Löhne und Einkommen haben sich seit 1995 inflationsbereinigt positiv entwickelt: Interview

DIW Wochenbericht 42 / 2025, S. 672

Markus M. Grabka, Erich Wittenberg

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Herr Grabka, wie haben sich die Bruttostundenlöhne entwickelt? Wir betrachten den Zeitraum 1995 bis 2023. Trotz der starken Inflation ab Mitte 2021 haben sich über den gesamten Zeitraum betrachtet die Bruttostundenlöhne in Deutschland positiv entwickelt: Sie sind real um über 13 Prozent gestiegen. Betrachtet man die eher homogene Gruppe der Vollzeitbeschäftigten, fällt der Zuwachs mit 22 Prozent sogar nochmals deutlich größer aus.

Wie sieht die Entwicklung im Niedriglohnsektor aus? Hier hatten wir in den letzten zehn Jahren eine sehr positive Entwicklung. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor lag 2007 in der Spitze bei 23,5 Prozent und ist seitdem deutlich gesunken. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes arbeiten 15,9 Prozent der Beschäftigten für Niedriglöhne. Das ist der niedrigste Wert seit 1995.

Inwieweit gibt es dabei regionale Unterschiede? Der Niedriglohnsektor war in den letzten 25 bis 30 Jahren in Ostdeutschland immer weitaus größer als in Westdeutschland. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil leider auch heute noch die Löhne in Ostdeutschland im Schnitt niedriger sind als in Westdeutschland. Von der Einführung des Mindestlohns und den wiederholten Anhebungen haben aber vor allem ostdeutsche Beschäftigte deutlich profitiert. Das hat zur Folge, dass sich die beiden Niedriglohnsektoren jetzt weitgehend angeglichen haben. Aktuell gibt es diesbezüglich nur noch einen Unterschied von wenigen Prozentpunkten.

Wie groß ist die Lohnungleichheit und wie hat sie sich über die Zeit verändert? Wir haben die Lohnungleichheit beispielhaft mit dem so genannten 90:10-Perzentilverhältnis gemessen. Demnach hatte ein Beschäftigter aus dem obersten Lohnsegment 2010/2011 etwa einen viermal höheren Stundenlohn als ein Beschäftigter aus dem untersten Lohnsegment. Auch hier gibt es eine positive Entwicklung, denn wir beobachten einen deutlichen Rückgang der Lohnungleichheit auf einen Wert von zuletzt 3,3.

Wie haben sich die Haushaltsnettoeinkommen entwickelt und wie hoch ist diesbezüglich die Ungleichheit? Auch die Haushaltsnettoeinkommen haben sich in der langen Frist inflationsbereinigt positiv entwickelt. Im Vergleich zum Jahr 1995 gab es immerhin einen Zuwachs von 28 Prozent. Die Inflation hat leider in den letzten Jahren einen Rückgang von sechs Prozentpunkten verursacht, aber die Tendenz geht wieder nach oben. Die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen ist zwar in der langen Frist seit 1995 gestiegen, aber in den letzten drei bis vier Jahren mehr oder weniger stabil geblieben.

Hat das Armutsrisiko zu- oder abgenommen? Seit 1995 hat das Armutsrisiko in Deutschland klar zugenommen. In den 1990er Jahren hatten wir noch einen Wert von etwa elf Prozent. Jetzt liegen wir, je nach Datenquelle, bei etwa 15,5 bis 17,5 Prozent. Alle Datenquellen deuten darauf hin, dass sich das Armutsrisiko in den letzten drei Jahren auf diesem Niveau eingependelt hat.

Was müsste getan werden, um die positiven Entwicklungen weiter zu unterstützen? Die Arbeitsmarktintegration bestimmter Zielgruppen muss weiter in den Blick genommen werden. Das betrifft zum Beispiel Personen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können, Haushalte mit mehr als zwei Kindern oder Personen ohne Schulabschluss. Diese Gruppen sollten stärker in den Arbeitsmarkt integriert und zielgerichtet gefördert werden. Auch das Steuer- und Transfersystem muss geändert werden, weil es sich für Niedrigeinkommensbeziehende häufig kaum lohnt, die Arbeitszeit auszuweiten.

O-Ton von Markus M. Grabka
Löhne und Einkommen haben sich seit 1995 inflationsbereinigt positiv entwickelt - Interview mit Markus Grabka

Markus M. Grabka

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel



JEL-Classification: I31;I32;J31
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2025-42-2

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