Europas digitale Fragmentierung bremst Wachstum und Innovation: Kommentar

DIW Wochenbericht 15 / 2025, S. 234

Alexander Schiersch

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Europa hat ein Wachstums- und Wettbewerbsproblem. Gerade in einem Kernfeld der heutigen Wirtschaft – den digitalen Diensten und Anwendungen – ist Europa gefährlich zurückgefallen. Während digitale Plattformen, Cloud-Services, Künstliche Intelligenz und andere datengetriebene Geschäftsmodelle in den USA längst dominieren, hinkt Europa deutlich hinterher. Die Zahlen sprechen für sich: Der Anteil der Digitalwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt liegt in den USA inzwischen bei fast zehn Prozent, während er in Europa nur etwa sechs Prozent beträgt. Auch bei den weltweit größten Digitalunternehmen spielen europäische Anbieter kaum eine Rolle. Die Folge: Europa verliert nicht nur Marktanteile, sondern auch Innovationskraft, Investitionen und Wirtschaftswachstum. Aber woran liegt das?

Der europäische Binnenmarkt für digitale Dienste ist zersplittert. Dies liegt zum Teil an kulturellen Unterschieden in der Nutzeransprache, im Datenschutzverständnis, der Risikobereitschaft oder schlicht daran, dass wir verschiedene Sprachen sprechen. Für europäische Unternehmen, die Endnutzer*innen als Kund*innen haben und schnell skalieren wollen, bedeutet das: Die Expansion über Landesgrenzen erfordert zusätzlichen Aufwand, da Marketingstrategien und Kommunikation auf jedes Land zugeschnitten werden müssen. In den USA hingegen können Unternehmen auf einen homogenen Markt zugreifen und dadurch schneller wachsen. Aber das ist noch handhabbar.

Gravierender als sprachliche oder kulturelle Unterschiede sind nationale Verschärfungen der Regulierung. Trotz Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bestehen weiterhin nationale Sonderregeln. Ein deutsches Unternehmen, das seine Online-Dienste in Finnland anbieten will, muss dort zusätzliche Dokumentationspflichten und besonders restriktive Cookie-Banner umsetzen. In Frankreich verlangt die entsprechende Regulierungsbehörde besonders strikte Einwilligungsprozesse; in den Niederlanden gelten zusätzliche Anforderungen für den Umgang mit Gesundheitsdaten. Im Gegensatz dazu zeigt Irland, dass es auch anders geht: Dort orientieren sich die Vorgaben eng an der DSGVO, ohne nationale Verschärfungen. Solche Unterschiede führen dazu, dass Unternehmen erhebliche Ressourcen in länderspezifische Anpassungen investieren müssen, statt Innovation und Wachstum voranzutreiben.

Dass Europa in den letzten zwei Jahrzehnten nicht mit den USA und China Schritt halten konnte, ist der EU durchaus bewusst. Unter anderem mit dem Competitiveness Compass – einer Art Regierungsprogramm der neuen Kommission – formuliert sie eine Agenda für mehr Wettbewerbsfähigkeit, auch im Digitalen. Ein Element dabei ist die Schaffung eines europäischen Binnenmarktes für Daten. Mit der „European Strategy for Data“ verfolgt die EU das Ziel, Datenräume über Sektorgrenzen hinweg zu schaffen, den Zugang zu Daten zu erleichtern und einen echten EU-Datenbinnenmarkt zu etablieren. In diesem Zusammenhang wurde bereits 2023 der „Data Act“ verabschiedet. Er soll vor allem den Austausch von Daten zwischen Unternehmen und Geräten im Rahmen des sogenannten Internets der Dinge regeln und den Zugang zu industriellen Nutzungsdaten verbessern.

Doch das greift zu kurz. Der Data Act betrifft hauptsächlich Datenflüsse im Industrieumfeld, nicht aber den gesamten Bereich digitaler Dienstleistungen für Endnutzer*innen. Hier bleiben nationale Unterschiede bestehen. Anbieter von digitalen Diensten müssen in jedem EU-Land weiterhin spezifische Anforderungen erfüllen, sobald personenbezogene Daten ins Spiel kommen. Europa braucht zudem mehr als Strategien und Ankündigungen, nämlich die konsequente Vereinheitlichung digitaler Regeln. Nationale Alleingänge bei Datenschutz und Nutzerzustimmungen müssen beendet werden. Nur dann können europäische Unternehmen skalieren, Innovationen vorantreiben und digitale Produkte „Made in Europe“ im internationalen Wettbewerb erfolgreich machen. Die neue Bundesregierung muss dies als Teil einer Strategie zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit vorantreiben. Zum einen sollte sie auf EU-Ebene auf eine Vereinheitlichung der Regeln hinarbeiten. Zum anderen könnte sie mit gutem Beispiel vorangehen und die Regeln auf die ursprüngliche DSGVO begrenzen – ganz im Sinne des so oft genannten Ziels eines Bürokratieabbaus.

Dieser Beitrag ist am 8. April 2025 in der Fuldaer Zeitung erschienen.

Alexander Schiersch

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte

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