DIW Wochenbericht 11 / 2025, S. 151-152
get_appDownload (PDF 82 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 3.3 MB - barrierefrei / universal access)
Die deutsche Wirtschaft dürfte in diesem Jahr das dritte Jahr in Folge stagnieren. Das DIW Berlin revidiert seine Konjunkturprognose für Deutschland erneut leicht nach unten: Für 2025 erwarten wir nun preisbereinigt eine stagnierende Wirtschaftsleistung und für 2026 eine deutliche Erholung um 1,1 Prozent. Die Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung waren selten so groß wie heute. Ein entschlossenes Handeln der neuen Bundesregierung ist daher wichtiger denn je. Die Ankündigung eines Sondervermögens für Infrastruktur und zusätzliche Ausgaben für Verteidigung könnten einen Paradigmenwechsel für Deutschland bedeuten, wenn die nächste Bundesregierung den Mut hat, mit alten Besitzständen zu brechen.
Die deutsche Wirtschaft kommt weiterhin kaum vom Fleck. Nach einem schwachen vierten Quartal 2024 ist für den Rest des Jahres 2025 nur eine leichte Verbesserung in den meisten Wirtschaftsbereichen zu erwarten. Drei Aspekte verdienen dabei besondere Beachtung, da sie im öffentlichen Diskurs oft zu wenig berücksichtigt werden: Erstens ist die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands nicht allein auf die Industrie zurückzuführen. Investitionen und Auftragslage im Verarbeitenden Gewerbe, insbesondere im Baugewerbe, haben sich in den letzten Monaten etwas stabilisiert. Gleichzeitig hat sich das Wachstum in vielen Dienstleistungssektoren abgeschwächt, sodass die wirtschaftliche Stagnation nahezu alle Bereiche der deutschen Wirtschaft betrifft.
Zweitens ist die wirtschaftliche Realität weit weniger negativ, als es die öffentliche Stimmung vermuten lässt. Viele Unternehmen sind zu Recht besorgt über Zukunftsthemen wie Handelskonflikte, Regulierung, Fachkräftemangel und andere Rahmenbedingungen. Dennoch gibt es einige positive Aspekte, die Hoffnung machen: Der Arbeitsmarkt bleibt weiterhin stabil. Zwar erwarten wir für dieses Jahr einen leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit, doch die Arbeitslosenquote bleibt auf einem niedrigen Niveau. 2026 dürfte die Beschäftigung dann erneut steigen. Die Lohnentwicklung ist insgesamt positiv: Reallöhne und die Kaufkraft der meisten Beschäftigten steigen deutlich. Dies könnte sich weiter verstärken, insbesondere falls Verdi für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen hohe Lohnsteigerungen durchsetzen kann. Zudem ist die Inflation stark gesunken und dürfte auf einem stabilen, niedrigen Niveau bleiben. Sinkende Zinsen in diesem Jahr könnten zusätzlich die Kreditvergabe und damit das Wirtschaftswachstum unterstützen.
Ein entscheidender blinder Fleck bleibt drittens jedoch der private Konsum, der einen wesentlichen Teil der abgeschwächten Prognose für 2025 erklärt. Trotz steigender Reallöhne und Einkommen bleibt die Sparquote auf einem sehr hohen Niveau. Viele Bürger*innen blicken pessimistisch in die Zukunft, und insbesondere Menschen mit geringem Einkommen haben heute oft eine geringere Kaufkraft als noch vor drei oder vier Jahren. Die Entwicklung des privaten Konsums wird daher maßgeblich darüber entscheiden, wann und wie stark sich die deutsche Wirtschaft erholen wird.
Selten war die Unsicherheit bei wirtschaftlichen Prognosen so groß. Die Risiken sind kurzfristig überwiegend nach unten gerichtet – das bedeutet, dass eine weitere Abschwächung der deutschen Wirtschaft derzeit wahrscheinlicher ist als eine schnelle und starke Erholung. Besonders die Handelskonflikte mit den USA und China könnten die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen. In unserer Prognose gehen wir davon aus, dass die US-Regierung keine harten Sanktionen und Zölle gegen europäische Unternehmen verhängen wird, wie es in der ersten Präsidentschaft Donald Trumps der Fall war. Sollte es jedoch zu Zöllen von 25 Prozent auf alle europäischen Produkte kommen, könnte dies Deutschland in eine tiefe Rezession stürzen. Auch eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine und die damit verbundene Unsicherheit würden die deutsche und europäische Wirtschaft stark belasten.
In einem solchen Umfeld ist es umso wichtiger, dass die neue Bundesregierung schnell, glaubwürdig und angemessen gegensteuert. Das angekündigte Sondervermögen für Infrastruktur und die zusätzlichen Ausgaben für Verteidigung könnten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des Vertrauens und zur Reduzierung wirtschaftlicher Unsicherheiten leisten. Eine bereits veröffentlichte Kurzstudie des DIW Berlin deutet an, dass es einige Zeit brauchen wird, bis die zusätzlichen Investitionen in die Infrastruktur umgesetzt werden könnten und ihre volle Wirkung entfalten würden. Die Effekte des 500-Milliarden-Euro-Pakets könnten jedoch erheblich sein und die deutsche Wirtschaftsleistung ab 2026 über zehn Jahre um durchschnittlich mehr als zwei Prozent pro Jahr steigern.Vgl. Geraldine Dany-Knedlik, Alexander Kriwoluzky und Malte Rieth (2025): Sondervermögen für Infrastruktur: 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket würde deutsche Wirtschaft aus der Krise holen. DIW aktuell Nr. 111 (online verfügbar). Sollten jedoch die Pläne der Sondierungsgespräche umgesetzt werden, würde das Sondervermögen nicht zu einer Erhöhung, sondern lediglich zu einer Verschiebung öffentlicher Investitionen aus dem Kernhaushalt in das Sondervermögen führen. Werden dann noch gleichzeitig die Sozialausgaben erhöht und die Steuern gesenkt, dürften die Wachstumseffekte minimal sein und die finanziellen Spielräume kleiner werden.
Ohne zusätzliche öffentliche Investitionen dürfte das Potenzialwachstum in den kommenden Jahren lediglich 0,3 Prozent betragen. Eine weitere DIW-Analyse zeigt, dass das Potenzialwachstum ohne Zuwanderung sogar auf null Prozent sinken könnte.Vgl. Angelina Hackmann, Konstantin A. Kholodilin und Teresa Schildmann (2025): Mehr Migration könnte Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft deutlich erhöhen. DIW aktuell Nr. 101 (online verfügbar).
Daraus lassen sich klare wirtschaftspolitische Empfehlungen ableiten: Die Stärkung öffentlicher Investitionen und eine Reduzierung wirtschaftlicher Unsicherheiten sollten für die neue Bundesregierung oberste Priorität haben. Zwar sind Sondervermögen nicht die ideale Lösung, sie könnten jedoch einen pragmatischen Ansatz bieten, um Deutschlands Investitionsschwäche zu kompensieren und die deutsche Wirtschaft aus der Krise zu holen.Vgl. Dany-Knedlik, Kriwoluzky und Rieth (2025), a.a.O. Dennoch ersetzen sie nicht die Notwendigkeit einer grundlegenden Reform der Schuldenbremse und anderer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Entscheidend wird in den kommenden Jahren sein, ob es den Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen gelingen wird, deutlich mehr Investitionen umzusetzen und das Wachstumspotenzial auszuweiten.
Vor allem der Arbeitskräftemangel dürfte in den kommenden Jahren eine der größten Herausforderungen für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bleiben. Die Bundesregierung sollte daher die Integration der über drei Millionen Schutzsuchenden in Deutschland in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft deutlich verbessern und beschleunigen. Gleichzeitig müssen die Hürden für die Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten gesenkt werden.
Zudem sollte die neue Bundesregierung die private Konsumnachfrage nicht vernachlässigen. Gezielte Entlastungen für Menschen mit mittleren und geringen Einkommen sind dringend nötig, um sowohl die Binnennachfrage zu stärken als auch das Arbeitsangebot besser zu nutzen. Auch eine Anhebung des Mindestlohns könnte einen wichtigen Impuls für den Arbeitsmarkt setzen, die Produktivität steigern, Einkommen erhöhen und langfristig Sozialausgaben senken.
Themen: Konjunktur