DIW Wochenbericht 25 / 2025, S. 404
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.34 MB - barrierefrei / universal access)
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass ein neuer Aspekt der Migration den öffentlichen Diskurs in Deutschland bestimmt. Nach Debatten über Gewalt oder Zurückweisungen an der Grenze steht nun erneut die Frage im Zentrum: Lohnt sich Migration finanziell für Deutschland?
Die klare Antwort: Ja. Eine neue Studie des Ökonomen Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum und des Sachverständigenrats für Wirtschaft belegt einen erheblichen langfristigen finanziellen Nutzen der Zuwanderung für den deutschen Staat. Diese Aussage treibt manchen Deutschen die Zornesröte ins Gesicht: Wie kann das sein, wenn der Staat jährlich 28 Milliarden Euro für Geflüchtete ausgibt und fast die Hälfte aller Bürgergeldempfänger keinen deutschen Pass hat?
Migration verursacht zunächst Kosten – etwa durch Integrationshilfen und Sozialleistungen –, langfristig leistet Migration aber einen wichtigen Beitrag zur Wirtschaftsleistung. Wenn Migrantinnen und Migranten erwerbstätig werden erhöht das die Wirtschaftsleistung. Mit diesem Wirtschaftswachstum steigen die Einkommen von Unternehmen und Beschäftigten, der Sozialstaat erhält zusätzliche Beiträge für Rente, Pflege und Gesundheit, und der Staat profitiert von höheren Steuereinnahmen. Als das DIW Berlin bereits vor zehn Jahren auf diesen Zusammenhang hinwies und den Beitrag von Migrantinnen und Migranten zur Finanzierung der sozialen Sicherung betonte, war der Aufschrei in bestimmten politischen Lagern groß. 10 Jahre später bestätigt nun eine weitere, sehr gute und detaillierte Studie von Martin Werding die Ergebnisse.
Was bedeutet das konkret für Wirtschaft und Gesellschaft? In den kommenden zehn Jahren werden viele Unternehmen in Deutschland scheitern oder schließen müssen – weil ihnen die Arbeitskräfte fehlen, um weiter produzieren zu können. Das betrifft auch Deutsche, die dadurch ihre Arbeit verlieren. Besonders hart trifft es strukturschwächere Regionen und Menschen, die nicht flexibel ihren Wohnort wechseln können – also gerade viele AfD-Wählerinnen und -Wähler, die daher zu den größten Verlierern der von ihrer Partei geforderten Migrationspolitik gehören würden. Viele dieser Migrantinnen und Migranten, darunter auch Geflüchtete wegen Krieg, Verfolgung oder Armut, arbeiten in systemrelevanten Berufen. Ohne sie funktioniert weder Pflege noch Gesundheitsversorgung, weder Landwirtschaft noch Supermarktlogistik, weder Haushaltsdienstleistungen noch Reise- und Gastgewerbe. Der derzeitige Arbeitskräftemangel zählt zu den größten Gefahren für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Wir brauchen deutlich mehr Zuwanderung.
Die Politik aber setzt auf Abschottung: Grenzkontrollen, Leistungskürzungen und ein gesellschaftliches Narrativ, das Zuwanderung primär als Problem darstellt. Das macht Deutschland zunehmend unattraktiv – insbesondere für hoch qualifizierte Menschen. Eine internationale Umfrage von InterNations unter hoch qualifizierten Fachkräften zeigt: Deutschland zählt in Sachen Willkommenskultur zu den unattraktivsten von 53 Ländern in der Studie weltweit. Zwar loben viele internationale Fachkräfte die Qualität der Arbeitsplätze – aber sie beklagen eine unfreundliche, teils feindliche Atmosphäre, bürokratische Hürden und große Probleme bei der Wohnungssuche und der öffentlichen Verwaltung. Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass ein ungewöhnlich hoher Anteil der nach Deutschland gekommenen Fachkräfte das Land nach wenigen Jahren wieder verlässt.
Der öffentliche Diskurs und die aktuelle Migrationspolitik gehen in eine völlig falsche Richtung. Leistungskürzungen, Hürden bei der Anerkennung von Qualifikationen, Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und das Zurückdrehen der Einbürgerungsreform sind fatale Fehlentscheidungen. Stattdessen brauchen wir eine Stärkung unserer offenen Gesellschaft, mehr Wertschätzung, gesellschaftliche Anerkennung und eine Bundesregierung, die durch Wort und Tat zeigt: Migrantinnen und Migranten sind willkommen – als Menschen und als Mitgestaltende unseres wirtschaftlichen und sozialen Zusammenlebens.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 13. Juni 2025 bei Zeit online erschienen.
Themen: Migration, Arbeit und Beschäftigung