DIW Wochenbericht 45 / 2025, S. 718
Lukas Menkhoff, Erich Wittenberg
get_appDownload (PDF 118 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.46 MB - barrierefrei / universal access)
Herr Menkhoff, Sie haben die Geschlechterrollen anhand von repräsentativen Daten aus mehr als 80 Ländern untersucht. Wie haben sich die Einstellungen dazu über die Zeit verändert? Grundsätzlich müssen wir etwas finden, was über die Zeit und die Länder hinweg vergleichbar ist. Das reduziert die Fragen, die wir überhaupt berücksichtigen können, auf drei. Insofern ist das, was wir abbilden, nicht vollständig, aber es gibt einen über die Länder und die Zeit vergleichbaren Eindruck von den Einstellungen, die die Menschen in den betrachteten Ländern haben. Wenn man das als ein grobes erstes Maß für das Rollenverständnis akzeptiert, dann findet man tendenziell sowohl in Deutschland als auch in der Welt insgesamt eine klare Richtung der Aussagen hin zu einem egalitäreren Rollenbild.
Welche drei Fragen sind das? Die drei Fragen, die wir berücksichtigt haben, kommen aus den Bereichen Bildung, Arbeit und Politik. Die Aussagen, zu der sich die Menschen zustimmend oder ablehnend äußern können, sind erstens: Universitätsbildung ist für Jungen wichtiger als für Mädchen. Zweitens: Männer sollten bei Jobknappheit mehr Recht auf einen Job haben als Frauen. Und drittens: Männer sind bessere politische Führungspersonen als Frauen. Alle drei Aussagen haben ein ganz klares Verständnis der Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen und sind nicht auf gleiche Rollenbilder ausgelegt.
Worauf könnte die Veränderung in Richtung eines egalitäreren Rollenbildes zurückzuführen sein? Ich glaube, das hängt mit einem Modernisierungsprozess in den Gesellschaften zusammen. Was wir als Ökonomen beobachten können, ist zum Beispiel, dass sich mit höheren Einkommen, die ja auch mit mehr Bildung und anderen gesellschaftlichen Vorstellungen einhergehen, auch die Rollenbilder ändern. In diesem Zusammenhang sprechen wir von einem Modernisierungsprozess.
Inwieweit unterscheiden sich die Einstellungen zwischen den verschiedenen Altersgruppen? Da gibt es einen sehr klaren Befund, dass nämlich über die Zeit hinweg die Jüngeren moderner antworten als die Älteren. Aber interessanterweise ist es auch so, dass bestimmte Altersgruppen, zum Beispiel Personen, die in den 40er Jahren geboren wurden, im Laufe der Zeit ihr Bild auch noch mal etwas anpassen und etwas moderner werden.
Stößt dieser Veränderungsprozess auch an Grenzen und verlangsamt sich wieder? In Deutschland sieht man, dass die Einstellungen ein hohes Maß an Modernität erreicht haben, also sich ein relativ gleichgerichtetes, egalitäres Rollenbild etabliert hat, auch wenn es noch nicht das Niveau erreicht hat, das beispielsweise die skandinavischen Länder schon haben. Aber in den letzten Jahrzehnten ist nicht mehr viel passiert. Das heißt, es scheint auf einen Grenzwert zuzulaufen. Wenn wir jetzt auf die ganze Welt gucken, dann stellen wir fest, dass es teilweise zu einem Umkehrphänomen kommt und Jüngere traditioneller werden als ihre Eltern. Das ist ein Phänomen, was uns überrascht hat und sich auch in einzelnen europäischen Ländern beobachten lässt.
Wie stark unterscheiden sich die Einstellungen zwischen den verschiedenen Ländern? Die Unterschiede sind erheblich. Der Index ist zwischen null und eins normiert. Null stünde für extrem traditionelle Rollenbilder; das findet sich praktisch nicht. Aber die Länder liegen zwischen einem Viertel und eins. Das war in der Vergangenheit normalverteilt. In den jüngsten Befragungen sieht man jedoch, dass sich das stärker spreizt. Das heißt, einige Länder bleiben sehr traditionell ausgerichtet, aber andere modernisieren sich. Statistisch gesehen wird die Welt in dieser Hinsicht uneinheitlicher, heterogener.
p>Themen: Ungleichheit, Gender