DIW Wochenbericht 8 / 2025, S. 116
Claudia Kemfert, Jan Rosenow
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Um bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein, darf in Deutschland in 20 Jahren kein Erdgas mehr zum Heizen verwendet werden. Und alternative Gase wie Wasserstoff oder Biomethan sind nicht in ausreichenden Mengen verfügbar und werden es auf absehbare Zeit auch nicht sein. Die Stilllegung von Gasnetzen ist daher ein zentraler Baustein des Übergangs zu einer klimaneutralen Energieversorgung in Deutschland.
Städte wie Mannheim und Hamburg nehmen hierbei eine Vorreiterrolle ein. Mannheim plant, bis 2035 das Erdgasnetz für Haushalte und Gewerbe abzuschalten – beginnend in Straßen mit doppelter Wärmeversorgung über Gas und Fernwärme. Der Energieversorger MVV begründet dies mit ökologischen und wirtschaftlichen Faktoren: Gasheizungen sind nicht mit den Klimazielen vereinbar und durch steigende CO₂-Preise sowie sinkende Nutzerzahlen unrentabel. Stattdessen wird das Fernwärmenetz ausgebaut, Wärmepumpen dienen als Alternative.
Hamburg verfolgt ebenfalls ambitionierte Pläne. Mit einer detaillierten Wärmekartierung sollen die besten Energielösungen für verschiedene Stadtteile ermittelt werden. Hierbei wird geprüft, welche Gebiete vom Gasnetz abgekoppelt werden können. Bis 2026 sollen konkrete Pläne vorliegen. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Städte individuell auf lokale Gegebenheiten reagieren, jedoch dasselbe Ziel verfolgen: die Reduzierung fossiler Energien. Die Umstellung auf klimaneutrale Wärmeversorgung stellt jedoch erhebliche technische und soziale Herausforderungen dar. Der Ausbau von Fernwärmeleitungen und Stromnetzen sowie die Installation von Wärmepumpen erfordern hohe Investitionen und Zeit.
Zudem ist die Akzeptanz in der Bevölkerung ein entscheidender Faktor. Viele Menschen stehen der Abschaltung von Gasnetzen skeptisch gegenüber, insbesondere aufgrund der Umstellungskosten. Um den Widerstand zu minimieren, setzen Städte wie Mannheim auf umfassende Informationskampagnen und finanzielle Unterstützung. Mannheim hat ein großzügiges Förderprogramm aufgelegt, das Haushalten bis zu 10000 Euro für den Austausch ihrer Gasheizungen bietet.
Die Diskussion um Wasserstoff als mögliche Alternative verunsichert zusätzlich. Oft wird suggeriert, dass bestehende Gasnetze einfach auf Wasserstoff umgestellt werden könnten. Studien zeigen jedoch, dass dies technisch und wirtschaftlich problematisch ist. Wasserstoff hat eine geringere Energiedichte, verursacht höheren Strömungswiderstand und kann Materialien in bestehenden Gasnetzen korrodieren.
Zudem ist seine Herstellung energieaufwendig und ineffizient, was ihn für den Wärmesektor ungeeignet macht. Seine Nutzung im Wärmesektor ist ineffizient und teuer – eine Einschätzung, die durch mehr als 50 unabhängige Studien gestützt wird. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Wasserstoff eine nennenswerte Rolle für die Gebäudewärme spielen wird. Haushalte, die auf Wasserstoff hoffen, könnten letztlich gezwungen sein, ihre Heizsysteme erneut auszutauschen. Die Stilllegung von Gasnetzen bietet jedoch auch große Chancen. Langfristig können erneuerbare Energien und effiziente Heiztechnologien die Energiekosten senken und die Abhängigkeit von Gasimporten reduzieren. Dies stärkt die Energiesicherheit und reduziert die CO₂-Emissionen erheblich.
Deutschland geht hier keinen Sonderweg: In Dänemark wird ab 2030 kein Gebäude mehr mit Erdgas heizen können. Mehrere Schweizer Städte wie zum Beispiel Basel, Zürich und Winterthur haben angekündigt, das Gasnetz komplett oder in Teilen stillzulegen. In den Niederlanden haben Kommunen seit einigen Jahren Wärmepläne erstellt, welche sukzessive zu einem Rückbau der Gasnetze führen werden. Weitere Länder werden folgen: Die überarbeitete EU-Gasrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu sicherzustellen, dass die Gasnetzbetreiber Stilllegungspläne erstellen, wenn ein signifikanter Rückgang des Gasverbrauchs abzusehen ist. Die Gasnetzstilllegung ist ein entscheidender Schritt zur Klimaneutralität, der jedoch nur mit klarer Strategie, politischem Willen und gesellschaftlicher Akzeptanz erfolgreich umgesetzt werden kann.
Der Beitrag ist am 31. Januar 2025 im Handelsblatt erschienen.
Themen: Ressourcenmärkte, Klimapolitik, Energiewirtschaft