Ohne direkte Mehrbelastung der Jungen: „Boomer-Soli“ kann wichtiger Baustein für Stabilisierung der Rente sein

DIW Wochenbericht 29 / 2025, S. 447-456

Stefan Bach, Maximilian Blesch, Annica Gehlen, Johannes Geyer, Peter Haan, Stefan Klotz, Bruno Veltri

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  • Umlagefinanziertes deutsches Rentensystem gerät mit Eintritt der Babyboomer in Ruhestand zunehmend unter Druck
  • Studie untersucht zwei Reformansätze: Umverteilung von Anwartschaften innerhalb der gesetzlichen Rente und „Boomer-Soli“, eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte
  • Beide Maßnahmen würden finanzielle Lage einkommensschwacher Rentner*innenhaushalte verbessern und Risiko von Altersarmut senken, ohne Jüngere direkt zu belasten
  • Eingriff in Rentenanwartschaften verfassungsrechtlich schwierig und höchstens langfristig machbar, Fokussierung auf gesetzliche Rente greift zudem zu kurz
  • Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte („Boomer-Soli“) hätte deutlich breitere Bemessungsgrundlage und könnte relativ flexibel eingeführt werden

„Der demografische Wandel ist eine große Aufgabe, die mit Blick auf das Rentensystem enorme Anstrengungen erfordert. Jetzt schon fließen 20 Prozent des gesamten Bundeshaushalts in die Rente. Der Boomer-Soli ist ein Vorschlag, der die Chance bieten würde, dass alle Generationen an der Bewältigung der Aufgabe mitarbeiten.“ Maximilian Blesch

Mit dem Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand gerät das umlagefinanzierte Rentensystem in Deutschland zunehmend unter Druck. Einschlägige Stellschrauben – insbesondere höhere Beitragssätze oder ein sinkendes Rentenniveau – führen zu einem Spannungsverhältnis zwischen den Generationen: Entweder steigt die finanzielle Belastung der Jüngeren oder das Risiko von zu geringen Renten und Altersarmut bei den Älteren. In dieser Studie werden zwei Reformansätze untersucht, die zu einer Umverteilung innerhalb der älteren Generationen führen würden: eine Umverteilung von Rentenanwartschaften in Anlehnung an den Vorschlag des Sachverständigenrats für Wirtschaft sowie der hier vorgeschlagene „Boomer-Soli“, eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte ab einer gewissen Höhe. Während die Umverteilung innerhalb der Rentenversicherung nur langfristig eingeführt werden könnte, ließe sich die Sonderabgabe unmittelbar umsetzen. Beide Maßnahmen würden die finanzielle Lage einkommensschwacher Rentner*innenhaushalte verbessern, ohne jüngere Generationen direkt zu belasten. Im Fall der Sonderabgabe ermöglicht die Einbeziehung aller Alterseinkünfte und auch der Vermögenseinkommen eine breite Umverteilung mit moderater Belastung der höheren Einkommensgruppen.

Der demografische Wandel stellt das umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherungssystem in Deutschland vor große Herausforderungen: Seit Jahrzehnten niedrige Geburtenraten, steigende Lebenserwartung und große Babyboomer-Kohorten in Rente sorgen dafür, dass es zunehmend mehr Rentner*innen pro erwerbstätiger Person in der Bevölkerung gibt.

Mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre wird die Zahl der Neurentner*innen in den kommenden Jahren deutlich steigen. Die sogenannten Boomer-Jahrgänge bringen durch ihre schiere Größe die Finanzierungsgrundlage des umlagefinanzierten Systems in Schwierigkeiten. Den bevorstehenden Alterungsschub verdeutlicht die voraussichtliche Entwicklung des sogenannten Altenquotienten: Betrachtet man das Verhältnis der Menschen im Rentenalter (ab 67 Jahren) zu Menschen im Erwerbsalter (20 bis unter 67 Jahre), so steigt es nach den Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes von heute 0,33 auf 0,42 im Jahr 2035.infoDer Alterungsschub ist in den Zahlen zum Rentenzugang bereits sichtbar. Gingen 2010 etwa 670000 Menschen in Altersrente, waren es 2023 mehr als 950000.

Die Rentenpolitik steht damit vor der Frage, wer die absehbaren Belastungen des demografischen Wandels tragen soll. Zentrale Stellschrauben der Rentenpolitik sind der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung, das Sicherungsniveau, das Renteneintrittsalter und der Steuerzuschuss zur Rente. Dabei gibt es jedoch einen generationenübergreifenden Zielkonflikt: Eine Senkung des Rentenniveaus birgt das Risiko wachsender Altersarmut,infoHermann Buslei, Johannes Geyer und Peter Haan (2023): Zur Entwicklung der Altersarmut bei Änderungen der Rentenanpassungsregeln und weiterer Reformen. DIW Politikberatung kompakt Nr. 198 (online verfügbar; abgerufen am 1. Juli 2025. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Hermann Buslei et al. (2019): Das Rentenniveau spielt eine wesentliche Rolle für das Armutsrisiko im Alter. DIW Wochenbericht Nr. 21/22, 375–383 (online verfügbar). während ein steigender Beitragssatz, eine steigende Steuerfinanzierung oder auch eine Anhebung des Renteneintrittsalters die finanzielle Last der demografischen Entwicklung stärker auf die jüngeren Generationen verlagert.

Die aktuelle Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, das RentenniveauinfoDas Rentenniveau (genauer: Sicherungsniveau vor Steuern nach § 154 3a SGB VI) entspricht dem Verhältnis einer standardisierten Rente (45 Jahre Beitragszahlung auf Basis eines durchschnittlichen Einkommens) und dem durchschnittlichen Einkommen eines*r aktuell Beschäftigten nach Abzug der Beiträge zu den Sozialversicherungen. bis zum Jahr 2031 bei 48 Prozent zu stabilisieren. Zugleich soll der Beitragssatz zur gesetzlichen Rentenversicherung in den kommenden Jahren steigen, um die Finanzierungslücke zu schließen – auch der Steuerzuschuss zur Rente wird steigen. Damit wird die demografisch bedingte Mehrbelastung vor allem auf die heute erwerbstätigen Generationen geschoben.

Neben diesen intergenerationellen Verteilungswirkungen des Rentensystems gibt es auch Verteilungseffekte innerhalb der Generationen – also zwischen den aktuellen Rentner*innen. Da die Lebenserwartung in Deutschland – wie auch in anderen Ländern – bei höherem Lebenseinkommen oder höheren Rentenanwartschaften systematisch höher ist, kommt es zu Umverteilungswirkungen von geringen zu hohen Renten.infoPeter Haan, Daniel Kemptner und Holger Lüthen (2019): Besserverdienende profitieren in der Rentenversicherung zunehmend von höherer Lebenserwartung. DIW Wochenbericht Nr. 23, 391–399 (online verfügbar). Aktuelle Vorschläge des Sachverständigenrats für Wirtschaft zur Rentenreform knüpfen an diesen Punkten an: Einerseits soll der Beitragssatzanstieg durch eine Absenkung des Rentenniveaus gedämpft werden, andererseits soll das Rentenniveau bei Menschen mit geringen Alterseinkommen nicht zu stark sinken. In seinem Jahresgutachten 2023/24 hat der Sachverständigenrat die Einführung von progressiven Komponenten in das gesetzliche Rentensystem diskutiert.infoSachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023): Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren. Jahresgutachten 2023/24 (online verfügbar). So könnte die vorgeschlagene Senkung des Rentenniveaus für Menschen mit niedrigen Renten auf Kosten einer stärkeren Senkung für Menschen mit hohen Renten kleiner ausfallen. Diese Reform würde zu einer bisher nicht gekannten Umverteilung innerhalb des Versichertenkollektivs führen und das bisher angewendete Äquivalenzprinzip aufheben.

Ein Nachteil bei einer Umverteilung innerhalb des Rentensystems wäre, dass nicht alle Einkommensarten und auch nicht alle Personen Teil des Versichertenkollektivs sind. Eine hohe Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung muss nicht mit einem hohen Haushaltseinkommen einhergehen und umgekehrt sind niedrige Renten auch nicht immer gleichbedeutend mit niedrigen Haushaltseinkommen. Dabei erschweren überkommene ständisch-korporatistische Traditionen der öffentlichen Alterssicherungssysteme eine Umverteilung: Während besser- und hochverdienende Angestellte in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert sind, bleiben Beamt*innen oder Selbständige außen vor, auch wenn sie niedrige Einkommen haben. Dies gilt ebenso für die Versicherten der berufsständischen Versorgungswerke (kammerfähige freie Berufe), die auch Angestellte dieser Branchen aufnehmen. Eine Umverteilung innerhalb der Generation der Älteren durch das Steuersystem ist daher zielgenauer, da hier alle Alterseinkünfte und Personen erfasst werden können.infoSiehe dazu auch Kasten 3 in diesem Bericht.

In diesem Wochenbericht werden die Verteilungswirkungen einer Umverteilung innerhalb des Rentensystems (Szenario 1) mit den Verteilungswirkungen einer breiten zusätzlichen Besteuerung aller Alterseinkünfte verglichen. Letztere soll als Solidaritätsabgabe auf Alterseinkünfte erhoben werden („Boomer-Soli“), so dass die jüngeren Generationen nicht direkt betroffen sind. Für diese Sonderabgabe werden zwei Varianten betrachtet. In einer Variante werden sämtlich Alterseinkünfte aus definierten Altersvorsorgeplänen belastet, also gesetzliche, betriebliche und private Renten, Beamt*innenpensionen und sonstige Versorgungsbezüge (Szenario 2a). In einer weiteren Variante werden auch VermögenseinkünfteinfoDafür müssten bei der Meldung der Kapitalertragsteuer auch personenbezogene Daten (Geburtsdatum) an die Steuerbehörden gemeldet werden. der zusätzlichen Besteuerung unterworfen, sofern ein Haushaltmitglied älter als 65 Jahre alt ist (Szenario 2b). Erwerbseinkommen werden in keinem Szenario zusätzlich besteuert, um keine negativen Erwerbsanreize zu erzeugen.

Alle Szenarien sind budgetneutral gestaltet. Das heißt, die zusätzlichen Steuereinnahmen werden innerhalb der älteren Generation umverteilt. Damit sind die Szenarien vergleichbar. Denkbar wären auch andere Szenarien, die weniger oder stärker umverteilen und/oder nicht budgetneutral sind. Auch für die Verwendung der zusätzlichen Einnahmen gibt es unterschiedliche Varianten. Denkbar wäre etwa, die Zielgenauigkeit durch eine Einkommensprüfung in Anlehnung an die Grundrente zu erhöhen oder die Mittel zur Stabilisierung der Rentenversicherungsbeiträge zu nutzen. Diese Alternativen können in diesem Bericht nicht analysiert werden.

Die Analyse basiert auf Mikrosimulationsrechnungen mit dem Open-Source-Modell GETTSIM (Kasten 1) und Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des Jahres 2019.infoDas Sozio-oekonomische Panel (SOEP) ist eine repräsentative und multidisziplinäre Haushaltsbefragung. Vgl. Jan Goebel et al. (2019): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Journal of Economics and Statistics, 239(2), 345–360, doi:10.1515/jbnst-2018-0022 (online verfügbar). Mögliche Verhaltensanpassungen der Haushalte bei Erwerbstätigkeit oder Ersparnis werden im Folgenden vernachlässigt.infoPotenzielle Effekte einer Umverteilung in der Rentenversicherung und eines „Boomer-Solis“ werden im Fazit am Ende dieses Berichts diskutiert.

Das Haushaltsnettoeinkommen wurde mit der Software GETTSIM berechnet.infoDie Dokumentation für GETTSIM ist online verfügbar. GETTSIM (GErman Taxes and Transfers SIMulator) ist ein Programm, das von Forschenden an mehreren Forschungsinstituten und Universitäten in Deutschland (IZA, DIW Berlin, ifo Institut, ZEW, Universität Bonn, Universität Kassel, LMU München, Universität Mannheim, FU Berlin und IAB) gemeinsam entwickelt wird. Das Programm ist als Open-Source-Projekt implementiert und somit der Öffentlichkeit frei zugänglich.

GETTSIM kann für beliebige Haushaltskonstellationen, Erwerbssituationen und Einkommenslagen genutzt werden, um relevante Größen des deutschen Steuer- und Transfersystems zu simulieren. Hierzu gehören beispielsweise die Steuerlast von Haushalten, individuelle Sozialversicherungsbeiträge sowie Transferleistungen wie Arbeitslosengeld, Kindergeld, Wohngeld, Bürgergeld und Rentenansprüche.

Für die Analyse wird von einer vollen Inanspruchnahme von Sozialleistungen wie Wohngeld ausgegangen. Dies kann zu einer leichten Überschätzung der Haushaltseinkommen von Geringverdiener*innen führen.

Die Datengrundlage für die Berechnungen bildet das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Die Befragungsdaten geben Aufschluss über die Einkommenssituation und Haushaltskonstellation der deutschen Bevölkerung. Mithilfe von GETTSIM können Steuerlast und Transferleistungen für Haushalte berechnet und somit Änderungen im Haushaltsnettoeinkommen von Rentner*innen simuliert werden.

Die Berechnungen beziehen sich auf die Einkommens- und Rechtslage des Jahres 2019. Änderungen des Steuer- und Transfersystems nach 2019 werden dementsprechend nicht in der Analyse berücksichtigt. Es handelt sich um eine statische Simulation.

Umverteilung in Rentenversicherung reduziert Altersarmutsrisiko, belastet hohe Einkommen aber kaum

Die hier simulierte Umverteilung von Ressourcen innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung (Szenario 1) weicht explizit vom sogenannten Äquivalenzprinzip ab, in dem gezahlte Beiträge und individuelle Rentenansprüche eng miteinander verknüpft sind. Damit sollen – ähnlich der Einkommensteuer – umfassende progressive Komponenten in das gesetzliche Rentensystem integriert werden. Dies könnte prinzipiell schon bei der Einzahlung von Rentenbeiträgen und dem damit einhergehenden Erwerb von Rentenanwartschaften geschehen.infoSo wie es beispielsweise bei den sogenannten Midi-Jobs bereits gemacht wird. Auch die Grundrente wäre ein Beispiel für eine Aufwertung, allerdings erst nach dem Renteneintritt. Der Fokus dieses Wochenberichts liegt jedoch auf der Umverteilung innerhalb der jetzigen älteren Generationen.

Problematisch an einer Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rente ist, dass eine Kürzung laufender Renten weder sinnvoll noch rechtlich möglich ist.infoDas wäre neben den rechtlichen Bedenken nicht sinnvoll, da eine Kürzung laufender Renten das Vertrauen in den Sozialstaat bei dieser zentralen Einkommensquelle im Alter erheblich verletzen würde. Die Reform wäre daher nur langfristig auf künftige Renten anwendbar. Für die Simulation wird vereinfachend angenommen, dass die Rentenanwartschaften aller bestehenden Rentner*innen zu Rentenbeginn – von der heutigen Regelung abweichend – neu bewertet werden.infoEs handelt sich hierbei also um eine statische Simulation, langfristige Verhaltensanpassungen werden nicht berücksichtigt. Das Szenario orientiert sich an den Vorschlägen aus dem Jahresgutachten 2023/24 des Sachverständigenrats für Wirtschaft (Kasten 2).infoVgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), a.a.O. Hierfür werden Entgeltpunkte, aus denen sich die Rentenanwartschaften ergeben, unter einem gewählten Schwellenwert mit einem Faktor von 1,5 gewichtet und Entgeltpunkte über dem gewählten Schwellenwert mit einem Faktor von 0,5 (Abbildung 1).infoIn der Simulation wird die gesamte Entgeltpunktsumme für die Umwertung genutzt. In der Praxis wäre allerdings zu fragen, ob hier nicht bereits bestehende umverteilende Elemente wie der Grundrentenzuschlag oder die Entgeltpunkte für Kindererziehung ausgenommen werden sollten. Dies führt zu einer Aufstockung niedriger Renten und Abschmelzung hoher Rentenansprüche.infoDer Kreis der Begünstigten wäre dabei deutlich größer als bei der Grundrente, da das Umverteilungskriterium ein anderes ist (keine versicherungsrechtlichen Voraussetzungen) und keine Einkommensprüfung vorgenommen wird. Der Schwellenwert für die Umverteilung der Rentenanwartschaften wird so gewählt, dass die Änderungen aus fiskalischer Sicht budgetneutral sind. Eine Abschmelzung hoher Rentenansprüche führt also zu Steuereinbußen in höheren Einkommensschichten, die in anderen Bereichen der Einkommensverteilung kompensiert werden müssen, damit der Staatshaushalt insgesamt unverändert bleibt. Szenario 1 sieht vor, dass nur gesetzliche Altersrenten neu gewichtet werden. Theoretisch hätte eine derartige Reform auch Auswirkungen auf die Hinterbliebenenrenten, die hier aber nicht betrachtet werden.

Das hier simulierte Modell zur Aufwertung niedriger Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert sich am Vorschlag des Sachverständigenrats für Wirtschaft aus dem Jahr 2023. Die Aufwertung erfolgt anhand der Entgeltpunktsumme und wird so gestaltet, dass die Summe der Aufwertungen der Minderung bei den höheren Renten entspricht, also budgetneutral umgesetzt werden kann. Dafür werden alle erworbenen Entgeltpunkte bis zu einem Schwellenwert von 20,8 um 50 Prozent angehoben und die Entgeltpunkte oberhalb dieses Wertes um 50 Prozent gemindert. Effektiv proftieren dadurch alle Rentner*innen mit einer Entgeltpunktesumme bis zu 41,6. Diese entspricht einer Regelaltersrente von 1679 Euro im Jahr 2025. Personen mit höheren Anwartschaften verlieren durch die Umverteilung.

Für die Umsetzung müssen einige vereinfachende Annahmen getroffen werden. Erstens wird diese Reform anhand von Daten des Jahres 2019 simuliert. Eine sofortige Umsetzung der Reform ist nicht realistisch, da die Rentenansprüche der Versicherten eigentumsrechtlich geschützt sind und eine Umwertung der laufenden Renten nicht möglich wäre. Auch ein erheblicher Eingriff in die Bewertung bestehender Rentenanwartschaften wäre problematisch. Eine entsprechende Reform könnte also nur sehr langfristig umgesetzt werden, etwa indem neu erworbene Anwartschaften mit diesem neuen Bewertungsschema gewichtet würden. Zweitens wird davon abgesehen, auch die Hinterbliebenenrenten neu zu bewerten. Theoretisch hätte die Umwertung der Rentenansprüche erhebliche Auswirkungen auf diese Renten. Drittens werden keine Verhaltenseffekte simuliert. So könnte man argumentieren, dass (versicherte) Erwerbsarbeit ab dem Schwellenwert durch die geringere Rendite der eigenen Beiträge weniger attraktiv würde. Viertens bleiben alle sonstigen Regeln in Kraft, etwa die Grundrente oder die Aufwertung von Rentenanwartschaften bei Kindererziehung und gleichzeitiger Erwerbstätigkeit. Theoretisch hätte die Reform Auswirkungen auf diese Regelungen oder würde sie überflüssig machen.

Der ermittelte Schwellenwert für die Umverteilung beträgt 20,8 Entgeltpunkte (Abbildung 1). Dies bedeutet, dass Rentner*innen mit einer Anwartschaft von mehr als 41,6 EntgeltpunkteninfoDies entspricht einer Standardrente von 1751 Euro im Jahr 2025. im progressiven Szenario weniger Rente erhalten als im Status quo, während alle Rentner*innen mit geringeren Anwartschaften einen Rentenaufschlag erhielten. Diese starke Progression mit Grenzbelastung um die 50 Prozent folgt der Variante des Sachverständigenrats.

Mit den berechneten Veränderungen der Rentenansprüche lassen sich Auswirkungen auf die verfügbaren Einkommen der Rentner*innenhaushalte und die Altersarmutsrisikoquote in Deutschland ermitteln. Für Haushalte im untersten Einkommensquintil (die untersten 20 Prozent) macht die gesetzliche Rente mit 70,3 Prozent im Durchschnitt einen Großteil des verfügbaren Einkommens aus (Abbildung 2). Haushalte in diesem Quintil haben selten weitere große Einkommensquellen. Sonstige Renten wie beispielsweise Pensionen oder betriebliche Renten machen im Durchschnitt 19,7 Prozent des Nettoäquivalenzeinkommens aus, wobei betriebliche Renten nur einen sehr kleinen Anteil haben. Das unterste Quintil würde daher erheblich von einer Umverteilung der Rentenansprüche profitieren. Das Nettoäquivalenzeinkommen für diese Haushalte stiege um fast zwölf Prozent (Abbildung 2). Das ginge mit einer um 4,5 Prozentpunkte geringeren (13,8 statt 18,3 Prozent) Armutsrisikoquote für die Bevölkerung über 65 Jahre einher.infoEs ist eine politische Frage, ob die zusätzlichen Mittel vor allem für die Reduktion der Altersarmut genutzt werden sollen. Möglich wäre beispielsweise auch, die zusätzlichen Einnahmen teilweise zur Stabilität der Rentenversicherungsbeiträge zu nutzen.

Die Belastung wird von den oberen drei Einkommensquintilen getragen. Für das vierte Einkommensquintil reduziert sich das Nettoäquivalenzeinkommen um gut drei Prozent und für das dritte und das oberste Quintil um jeweils knapp zwei Prozent.

Im Kontext der Haushaltseinkommensverteilung wäre die betrachtete Umverteilung also nur bis zum vierten Einkommensquintil tatsächlich progressiv. Die geringeren Auswirkungen für das oberste Quintil können damit erklärt werden, dass die gesetzliche Rente für diese Haushalte mit 26,3 Prozent des Einkommens nur eine verhältnismäßig kleine Einkommensquelle ist. Viele Haushalte in diesem Quintil erhalten statt einer gesetzlichen Rente Einkommen aus alternativen Alterssicherungssystemen, aus Erwerbstätigkeit und Kapitalanlagen, die nicht von der Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rente betroffen wären. Außerdem gibt es in diesem Quintil viele Haushalte, die nur eine kleine gesetzliche Rente beziehen und demnach durch die Umverteilung sogar bessergestellt würden.

Fokus auf gesetzliche Rente ignoriert Einkommenssituation vieler gut situierter Haushalte

Ein Nachteil einer Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Rente ist also, dass dieser Ansatz nicht zielgenau ist, da wichtige Aspekte der Einkommensverteilung in Deutschland vernachlässigt werden. Für eine systematische Umverteilung sollten auch andere Komponenten des Haushaltseinkommens älterer Bürger*innen berücksichtigt werden. Dazu zählen etwa betriebliche oder private Renten sowie zur gesetzlichen Rente parallel existierende Systeme wie die Beamten*innenpensionen und berufsständische Versorgungssysteme. Eine Möglichkeit wäre, die Einkommensteuer zu erhöhen, um einen Anstieg des Steuerzuschusses zur Rente zu finanzieren. Allerdings würde das vor allem die jüngere Generation treffen und negative Beschäftigungsanreize verstärken.

Besser wäre daher eine Solidaritätsabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte („Boomer-Soli“), die alle Haushalte mit solchen Einkommen treffen würde (Kasten 3). Zusätzlich könnten auch noch Vermögenseinkommen von Haushalten im Rentenalter hinzugezogen werden (Abbildung 3), da diese Einkommen im Alter oft die Funktion von Renten übernehmen. Um die Verteilungswirkungen einer solchen Sonderabgabe mit denen einer Umverteilung in der Rente zu vergleichen, wird die Abgabe in diesem Bericht so berechnet, dass sie das gleiche Aufkommen generiert, das für eine Besserstellung geringer gesetzlicher Renten durch eine Umverteilung im Rentensystem nötig ist. Alternativ wäre es auch möglich, den Personenkreis zu erweitern, so dass alle Haushalte mit geringen Alterseinkünften von der Umverteilung profitieren. Zur besseren Vergleichbarkeit mit dem ersten Szenario bezieht sich die Variante hier nur auf Haushalte mit geringen gesetzlichen Renteneinkommen.

Der Bund erhebt eine Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes. Diese wird außerhalb des Steuersystems und der Finanzverfassung (Artikel 104a ff. GG) angesiedelt. Die Gesetzgebungskompetenz richtet sich nach der Zuständigkeit des Bundes für die Sozialversicherung (Artikel 74 Absatz 1 Nr. 12 GG). Die Einnahmen fließen nicht in den allgemeinen Bundeshaushalt, sondern in ein Sondervermögen, das für die Umverteilung der Alterseinkünfte geschaffen wird und nur für deren Zweck verwendet werden darf. Es finanziert ausschließlich Zuschüsse an die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, gegebenenfalls auch an die Beamtenversorgung oder die berufsständischen Versorgungswerke, soweit auch in diesen Systemen geringe Alterseinkünfte aufgestockt werden sollen. Die Zuschüsse dürfen ausschließlich für die Aufwertung von geringen Versorgungsansprüchen der Versicherten verwendet werden.

Die Sonderabgabe belastet sämtliche Alterseinkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG):

  • Leibrenten und andere Leistungen im Sinne des § 22 Nr. 1. Satz 3 a) EStG, also Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen, der landwirtschaftlichen Alterskasse, den berufsständischen Versorgungseinrichtungen, ferner „Rürup-Renten“, sonstige betriebliche und private Renten sowie Unfallrenten,
  • „Riester-Renten“ im Sinne des § 22 Nr. 5 EStG,
  • Versorgungsbezüge im Sinne des § 19 Absatz 2 Satz 2 EStG, also Pensionen nach beamtenrechtlichen Vorschriften sowie Renten und Pensionen aus früheren Beschäftigungsverhältnissen, etwa bei Manager*innen und leitenden Angestellten oder im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge.

Einbezogen werden können auch Hinterbliebenenrenten sowie Erwerbsminderungs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten im Rahmen der betreffenden Alterseinkünfte. Optional können auch die Vermögenseinkommen der älteren Personen belastet werden, da die Vermögen in einem engen Substitutionsverhältnis zur Altersversorgung stehen. Dies betrifft die Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG sowie die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG. Hierzu müsste man eine Altersgrenze einführen, zum Beispiel die Regelaltersgrenze, oder den Zeitpunkt des Bezugs einer Altersrente.

Nicht erfasst werden kann die implizite reale Rendite des selbstgenutzten Wohneigentums (imputed rent), da sie nicht steuerlich erfasst wird. Diese für die Sonderabgabe zu ermitteln wäre sehr aufwendig. Ebenso können passive Einkünfte im Rahmen der unternehmerischen Einkünfte nicht erfasst werden, da hierzu der Erwerbsumfang von Beteiligten für ihre Firma ermittelt werden müsste. Diese Ungleichbehandlungen müssen hingenommen werden.

Von der Summe der abgabepflichtigen Einkünfte wird ein Freibetrag abgezogen. Die übersteigenden Einkünfte werden in dieser Studie mit einem proportionalen Abgabetarif von zehn Prozent belastet. Möglich wäre auch ein progressiver Abgabetarif.

In dieser Studie wird die Sonderabgabe auf Alterseinkünfte individuell erhoben. Alternativ könnte auch der Haushaltskontext berücksichtigt werden, insbesondere bei Ehepaaren und Lebenspartnerschaften. Dies gilt analog auch für die progressive Rente mit Aufwertung der Rentenanwartschaften. Eine individuelle Lösung würde bedeuten, dass Partner*innen von Hochverdiener*innen mit niedrigen Alterseinkünften von der Rentenaufwertung profitieren würden, obwohl der Haushalt über ein hohes gemeinsames Einkommen verfügt. Dieses Problem ist von der Grundrente bekannt. Eine weitere Möglichkeit wäre ein Rentensplitting, das bei der Umverteilung berücksichtigt wird.

Die Sonderabgabe auf Alterseinkünfte ließe sich bürokratiearm im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung abwickeln. Höhere Alterseinkünfte werden in den allermeisten Fällen zur Einkommensteuer veranlagt, sodass den älteren Steuerpflichtigen kein zusätzlicher Befolgungsaufwand entstünde. Nur in Einzelfällen müssten die Einkünfte gesondert veranlagt werden. Bei den Alterseinkünften bestehen weitgehende Meldesysteme der Versicherungen und Versorgungseinrichtungen, sodass die Finanzbehörden über diese Informationen verfügen. Die Vermietungseinkünfte sind generell deklarationspflichtig. Die Einkünfte aus Kapitalvermögen müssten allerdings gesondert erfasst werden, soweit sie nicht in der Einkommensteuererklärung deklariert werden – durch die Abgeltungsteuer ist das auch bei hohen Kapitaleinkünften nicht zwingend. In diesen Fällen könnte man die Sonderabgabe bei älteren Personen pauschal im Rahmen der Abgeltungsteuer erheben, mit der Option zur Veranlagung.

Da die Sonderabgabe auf Alterseinkünfte nicht im Rahmen der Finanzverfassung und des Steuersystems erhoben wird, müssten die Länderfinanzverwaltungen mit der Erhebung beauftragt werden. Dies könnte durch bundesgesetzliche Regelung beschlossen werden, mit Zustimmung des Bundesrats. Alternativ könnte die Erhebung im Wege der Organleihe des Bundes durch Staatsverträge oder Verwaltungsabkommen vereinbart werden. Die Länder sollten für die Dienstleistungen ihrer Finanzverwaltungen mit einer Verwaltungskostenpauschale honoriert werden, zum Beispiel in Höhe von zwei Prozent des Aufkommens, ähnlich wie bei der Kirchensteuer.

Es werden zwei Varianten betrachtet: In der ersten werden nur die Alterseinkünfte aus definierten Altersvorsorgeplänen berücksichtigt (Szenario 2a). In der zweiten Variante werden auch Kapitaleinkünfte der zusätzlichen Abgabe unterworfen (Szenario 2b).infoWährend Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in der Einkommensteuererklärung deklariert werden müssen, ist das bei Einkünften aus Kapitalvermögen aufgrund der Abgeltungsteuer nicht zwingend (siehe dazu auch Kasten 3). In diesen Fällen könnte man die Sonderabgabe bei älteren Personen pauschal im Rahmen der Abgeltungsteuer erheben, mit der Option zur Veranlagung. Erwerbseinkommen werden in keinem Szenario zusätzlich besteuert. Die Sonderabgabe wirkt durch einen Freibetrag progressiv. Alterseinkünfte, die einen Freibetrag von monatlich 902 Euro (Szenario 2a) beziehungsweise 1048 Euro (Szenario 2b) übersteigen, werden mit einer proportionalen Abgabe von zehn Prozent belastet.

„Boomer-Soli“ belastet mittlere Einkommensgruppen weniger

Eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte (Szenario 2a) belastet das oberste Quintil. Für diese Haushalte sind andere Alterseinkünfte als die gesetzliche Rente bedeutsamer, sie machen mit rund 37 Prozent einen beträchtlichen Teil des durchschnittlichen Einkommens aus. Das verfügbare Nettoäquivalenzeinkommen reduziert sich im obersten Quintil im berechneten Szenario um knapp drei Prozent (Abbildung 4, oberer Teil). Damit tragen diese Haushalte gegenüber dem ersten Szenario, in dem nur innerhalb des Rentensystems umverteilt wird, 50 Prozent mehr der Umverteilungslast. Die Belastung des mittleren Quintils halbiert sich im Vergleich zum ersten Szenario. Die Entlastungen der Haushalte in den beiden untersten Quintilen sind hingegen vergleichbar mit denen bei einer Umverteilung im Rentensystem. Geringe Unterschiede sind möglich, da in wenigen Fällen auch Haushalte mit geringen Einkommen von der Sonderabgabe betroffen sind. Die Armutsrisikoquote für die Bevölkerung ab 65 Jahren reduziert sich ähnlich wie im ersten Szenario um ein Viertel (4,4 Prozentpunkte).

Einbeziehung von Vermögenseinkommen verstärkt Umverteilungswirkungen

Neben Alterseinkünften ließen sich für den „Boomer-Soli“ noch weitere Einkommensquellen einbeziehen. Bei den Haushalten im obersten Quintil der Einkommensverteilung machen gesetzliche und sonstige Renten beispielsweise nur knapp 64 Prozent des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens aus. In den mittleren Quintilen liegt dieser Anteil bei über 80 Prozent, in den untersten zwei Quintilen bei über 90 Prozent. Dies liegt unter anderem daran, dass wohlhabendere Haushalte über 65 Jahre eher noch arbeiten oder Einkommen aus Selbständigkeit beziehen. Gleichzeitig machen im obersten Quintil auch Kapitaleinkünfte sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einen bedeutsamen Anteil am Haushaltseinkommen aus.

Wenn bei der Sonderabgabe zusätzlich auch Vermögenseinkommen berücksichtigt werden, steigen die Belastungen für das oberste Quintil um etwa einen weiteren Prozentpunkt auf gut vier Prozent an (Abbildung 4, unterer Teil). Die Belastung für Haushalte im vierten Quintil ändert sich kaum, im dritten geht sie durch den höheren Freibetrag zurück. Haushalte mit geringen Einkommen werden um 0,7 bis 0,9 Prozentpunkte mehr entlastet. Sie verfügen in der Regel nicht über Vermögenseinkommen, profitieren jedoch auch vom höheren Freibetrag. Die Armutsrisikoquote für die Haushalte über 65 Jahre sinkt – etwas stärker als in den anderen beiden Szenarien – auf 13,6 Prozent.

Fazit: Besser alle Alterseinkünfte mit „Boomer-Soli“ moderat belasten, als nur innerhalb der gesetzlichen Rente umzuverteilen

Die Rentenpolitik der vergangenen Jahre hat trotz einiger Reformen viele Dinge versäumt. Insbesondere wurden keine Reserven aufgebaut, um die absehbaren finanziellen Belastungen des demografischen Wandels abzumildern. Sinnvoll wäre es gewesen, die großen Babyboomer-Kohorten, die noch länger im Erwerbsleben standen, schon früher und stärker an der Finanzierung zu beteiligen.infoSo sprach sich beispielsweise der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in seinem Rentenkonzept aus dem Jahr 2013 für eine vorzeitige Anhebung des Beitragssatzes aus, um die Belastungen über mehr Kohorten verteilen zu können, vgl. Deutscher Gewerkschaftsbund (2013): Heute die Rente von morgen sichern: Das DGB-Rentenkonzept 2013 (online verfügbar). Auch Monika Schnitzer, Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, formulierte eine ähnliche Idee und forderte eine Anhebung des Beitragssatzes, um auch die Babyboomer-Kohorten an der Finanzierung zu beteiligen, vgl. n-tv (2023): Wirtschaftsweise: Müssen Baby-Boomer zur Kasse bitten. Bericht vom 9. Januar 2023 (online verfügbar). Damit steht die Frage, wie die unvermeidbaren Belastungen fair und effizient verteilt werden können, weit oben auf der Tagesordnung.

Bei der Diskussion um die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung wird häufig eine weitere Senkung des Rentenniveaus gefordert. Dies würde zwar die Rentenausgaben senken, aber die Armutsrisiken der älteren Bevölkerung erhöhen. Um diesen Effekt zu berücksichtigen, hat unter anderem der Sachverständigenrat für Wirtschaft diskutiert, die Rentenformel progressiver zu gestalten. Allerdings ist die Entgeltpunktsumme kein guter Indikator für ein niedriges Haushaltseinkommen. Zudem wäre ein derart tiefgreifender Eingriff in die Rentenanwartschaften aus (verfassungs-)rechtlichen Gründen nur langfristig zu realisieren. Für die großen Herausforderungen der Alterssicherungssysteme in den nächsten zwei Jahrzehnten ist dies also keine Lösung.

Der hier untersuchte „Boomer-Soli“, also eine Sonderabgabe auf sämtliche Alterseinkünfte, vermeidet diese Probleme. Sämtliche ältere Ruheständler*innen mit hohen Einkommen würden zur Umverteilung beitragen. Dabei können auch die Vermögenseinkommen berücksichtigt werden. Steuerliche Eingriffe in Einkommens- und Vermögenspositionen sind grundsätzlich zulässig, wenn sie sachlich begründet werden. Die deutlich breitere Bemessungsgrundlage erlaubt geringere Grenzsteuersätze. Dadurch wäre der Eingriff in die Altersvorsorgevermögen der gut versorgten Ruheständler*innen weniger gravierend. Ein weiterer Vorteil einer Sonderabgabe wäre, dass sie einfacher wieder abgeschafft werden könnte – etwa, wenn sich die finanzielle Situation der Rentenversicherung verbessern würde.

Die hier untersuchten Szenarien sind mögliche Varianten einer Umverteilung. Die genaue Implementierung hängt von der politischen Zielsetzung ab. Denkbar sind auch andere Varianten: für die Einnahmeseite zum Beispiel eine progressivere Ausgestaltung der Sonderabgabe oder eine Einkommensprüfung auf der Ausgabeseite sowie eine Ausweitung auf geringe Renten anderer Alterssicherungssysteme. Ebenfalls denkbar wäre ein Szenario, in dem der künftige Beitragssatzanstieg für die Jüngeren gedämpft würde und so ein größerer Teil der Finanzierungskosten der Haltelinie durch besserverdienende Ältere getragen würde. Aber auch bei diesen Varianten gäbe es die genannten Vorteile einer Sonderabgabe gegenüber einer Umverteilung im Rentensystem. Und im Vergleich zu einer generellen Erhöhung der Einkommensteuer würden jüngere Generationen nicht direkt belastet.

Bei allen Varianten einer Sonderabgabe oder Umverteilung in der Rente sind mögliche Anreizwirkungen in der Erwerbsphase zu beachten. Zwar werden Erwerbseinkünfte nicht direkt belastet. Da aber entweder Rentenanwartschaften umverteilt werden oder die Sonderabgabe die Alterseinkünfte reduziert, werden die Erwerbstätigen intertemporal belastet, was tendenziell Ausweichreaktionen provoziert und das Arbeitsangebot im Erwerbsleben reduzieren kann. Da die Bemessungsgrundlage bei der Sonderabgabe deutlich breiter ist und alle Einkommen betroffen sind, fällt die implizite intertemporale Grenzbelastung für Arbeitseinkommen geringer aus als bei einer Umverteilung nur innerhalb der gesetzlichen Rente. Im Gegenzug werden aber sonstige Alterseinkünfte belastet. Dadurch werden Anreize für die private Altersvorsorge und Ersparnisse reduziert – insbesondere, wenn auch Vermögenseinkommen belastet werden.

Eine progressive Rentenformel und der „Boomer-Soli“ wären eine implizite Vermögensabgabe auf das bisher aufgebaute Vorsorgevermögen der Besser- und Hochverdienenden. Die Betroffenen können ihr nicht ausweichen. Sie dürften sich jedoch gegen diese „Enteignung“ wehren, sofern sie den Solidaritätsgedanken innerhalb der älteren Generation und die Entlastungen der Jüngeren nicht akzeptieren. Man muss allerdings betonen, dass jede Kürzung des Rentenniveaus solche Wirkungen hätte. Mit dem „Boomer-Soli“ würden diese Belastungen fairer verteilt werden. Die höhere Lebenserwartung der Besserverdienenden wäre eine zusätzliche Begründung dafür.

Die Politik wird in den kommenden Jahren bei der Rente mutige und weitreichende Reformen umsetzen müssen. Die Sicherungsfunktion der Rente zu erhalten, den Lebensstandard im Alter zu garantieren und gleichzeitig die Finanzierung zu stemmen, bedeutet große finanzielle Herausforderungen. Dazu sind unterschiedliche Reformschritte notwendig. Eine Sonderabgabe auf alle Alterseinkünfte könnte dabei ein wichtiger Baustein sein.

Annica Gehlen

Doktorandin in der Abteilung Staat

Stefan Bach

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Peter Haan

Abteilungsleiter in der Abteilung Staat



JEL-Classification: H55;I38;J26;J18
Keywords: pension system, demographic change, redistribution, taxation, microsimulation
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-29-1

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