DIW Wochenbericht 8 / 2025, S. 114
Markus M. Grabka, Erich Wittenberg
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Herr Grabka, wie haben sich die Bruttostundenlöhne in Deutschland entwickelt? Wir betrachten in unserer Studie die langfristige Entwicklung der Bruttostundenlöhne von 1995 bis einschließlich 2022. Dabei zeigt sich insgesamt ein positives Bild, denn im Durchschnitt hatten Beschäftigte 2022 inflationsbereinigt einen 15 Prozent höheren Stundenlohn als noch 1995.
Wie unterscheidet sich die Entwicklung in den verschiedenen Lohnbereichen? Vor allem in den frühen 2000er Jahren ging die Schere zwischen den unteren und oberen Lohndezilen stark auseinander. Zum Beispiel erfuhren die Lohnbeziehenden im untersten Dezil Mitte der 2000 Jahre reale Verluste von bis zu 25 Prozent. Doch zwischen 2013 bis 2015 drehte sich das Bild und insbesondere die unteren Beschäftigten hatten wieder starke Lohnzuwächse.
Wie ist die Entwicklung im untersten Lohndezil zu erklären? Entscheidend sind zum einen die branchenspezifischen Mindestlöhne, die es schon vor 2015 gab und mit dem Jahr 2015 die Einführung des allgemeinverbindlichen Mindestlohns sowie dessen wiederholte Anhebung. Zweitens ist eine veränderte Lohnpolitik der Gewerkschaften zu nennen, die nicht mehr nur pauschale Lohnsteigerungen für alle fordern, sondern gleichzeitig einen absoluten Lohnzuschlag für die untere Einkommensgruppe. Das führt im Ergebnis zu relativ höheren Lohnsteigerungen am unteren Rand als im Rest der Lohnverteilung.
Wie haben sich die Haushaltseinkommen im Vergleich zu den Löhnen entwickelt? Die Entwicklung bei den Haushaltsnettoeinkommen ist weitaus positiver als bei den Löhnen. Da kommen noch andere Faktoren wie die Entwicklung der Kapitaleinkommen hinzu. Im Durchschnitt haben sich die Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1995 bis 2021 mit einem realen Zuwachs von rund 35 Prozent sehr positiv entwickelt. Insgesamt können sich die Deutschen ein Drittel mehr Güter und Dienstleistungen leisten als noch vor über 25 Jahren.
Hat das Armutsrisiko zu- oder abgenommen? In der langen Frist beobachten wir, dass das Armutsrisiko in Deutschland seit Ende der 90er Jahre durchaus nennenswert zugelegt hat. Aber etwa seit dem Jahr 2018 zeichnet sich hier eine Trendumkehr ab, je nachdem welche Datenquelle man heranzieht. Beispielsweis nach den Daten von EU-SILC lag das Armutsrisiko in der Spitze bei 16,8 Prozent. Mit den aktuellen Daten liegt es nur noch bei 14,4 Prozent.
Welche Gründe hat der Rückgang des Armutsrisikos? Die positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt und insbesondere der deutliche Rückgang des Niedriglohnsektors spiegeln sich jetzt zeitversetzt auch in den Haushaltsnettoeinkommen wider. Das liegt vor allem daran, dass die Erwerbseinkommen immer noch die wichtigste Einkommensquelle der privaten Haushalte in Deutschland sind. Zudem kommen Personen mit Migrationshintergrund und vor allem die Geflüchteten, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, langsam auch auf dem Arbeitsmarkt an und haben dementsprechend auch die Chance, aus dem Armutsrisiko herauszukommen.
Was kann die Politik tun, um diese Entwicklung zu unterstützen? Dazu möchte ich das Beispiel der Alleinerziehenden herausgreifen. Hier ist das Armutsrisiko insbesondere in Ostdeutschland im Vergleich zu 2010 stark rückläufig; immerhin um 14,5 Prozentpunkte. Ein Aspekt, der mit dazu beigetragen hat, war die Reform des Unterhaltsvorschusses 2017. Das hat dazu geführt, dass nicht mehr nur Kinder bis zum Alter von elf Jahren berücksichtigt wurden, sondern Kinder bis zum Alter von 17 Jahren. Das hat beispielhaft mit dazu beigetragen, dass Alleinerziehende aus dem Armutsrisiko herausgekommen sind.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Familie, Arbeit und Beschäftigung