Warum die Rente besser ist als ihr Ruf: Kommentar

DIW Wochenbericht 41 / 2025, S. 660

Peter Haan, Johannes Geyer

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Die rentenpolitische Debatte ist seit Jahren von Schwarz-Weiß-Denken, Alarmismus und moralischen Schlagworten geprägt. Das erschwert eine nüchterne Auseinandersetzung mit den realen Herausforderungen, die der Renteneintritt der Babyboomer unweigerlich mit sich bringt. Prognosen aus dem Rentenversicherungsbericht 2011 sagten für 2025 einen Beitragssatz von 20,9 Prozent und ein Rentenniveau von 46,2 Prozent voraus – beides ist nicht eingetreten. Auch die oft behauptete zunehmende Finanzierung der gesetzlichen Rente durch Steuern existiert so nicht: Der Bundesanteil an den Rentenausgaben liegt seit Jahren stabil bei rund 30 Prozent, ebenso der Anteil der Rentenausgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung bei gut neun Prozent. Die Quote der Grundsicherungsempfänger*innen im Alter ist mit etwas über drei Prozent niedrig, das Altersarmutsrisiko stagniert seit 2014 auf Durchschnittsniveau.

Die positive Entwicklung hat mehrere Gründe: Reformen wie die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, ein abgesenktes Rentenniveau und weniger Frühverrentung haben gegriffen. Zudem zahlen heute deutlich mehr Menschen Rentenbeiträge – vor allem Ältere, Frauen und Zugewanderte. Die Lebenserwartung steigt langsamer als früher. Selbst teure Projekte wie die Mütterrente oder die Rentenangleichung Ost konnten ohne Beitragserhöhung finanziert werden. Die Rente ist also kein „Fass ohne Boden“. Hohe Steuerzuschüsse sind kein Alarmzeichen, sondern spiegeln auch Leistungen wider, die nicht aus Beiträgen finanziert werden sollen, weil sie ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sind.

Trotzdem ist längst nicht alles gut bei der Rente. Viele der Reformen der letzten Jahre erhöhen die Ausgaben dauerhaft. Und die demografische Entwicklung wirft ihre Schatten voraus: Vermutlich 2028 muss der Beitragssatz schon in Richtung 20 Prozent angehoben werden. Wirklich versäumt wurde auch ein Neustart bei der ergänzenden Altersvorsorge. Fast 40 Prozent der Beschäftigten verfügen weder über eine betriebliche noch eine private Alterssicherung – der Anteil dieser Personen wächst seit Jahren.

Bisher gibt es keinen konkreten Plan, wie man den absehbaren Risiken bei der Rente vorbeugt. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer nehmen die Herausforderungen zu. Wichtig ist, den Kreis der Einzahlenden hochzuhalten und die Produktivitätsentwicklung zu verbessern. Priorität sollte die Förderung der Zuwanderung, die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren sowie die Ausweitung des Versichertenkreises haben. Dafür sollten aber auch Maßnahmen wie ein steigendes Renteneintrittsalter nicht tabuisiert werden. Klar ist: Allgemeine Anhebungen des Rentenzugangsalters sind an zwei Stellen sozial unausgewogen: Erstens, weil Menschen mit geringer Bildung und geringem Einkommen eine niedrigere Lebenserwartung haben. Und zweitens, weil genau diese Gruppe in ihren Jobs aufgrund physischer und psychischer Belastungen häufig Schwierigkeiten hat, sich an die neuen Altersgrenzen anzupassen. Damit eine Erhöhung des Rentenzugangsalters umsetzbar ist und auch effektiv die Beschäftigung erhöht, müssen also die Arbeitsbedingungen verbessert werden, so dass es möglich und attraktiv ist, länger zu arbeiten. Vieles spricht auch dafür, die Umverteilung in der gesetzlichen Rente oder über alle Alterseinkommen zu stärken. Eine mögliche Variante, die alle Alterseinkommen und potenziell auch Vermögenseinkommen von Älteren einbezieht, wäre der Boomer-Soli, der kürzlich vom DIW Berlin vorgeschlagen wurde.

Bis 2027 soll eine Rentenkommission umsetzbare Vorschläge erarbeiten. Der Arbeitsauftrag klingt erstmal vage. Laut Koalitionsvertrag soll sie eine „neue Kenngröße für ein Gesamtversorgungsniveau über alle drei Rentensäulen prüfen“. In der vagen Formulierung liegt aber auch eine Chance für eine große Rentenreform. Denn ein neues Leistungsziel, das alle Säulen – also gesetzliche, betriebliche und private Renten – funktional aufeinander bezieht und den Weg beschreibt, wie eine erfolgreiche Umsetzung aussehen kann – das wäre tatsächlich ein großer Schritt nach vorn.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 2. September 2025 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Peter Haan

Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

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