Die zukünftigen Koalitionäre müssen mehr Verantwortung für Deutschland übernehmen: Kommentar

DIW Wochenbericht 12 / 2025, S. 192

Alexander S. Kritikos

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Nach der Einigung von Union, SPD und Grünen auf ein Investitionspaket für Infrastruktur und Verteidigung wissen nun Union und SPD, worüber sie in den Koalitionsverhandlungen sprechen können. Immerhin haben die Grünen im Gegenzug zur Zustimmung die Finanzierung der von den potenziellen Koalitionären geplanten Steuergeschenke erschwert. Es gilt, mehr Verantwortung für Deutschland zu übernehmen, statt möglichst viele Partikularinteressen zu bedienen. Laut World Competitiveness Ranking ist Deutschland bei der Wettbewerbsfähigkeit in den letzten zehn Jahren von Platz 6 auf Platz 24 zurückgefallen. Damit Deutschland wieder wettbewerbsfähig wird, müssen nicht nur Investitionen in die Infrastruktur, sondern gleichzeitig Strukturreformen getätigt werden. Sonst läuft das Land Gefahr, dass die Effekte der Investitionen verpuffen.

Fünf Standortbedingungen muss die künftige Regierung angehen, um den Standort Deutschland attraktiv zu machen. Erstens muss das geplante Sondervermögen vor allem für Investitionen in Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur genutzt werden. Erstere senken Transportkosten und machen sowohl die Beschaffung als auch den Absatz günstiger. Bildung und Betreuung garantieren drei Dinge, die einen erfolgreichen Standort ausmachen: hoch qualifizierte Arbeitskräfte, Produktivität und, was immer wichtiger wird, soziale Mobilität.

Zweitens bedarf es eines radikalen Bürokratieabbaus. Die Bürokratie ist zu einem Mühlstein im unternehmerischen Alltag geworden – und ein Hauptgrund für ausbleibende Investitionen. Radikaler Bürokratieabbau bedeutet, die Qualität der öffentlichen Verwaltung zu erhöhen. Eine hochwertige Verwaltung zeichnet sich durch schlanke Verfahren, verständliche Vorschriften und zumutbare Berichtspflichten aus. Genehmigungsverfahren werden innerhalb kurzer Zeit transparent durchgeführt. Bei der Umsetzung werden Unternehmen von Vorschriften entlastet. Dann bietet die öffentliche Verwaltung den wichtigsten Vorteil von Regulierung: Rechtssicherheit.

Drittens muss eine leistungsfähige digitale Infrastruktur aufgebaut werden. Private Investoren spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch dafür muss die Qualität der öffentlichen Verwaltung verbessert werden. Es bedarf gezielter Maßnahmen bei Glasfaser- und Netzausbau oder beim Mobilfunk: vereinfachte und digitalisierte Genehmigungsverfahren sowie einheitliche Standards, damit der deutsche Markt in allen Bereichen der Digitalisierung privaten Investoren offensteht. Um die Verdrängung privater Investitionen zu vermeiden, sollte sich die staatliche Förderung auf unterversorgte Gebiete beschränken.

Viertens fehlen in Deutschland Arbeitskräfte. Derzeit sinkt das inländische Erwerbspersonenpotenzial jährlich um rund 300000 Personen, weil mehr Menschen in Rente gehen als in den Arbeitsmarkt eintreten. Es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes, um das Arbeitskräftepotenzial zu erhöhen: in Deutschland selbst, aber auch durch Zuwanderung aus dem Ausland. Um ersteres zu gewährleisten, sind neben der Abschaffung der Rente mit 63 und der schrittweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre Maßnahmen erforderlich, die es Frauen ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen. Darüber hinaus muss die Zuwanderung von Arbeitskräften erleichtert und das Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterentwickelt werden. Denn noch immer dauert es viel zu lange, bis Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten bei uns arbeiten können.

Im Zusammenhang mit Zuwanderung wird die Erhöhung der inneren Sicherheit zum fünften Faktor für eine Verbesserung des Wirtschaftsstandorts. Dafür muss der Einstieg in Kriminalität durch Bildung, Chancengerechtigkeit, Arbeitsmarktperspektiven und sozialpolitische Maßnahmen verhindert werden – flankiert von einer Modernisierung von Polizei und Justiz.

Die Zukunft des Standort Deutschlands wird davon abhängen, welche der vorgeschlagenen Maßnahmen in den Koalitionsverhandlungen vereinbart werden. Das Parlament sollte bei der Verabschiedung des Sondervermögens die Freigabe einzelner Tranchen an Fortschritte beim Reformprozess knüpfen.

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