenzen gesetzt.
Kritiker*innen sehen in der Schuldenbremse eine Selbstkasteiung, die notwendige Zukunftsinvestitionen verhindert und den Umgang mit Krisen und Transformationen unnötig erschwert (Abbildung 1).Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2024): Schuldenbremse pragmatisch anpassen: Flexibilität erhöhen, Stabilität wahren. Pressemitteilung vom 30. Januar (online verfügbar). Das Resultat ist, dass der deutsche Staat seit über 20 Jahren von seiner Substanz lebt. Die öffentlichen Nettoinvestitionen sind seit Anfang der 2000er Jahre fast durchgehend negativ, der Wertverfall der öffentlichen Infrastruktur höher als die staatlichen Investitionen. Die öffentliche Daseinsfürsorge verschlechtert sich, ebenso die Rahmenbedingungen für Unternehmen, um innovativ zu sein und sich im globalen Wettbewerb zu behaupten.
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Verteidiger*innen der Schuldenbremse argumentieren, der Staat dürfe nicht immer größere Teile der Wirtschaftsleistung beanspruchen. Je höher die Staatsquote, desto weniger bleibe für die Unternehmen und ihre Beschäftigte. Zwar brauche es ein Minimum an Staatsausgaben für Sicherheit, Infrastruktur, Bildung und soziale Absicherung. Darüber hinaus dienen jedoch viele staatliche Ausgaben eher der Umverteilung und reduzieren die Ressourcen, die für Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt verfügbar sind. Ein unbegrenzter Anstieg der Staatsquote, so die Argumentation, schwächt langfristig die Wirtschaftskraft, macht den Standort unattraktiver und mindert den Wohlstand der Bevölkerung.
Diese beiden Positionen zur Schuldenbremse scheinen weder miteinander noch mit dem Konzept der Generationengerechtigkeit vereinbar zu sein. Das muss jedoch nicht so sein. Vier konkrete Änderungen der Schuldenregel könnten einen klugen Kompromiss schaffen, der die Generationengerechtigkeit sichert. Denn ein blinder Fleck in dieser Debatte ist, dass die Interessen künftiger Generationen meist kaum berücksichtigt werden.Marcel Fratzscher (2023): Schuldenbremse nicht nur 2024 aussetzen, sondern grundlegend reformieren. Statement 30. Oktober 2023 (online verfügbar); Marcel Fratzscher (2023): Nicht alle Schulden sind schlechte Schulden. Zeit Online Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen vom 24. November (online verfügbar). Nicht jede Investition in Infrastruktur muss – vor allem bei einer schrumpfenden Gesellschaft – sinnvoll sein.
Eine Reform der Schuldenbremse sollte vier zentrale Elemente enthalten: (1) Umwandlung in eine nominale Ausgabenregel; (2) positive Nettoinvestitionen und Rückgang öffentlicher Konsumausgaben; (3) Begrenzung impliziter Staatsschulden; (4) Sicherung von Daseinsfürsorge und Chancengleichheit.
Ein erstes zentrales Kriterium einer generationengerechten Schuldenregel ist die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung: Schulden dürfen relativ zur Wirtschaftsleistung – oder besser noch, relativ zu den Steuereinnahmen – nicht systematisch steigen und kein Niveau erreichen, das Investoren an der Solvenz des Staates zweifeln lässt. Überschreitet die Verschuldung diese Schwelle, steigen die Risikoprämien und damit die Finanzierungskosten – nicht nur für den Staat, sondern auch für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger. Höhere Finanzierungskosten bremsen öffentliche und private Investitionen und schwächen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Zudem machen sie ein Land anfälliger für Finanzkrisen, wie sich dies bei vielen Ländern in Europa während der europäischen Krise von 2010 bis 2015 gezeigt hat. Deutschlands vergleichsweise niedrige Schuldenquote führte sowohl in der globalen Finanzkrise 2008/09 als auch in der europäischen Finanzkrise dazu, dass finanzielle Vermögenswerte in Deutschland als sicherer Hafen galten (Abbildung 2). Deutschland profitierte in mancher Hinsicht sogar von der Kapitalflucht aus Südeuropa.
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Eine Reform der Schuldengrenze sollte daher eine nominalen Ausgabenregel einführen, die festlegt, dass die Staatsschulden jedes Jahr nur so stark wie das nominale Potenzialwachstum steigen dürfen. Bei einem realen Potenzialwachstum von beispielsweise 0,5 Prozent und einer durchschnittlichen Inflation von 2 Prozent hieße dies konkret, dass die Staatsschulden jährlich nominal um 2,5 Prozent steigen dürfen. Diese Regel hätte zwei Vorteile gegenüber der aktuellen Schuldenbremse. Erstens würde sie die Staatsschuldenquote auf einem gesunden Niveau von knapp 60 Prozent stabilisieren statt sie – wie die derzeitige Regel implizit verlangt – auf unter 20 Prozent zu reduzieren. Zweitens gäbe sie dem Staat mehr Möglichkeiten, in wirtschaftlichen Schwächephasen kontrazyklisch zu agieren und somit die wirtschaftliche Stabilität besser zu fördern.Dieses Element der Regel wurde bereits von vierzehn Ökonom*innen vorgeschlagen. Agnès Bénassy-Quéré et al. (2018): Reconciling risk sharing with market discipline: A constructive approach to euro area reform. CEPR Policy Insight No. 91 (online verfügbar).
Eine reformierte Schuldenbremse sollte strikt zwischen öffentlichem Konsum und Investitionen unterscheiden. Ob der Staat die Gehälter seiner Bediensteten um zehn Prozent erhöht oder in Bildung und digitale Infrastruktur investiert, macht einen Unterschied für die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung. Das soll nicht bedeuten, dass Beschäftigte im öffentlichen Dienst nicht gut bezahlt werden sollen. Aber Ausgaben für den öffentlichen Konsum steigern langfristig nicht zwingend die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.BDI (2023): Schuldenbremse: Konsolidierungsbedarf und Stärkung der Investitionstätigkeit (online verfügbar).
Öffentliche Investitionen hingegen verbessern die Leistungsfähigkeit und damit langfristig den Wohlstand für alle.Bertelsmann Stiftung (2017): Öffentliche Investitionen und inklusives Wachstum in Deutschland. Inklusives Wachstum für Deutschland Nr. 17 (online verfügbar). So zeigen Studien, dass 100 Euro an Investitionen in Bildung langfristig zu 200 bis 300 Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen führen, da besser ausgebildete Menschen produktiver sind und mehr Steuern zahlen.Tom Krebs und Martin Scheffel (2016): Quantifizierung der gesamtwirtschaftlichen und fiskalischen Effekte ausgewählter Infrastruktur- und Bildungsinvestitionen in Deutschland. Working Paper Series Nr. 16-13, Universität Mannheim (online verfügbar). Es ist daher kontraproduktiv, Investitionen zu begrenzen, wenn sie nicht nur der Daseinsfürsorge und dem Wohlstand dienen, sondern auch zusätzliche Steuereinnahmen generieren und damit die Staatsverschuldung nachhaltiger machen.
Kritiker*innen fordern zurecht die Wiedereinführung einer sogenannten Goldenen Regel, die öffentlichen Investitionen von Schuldenbegrenzungen ausnimmt.Deutsche Bundesbank (2022): Die Schuldenbremse des Bundes: Möglichkeiten einer stabilitätsorientierten Weiterentwicklung. Monatsbericht April 2022 (online verfügbar); Deutsche Bundesbank (2022): Öffentliche Finanzen. Monatsbericht Februar 2022, 64–82 (online verfügbar); Sebastian Dullien et al. (2024): Schuldenbremse reformieren, Transformation beschleunigen. IMK Report Nr. 187 (online verfügbar); Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK (2023): Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik (online verfügbar). Zudem sollten Nettoinvestitionen dauerhaft positiv bleiben, damit der Kapitalstock einer Gesellschaft nicht schrumpft und die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Die Investitionen müssen mittelfristig mindestens den Wertverfall ausgleichen.In den Publikationen des DIW Berlin aus den Jahren 2013 und 2014 wurde bereits auf die zentrale Rolle der Investitionen hingewiesen: Stefan Bach et al. (2013): Deutschland muss mehr in seine Zukunft investieren. DIW Wochenbericht Nr. 26 (online verfügbar); Ferdinand Fichtner, Marcel Fratzscher und Martin Gornig (2014): Eine Investitionsagenda für Europa. DIW Wochenbericht Nr. 27 (online verfügbar).
Diese Anforderung ist jedoch mild formuliert, da ein riesiger Rückstand von mehreren hundert Milliarden Euro im öffentlichen Kapitalstocks besteht, der dringend aufgeholt werden muss. Die Regel ist bewusst weich formuliert, da der Staat in manchen Bereichen künftig seinen Kapitalstock reduzieren kann, etwa wenn der demografische Wandel manche Erfordernisse für die Verkehrsinfrastruktur verringert. In anderen Bereichen, wie Digitalisierung oder Klimaschutz, besteht dagegen erheblicher Investitionsbedarf.
Verteidiger*innen der Schuldenbremse kritisieren zu Recht, dass eine solche Goldene Regel nicht zwingend die Konsumausgaben begrenzt. Daher sollte sie durch eine Begrenzung der öffentlichen Konsumausgaben ergänzt werden, die nicht für Sozialausgaben wie die Rente gilt, sondern für die Anzahl der direkt und indirekt Beschäftigten im öffentlichen Dienst und deren Kosten. Mit dem demografischen Wandel sollen mittel- bis langfristig auch die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst proportional zum Rückgang der Zahl aller Beschäftigten sinken. In anderen Worten: Der Staat wird in Zukunft mehr für die gesetzliche Rente ausgeben müssen. Er muss jedoch beim öffentlichen Konsum, insbesondere in Verwaltung und Bürokratie, sparen.
Beide Elemente – positive Nettoinvestitionen und sinkende Konsumausgaben – erfordern die Erfassung von Schulden und auch Vermögenswerten des Staates und quasi-staatlicher Einrichtungen. Die sogenannte Doppik ermöglicht dies und wird bereits von zahlreichen Kommunen genutzt. Zudem sollten auch Möglichkeiten, wie Sondervermögen, die Schuldenregeln umgehen, abgeschafft werden.
Die Einführung der Doppik für alle Bundesländer und den Bund schafft Transparenz und zwingt staatliche Akteure zur Rechenschaft.Thies Büttner und Bjoern Kauder (2015): Political biases despite external expert participation? An empirical analysis of tax revenue forecasts in Germany. Public Choice 164 (3/ 4), 287– 307 (online verfügbar). Es hilft, das zu verhindern, was der deutsche Staat fast kontinuierlich in den letzten 20 Jahren getan hat: von seiner Substanz leben und damit wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Wohlstand gefährden und insbesondere künftige Generationen zu schaden. Allerdings liegt auch hier der Teufel im Detail, denn viele Vermögenswerte sind schwer zu schätzen. Die folgenden zwei Elemente adressieren jedoch einen Großteil dieser Schwierigkeiten.
Eine generationengerechte Schuldenregel berücksichtigt implizite Verpflichtungen und Haftungen für die Zukunft, die der englische Begriff „contingent liabilities“ präziser beschreibt. Ein blinder Fleck im Diskurs um Schulden, Vermögen und Investitionen sind die Kosten, die Staat und Gesellschaft für die Zukunft verursachen und eingehen. Dazu zählen die Sozialausgaben für die gesetzliche Rente-, Pflege- und Krankenversicherung. Deutschlands soziale Marktwirtschaft hat sich zur Aufgabe gesetzt, soziale Sicherheit und eine auskömmliche Daseinsfürsorge zu gewährleisten. Politik und Staat können bereits heute diese Verpflichtungen kaum reduzieren. Denn die umlagefinanzierten Sozialsysteme sichern den Beschäftigten Ansprüche für die Zukunft. Es besteht also ein expliziter Gesellschaftsvertrag, den Politik und Staat nicht einfach aufkündigen können. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt die Einhaltung solcher Verpflichtungen angemahnt, etwa für Bürgergeld, Geflüchtetenhilfe oder Grundsicherung im Alter.
Die impliziten und expliziten Verpflichtungen der Sozialsysteme für die Babyboomer sind bereits heute so enorm, dass sie den Staatshaushalt in den nächsten 25 Jahren überfordern könnten. Schon heute bezuschusst die Bundesregierung beispielsweise die gesetzliche Rente mit 121 Milliarden Euro jährlich – knapp ein Viertel des Bundeshaushalts. Die Tendenz ist steigend: Auch das kürzlich angekündigte Rentenpaket II – das die Beitragssätze von heute 18,6 Prozent auf über 22 Prozent bis 2039 massiv erhöht – wird den jährlichen Zuschuss um weitere 30 Milliarden Euro erhöhen. Die Leidtragenden sind die jungen und künftigen Generationen, die durch höhere Beiträge und Steuern dafür aufkommen müssen. Bereits heute wird in den Sozialsystemen massiv von Jung zu Alt umverteilt, und diese Umverteilung wird sich ohne grundlegende Reformen weiter verschärfen.
Neben den Sozialsystemen belasten zahlreiche weitere (finanziell messbare) Kosten die jungen und künftigen Generationen überproportional. So müssen die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit steigen, da die Babyboomer nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Friedensdividende für sich beansprucht und einen Teil der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands abgebaut hat. Hinzu kommen die steigenden Kosten für Geflüchtete, die durch Kriege und zunehmend durch Klima- und Umweltkatastrophen entstehen, für die Deutschland in Europa eine erhebliche Verantwortung trägt. Allerdings sind die Kosten für die Aufnahme und Integration von Geflüchteten größtenteils kurzfristig. Eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft schafft langfristig erheblichen wirtschaftlichen Nutzen.
Die größten und unberechenbarsten Kosten werden auf die junge und künftige Generation durch Klimakrise und den Verlust von Umwelt und Biodiversität zukommen. Extremwetter und Naturkatastrophen werden in Häufigkeit und Schwere weiter zunehmen, wie unzählige Studien belegen. Künftige Generationen zahlen den Preis für die Umweltbelastungen der vorherigen Generationen – eine massive Umverteilung von Jung zu Alt
Die Herausforderung besteht darin, solche Kosten und Risiken in eine reformierte Schuldenregel einzubeziehen. Denn implizite Schulden sind schwer zu messen. Die Stiftung Marktwirtschaft beispielsweise schätzt sie auf über 300 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung – das Fünffache der expliziten Staatsschulden.Siehe für die Rolle der Sozialversicherungen beispielsweise Stiftung Marktwirtschaft (2023): Ehrbarer Staat? Update 2023 der Generationenbilanz – Reformansätze für mehr Generationengerechtigkeit in der Kranken- und Pflegeversicherung (online verfügbar). Allerdings ist dies eine grobe Schätzung, da sie auf vielen Annahmen basiert. Trotzdem sollte eine systematische Generationenbilanzierung eingeführt werden, um alle Verpflichtungen und Haftungsrisiken des Staats transparent zu machen. Gleichzeitig müssen Staat und Gesellschaft einen deutlich größeren finanziellen Puffer schaffen, um künftige Katastrophen und Anpassungsmaßnahmen bewältigen zu können.
Eine erweiterte Schuldenregel sollte explizite Verpflichtungen auf maximal 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung begrenzen. Implizite Verpflichtungen sollten proportional mit dem Rückgang des Erwerbstätigenpotenzials abnehmen. Anders ausgedrückt: Ein Staat kann nicht nur durch exzessive Ausgaben in finanzielle Schieflage geraten, sondern auch durch Krisen und Katastrophen und soziale Verpflichtungen. Auch die impliziten Schulden müssen sinken, sodass die junge Generation nicht einen steigenden, sondern einen höchstens gleichbleibenden Anteil ihrer Leistung an die ältere Generation entrichten muss. Konkret erfordert das grundlegende Reformen in den Sozialsystemen, die Leistungen für Babyboomer kürzen. Der sinnvollste Weg ist eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und stärkere Erwerbsbeteiligung älterer Menschen.
Viertens sollte eine generationengerechte Schuldenregel auch die Verteilungswirkungen staatlicher Ausgaben und Investitionen explizit berücksichtigt werden. Die wirtschaftliche, ökologische, demografische und digitale Transformation verschärft nicht nur die Umverteilung von Jung zu Alt, sondern auch von Arm zu Reich, von Menschen mit geringerer Bildung, eingeschränkter Mobilität und aus strukturschwachen Regionen hin zu privilegierten Gruppen.
Der Staat muss verstärkt im Sinne künftiger Generationen investieren. Er muss jedoch sicherstellen, dass diese Investitionen möglichst allen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen zugutekommen. Das Grundgesetz verpflichtet Staat und Gesellschaft, überall in Deutschland gleichwertige Lebensbedingungen schaffen zu können.
Dieses Element ist wichtig, denn die gesellschaftliche Alterung birgt die Gefahr, dass der Staat sich aus kostspieligen Aufgaben teilweise zurückzieht und sie den Menschen selbst überlässt. Private Schulen und Hochschulen, private Kranken-, Alters- und Pflegeversicherungen nehmen bereits zu. Es ist sinnvoll, dass der Staat Menschen ermutigt und unterstützt, sich auch privat besser abzusichern. Doch dies darf nicht bedeuten, dass er kein Minimum an Daseinsfürsorge bereitstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Staat und Gesellschaft für ein existenzsicherndes Minimum für jeden und jede in Deutschland verantwortlich sind. Dies muss uneingeschränkt weiter gelten – auch im Bildungssystem. Deutschland muss wieder besser darin werden, echte Chancengleichheit zu gewährleisten.
Wie realistisch ist eine generationengerechte Reform der Schuldenbremse? Zynisch betrachtet stehen die Chancen schlecht. Junge Generationen finden im öffentlichen Diskurs nach wie vor kaum Gehör. Die Verlockung für die heute verantwortliche Babyboomer-Generation ist groß, ihre Lebensgewohnheiten unverändert beizubehalten und notwendige Veränderungen und Reformen auf künftige Generationen abzuschieben.
Die Hoffnung besteht jedoch, dass die hier vorgeschlagenen Reformen auch die Verteidiger*innen der heutigen Schuldenbremse überzeugen. Sie verlangen auch vom Staat, Ausgaben zu senken und effizienter zu wirtschaften. Eine Schuldenregel nützt jungen und künftigen Generationen, wenn sie die Entscheider*innen von heute zu verantwortungsvollem Handeln verpflichtet und ihre Interessen explizit berücksichtigt. Daher sollte die neue Bundesregierung dringend eine Reform der Schuldenbremse umsetzen, die der Generationengerechtigkeit einen zentralen Stellenwert einräumt.
Themen: Verteilung, Öffentliche Finanzen, Familie