DIW Wochenbericht 24 / 2025, S. 180
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Bundeskanzler Merz und Innenminister Dobrindt haben angekündigt, an den Zurückweisungen von Geflüchteten an der Grenze festhalten zu wollen – trotz des Gerichtsurteils zum Verbot der Zurückweisung von Asylsuchenden ohne Dublin-Verfahren. Das ist aus mehreren Gründen ein schwerer Fehler. Der Wunsch nach einer besseren Steuerung der Zuwanderung ist legitim und verständlich. Aber mit dem angekündigten Vorgehen höhlen ausgerechnet Regierungsverantwortliche unsere Demokratie aus.
Die Migrationspolitik der Union, die scheinbar auch vom Koalitionspartner SPD getragen wird, richtet aus drei Gründen erheblichen Schaden an. Auch wenn es im Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts nur um einen Einzelfall ging, rüttelt die Ankündigung, trotzdem an Zurückweisungen festhalten zu wollen, an demokratischen Grundfesten. Das Recht auf Asyl ist unmissverständlich im Grundgesetz verankert. Anstatt Brücken zu bauen und einen breiten Konsens zu finden, vertieft dieses Vorgehen die politische Spaltung in unserem Land. Merz und Dobrindt scheinen die Lehren der letzten zehn Jahre nicht verstanden zu haben: Die AfD ist die einzige Gewinnerin dieser Politik. Verlierer sind unsere Demokratie, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Zweitens schwächt der Kurs der deutschen Migrationspolitik Europa empfindlich. Das Gericht hat angemahnt, dass die Bundesregierung sich an europäisches Recht halten muss und keinen nationalen Alleingang gehen darf. Zurückweisungen an der Grenze fallen auf unsere Nachbarländer zurück und stärken auch dort die rechten politischen Ränder. Wir sehen gerade in Polen, wohin dies führen kann – und wozu die deutsche Politik einen Beitrag leistet. Mit dieser Schwächung Europas schadet Deutschland vor allem sich selbst.
Drittens richtet die Migrationspolitik der Bundesregierung erheblichen wirtschaftlichen Schaden an. Sie wird unweigerlich dazu führen, dass qualifizierte Fachkräfte einen Bogen um Deutschland machen werden. Denn diese haben Alternativen und meiden Deutschland, da sie sehr wohl die Signale des Nicht-Willkommenseins wahrnehmen. Menschen, die wegen Krieg, Verfolgung oder Armut nach Deutschland kommen, haben dagegen meist keine andere Wahl. Die Konsequenz ist: weiterhin ungesteuerte Zuwanderung, aber kaum gesteuerte Zuwanderung, die wir für unseren Arbeitsmarkt dringend benötigen. Viele Bereiche der Daseinsvorsorge werden darunter leiden – und damit alle Bürgerinnen und Bürger. Viele Unternehmen sind durch fehlende Fachkräfte in ihrer Existenz bedroht, was auch Arbeitsplätze für Deutsche gefährdet.
Wir brauchen daher dringend einen Kurswechsel: Erstens muss die Bundesregierung schnell und glaubwürdig kommunizieren, dass sie sich an Recht und Gesetz hält. Und dass sie Deutschlands Verantwortung in Europa – auch in der Migrationspolitik – in Zukunft besser gerecht wird. Dies erfordert ein Ende nationaler Alleingänge und die Stärkung europäischer Institutionen und Regeln. Zweitens müssen die Parteien die Migrationsdebatte wieder mit mehr Ehrlichkeit und ohne den unsäglichen Populismus der vergangenen Jahre führen. Das erfordert das Eingeständnis, dass die Zuwanderung zwar eine Herausforderung ist, aber für keines unserer großen Probleme verantwortlich ist. Demokratische Politiker*innen sollten nicht ausschließlich über die Probleme und Gefahren, sondern viel stärker über Erfolge und Chancen der Zuwanderung sprechen. Und sie sollten den Menschen ehrlich vermitteln, dass unser Wohlstand auf dem Spiel steht. Drittens benötigen wir eine Verlagerung der Migrationspolitik – weg von dem Fokus, wie Menschen aus Deutschland ferngehalten werden können, und hin zu der Frage, wie wir die Schutzsuchenden besser in Arbeitsmarkt und Gesellschaft integrieren können.
Die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung befindet sich auf einem gefährlichen Irrweg. Sie höhlt unsere Demokratie aus, sie schwächt Europa und sie verursacht erheblichen wirtschaftlichen Schaden. Und sie hat nur einen Gewinner: die AfD.
Der Beitrag ist am 6. Juni 2025 in einer längeren Fassung auf Zeit Online erschienen.