In der Kernfusion geht es heute stärker um angewandte Forschung als um energetische Nutzung: Interview

DIW Wochenbericht 13 / 2025, S. 202

Christian von Hirschhausen, Erich Wittenberg

get_appDownload (PDF  105 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.42 MB - barrierefrei / universal access)

Herr von Hirschhausen, der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz sprach sich im Wahlkampf dafür aus, besser auf Kernfusion statt auf erneuerbare Energien zu setzen. Wie realistisch wäre ein solches Szenario? Aus einer energiewirtschaftlichen Perspektive ist die Kernfusion heute von einer kommerziellen Nutzung genauso weit entfernt wie damals in den 1950er Jahren, als sie entwickelt wurde. Für die Energiewende ist sie somit irrelevant. Allerdings tun sich im Bereich der angewandten Forschung tatsächlich interessante Entwicklungen auf, die man aber von der energetischen Nutzung für Strom oder Wärme trennen sollte.

Welche interessanten Entwicklungen tun sich da auf? Man kann insbesondere durch Kooperationen mit privaten Unternehmen und öffentlich-privaten Partnerschaften Entwicklungen in der Magnettechnik, bei Hochleistungslasern und in der zerstörungsfreien Materialprüfung beobachten. Die Start-ups zeigen, dass man auch jenseits der Energie sinnvolle und vom Markt nachgefragte Produkte schaffen kann.

2022 wurde in einem Experiment in Kalifornien erstmals eine Fusionsreaktion in Gang gesetzt, bei der mehr Energie freigesetzt wurde als für ihre Zündung notwendig war. Medial wurde das als Durchbruch gefeiert. Wie ordnen Sie das ein? Dieses an der National Ignition Facility durchgeführte Experiment ist tatsächlich beeindruckend, wobei falsch ist, dass mehr Energie freigesetzt wurde als für die Zündung notwendig war. Man hat dort eine falsche Rechnung benutzt, um ein interessantes Forschungsergebnis öffentlichkeitswirksam in die Welt zu setzen. Interessante und anspruchsvolle Ergebnisse werden in der Geschichte der Kernfusion immer gerne als Durchbruch identifiziert. Bezüglich der kommerziellen energetischen Nutzung der Kernfusion gibt es jedoch keine Perspektive.

In Sachen Kernfusion gibt es ein Forschungsprogramm des BMBF sowie weitere Programme in Bayern und Hessen. Was verspricht man sich davon? Das Pilotprojekt ITER, also der Versuchs-Kernfusionsreaktor in Frankreich, an dem 33 Länder beteiligt sind, ist praktisch um Jahrzehnte verzögert. Hinzu kommt jetzt die schwierige internationale Lage. Dadurch ist in den USA, in Großbritannien nach dem Brexit und jetzt auch in Deutschland eine Tendenz der Renationalisierung von Forschungspolitik zu beobachten. Dabei geht es aber nicht darum, eine Perspektive für die energetische Nutzung zu schaffen, sondern Forschungskapazitäten, die bisher eher in der Grundlagenforschung lagen, in die angewandte Forschung zu verschieben und zudem neue Unternehmensstrukturen zu unterstützen, nämlich öffentlich-private Kooperationen. In diesem Wettbewerb um Köpfe und Forschungsmittel sind jetzt Hessen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern aktiv. Es muss gezeigt werden, dass diese Mittel, die in die angewandte Forschung gehen, dann auch Produkte erzeugen, die vom Markt nachgefragt werden beziehunsgweise Nutzen schaffen.

Ist es nicht ein Widerspruch, dass von politischer Seite immer noch von Kernfusion als Möglichkeit zur Energieversorgung gesprochen wird, aber in der Forschungsförderung dieses Ziel überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheint? Ich glaube, das ist eine rhetorische Figur, die man seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit nutzt. Wenn man sich etwas mit dem Sektor beschäftigt, dann sieht man, dass die sogenannte Fusionskonstante, sprich „in 40 Jahren haben wir die Kernfusion“, seit den 1950er Jahren vor sich hergeschoben wurde. 1986 wurde mir am Institut für Plasmaphysik in Princeton erläutert, es dauere noch 40 Jahre. Heute heißt es immer noch, es dauerte noch 40 Jahre. Deshalb sollte man solche Aussagen nicht überbewerten.

O-Ton von Christian von Hirschhausen
In der Kernfusion geht es heute stärker um angewandte Forschung als um energetische Nutzung - Interview mit Christian von Hirschhausen

keyboard_arrow_up