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DIW-Präsident fordert präventive Arbeitsmarktpolitik.
Klaus F. Zimmermann hält Antrittsvorlesung an der FU Berlin

Pressemitteilung vom 1. November 2001

Klaus F. Zimmermann, Präsident des DIW Berlin und Direktor des IZA Bonn, hat eine neue Form der Arbeitsmarktpolitik, die Präventive Arbeitsmarktpolitik, gefordert. In seiner heutigen Antrittsvorlesung als Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin sagte er, dass die Beratungen zum Job-Aqtiv-Gesetz eine erste Chance bieten, Elemente einer präventiven Arbeitsmarktpolitik zu verwirklichen. Die präventive Arbeitsmarktpolitik beinhaltet langfristige Maßnahmen zur Schaffung und Sicherung von Beschäftigung, wie die Flexibilisierung der Arbeit beispielsweise durch Arbeitszeitkonten, die Qualifizierung von Arbeitnehmern durch Konzepte lebenslangen Lernens und verstärkte Vermittlungsbemühungen bei Problemgruppen bereits zum Zeitpunkt der Kündigung. Die Arbeitslosigkeit dürfe nicht länger nur verwaltet werden, sondern sie müsse durch eine gezielte Zusammenarbeit von Arbeitsämtern, privaten Vermittlern, Firmen und betroffenen Arbeitnehmern bereits im Ansatz verhindert werden.
Angesichts einer drohenden Rezession und wieder ansteigender Massenarbeitslosigkeit sei aktives Handeln in der Arbeitsmarktpolitik dringend geboten. Durch eine nachhaltige Stärkung der Flexibilität des Arbeitsmarktes könnten - wie beispielsweise in den USA - auch in Phasen von schwachem wirtschaftlichen Wachstum Arbeitsplätze geschaffen werden. Zimmermann warnte davor, angesichts der näherrückenden Bundestagswahl die Arbeitsmarktpolitik in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Gerade die jetzige Krisenzeit biete die Chance Reformen anzupacken.
Zimmermann wies darauf hin, dass der deutsche Arbeitsmarkt bereits viele Flexibilisierungselemente bietet. Allerdings blieben Freiräume des Arbeitszeitmanagements ungenutzt, und der Tarifvertragsgestaltung mangele es an Kreativität. Dabei hätte VW mit seinem 5000x5000-Modell gezeigt, was in Deutschland diesbezüglich alles möglich ist. Als weiteres Beispiel für die zunehmende Flexibilisierung nannte er die Zunahme von Sonderarbeitszeiten. Mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen arbeitet bereits in Form von Samstags-, Sonntags-, Feiertags-, Abend- oder Nachtarbeit, oder ist in Wechselschichten beschäftigt. Insbesondere in Ostdeutschland nehmen diese Sonderarbeitszeiten stark zu, weil dort der Druck, neue Beschäftigungsformen zu finden, besonders hoch ist. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors sowie die dringend notwendige Liberalisierung der Ladenschlusszeiten werden zu einer bundesweiten Zunahme der Sonderarbeitszeiten führen. Aber das Instrument der Arbeitszeitkonten etwa in Verbindung mit Weiterbildung und Sabbaticals sei noch nicht ausgereizt. Deutschland ist flexibler als sein Ruf. So können mit gutem Willen neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen sagte Zimmermann.
Als Hauptleidtragende der gegenwärtigen Konjunkturschwäche bezeichnete Zimmermann die Geringqualifizierten. Ihre Lage sei vor allem in Ostdeutschland dramatisch. Dort ist etwa die Hälfte aller Ungelernten arbeitslos. Und es seien keineswegs nur ältere Geringqualifizierte, die auf diese Weise Gefahr laufen, unwiderruflich aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt zu werden, sondern auch in großem Umfang junge Ungelernte. Von den arbeitslosen Jugendlichen haben in Deutschland 55 % keine Ausbildung; in Berlin sind es sogar 65 %. Die Jugendarbeitslosigkeit sei folglich in Berlin doppelt so hoch wie im Bundesgebiet.
Laut Zimmermann tickt hier eine Zeitbombe. Denn die Arbeitsnachfrage in den nächsten Jahren verschiebt sich weiter zugunsten qualifizierter Arbeitnehmer. Gleichzeitig ist zu erwarten, daß der Humankapitalbestand weiter zurückgeht. Dringend erforderlich sei deshalb eine gezielte präventive Qualifizierungsoffensive für ungelernte und gelernte Erwerbspersonen. Beginnen muss sie eigentlich in der Grundschule, spätestens aber in den Hauptschulen, um den hohen schulischen Abbrecherquoten zu begegnen. Erforderlich sei aber eine Öffnung der Hochschulen und die Schaffung privater Märkte zur Entwicklung von Konzepten lebenslangen Lernens.
Neben diesen langfristigen Maßnahmen der präventiven Arbeitsmarktpolitik forderte Zimmermann konkrete präventive Hilfe für Beschäftigte, denen Arbeitslosigkeit droht. So sollte es für Arbeitgeber eine Meldepflicht bei Kündigungen geben. Sie müssten das Arbeitsamt umgehend - möglichst am Tag der Kündigung - informieren. Die Arbeitsämter könnten dann eine Art ökonomische Rasterfahndung starten. Problemgruppen, also z.B. Geringqualifizierte, ältere Menschen oder Ausländer, würden so rechtzeitig betreut, und es könnten schnell geeignete Qualifizierungs- oder Vermittlungsmaßnahmen ergriffen werden. Zimmermann schloss dabei die Einschaltung privater Vermittler nicht aus und schlug die Gründung von Stellen-, Bewerber- und Qualifizierungsbörsen von Firmenverbünden vor.
Auch wenn viele dieser Maßnahmen die Massenarbeitslosigkeit nicht kurzfristig beseitigen könnten, so ist eine umfassende Reform der deutschen Arbeitsmarktpolitik hin zu einer präventiven Arbeitsmarktpolitik überfällig, argumentierte Zimmermann.
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