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Spiel mit dem Feuer

Bericht vom 11. Februar 2013

Die Wechselkurspolitik von Frankreichs Ministerpräsident François Hollande würde die Stabilität der Euro-Zone gefährden.

Gastbeitrag von Marcel Fratzscher in der Süddeutschen Zeitung vom 11.02.2013

Gerät ein Land in eine Wirtschafts- und Finanzkrise, verliert seine Währung massiv an Wert. Das schien bislang ein fast unvermeidlicher Zusammenhang. So erging es Industrieländern in den 1930er-Jahren genauso wie Schwellenländern während der Finanzkrisen in Lateinamerika1994/1995 und drei Jahre später in Asien. Eine erstaunliche Ausnahme ist aktuell die Euro-Zone. Trotz tiefer Finanzmarkt-, Banken- und Schuldenkrise wurde bis heute nicht nur der Zusammenbruch der Gemeinschaftswährung vermieden, auch der Außenwert des Euro blieb insgesamt recht stabil. Glaubt man jedoch dem französischen Präsidenten François Hollande, so ist diese Stabilität des Euro unerwünscht– wenn nicht gar schädlich. Eine aktive Währungspolitik, die den Euro schwächt, würde die Euro-Zone schneller wieder wettbewerbsfähig machen und die wirtschaftliche Erholung beschleunigen, so argumentiert Hollande. Doch in Wahrheit wäre eine solche Politik ein Spiel mit dem Feuer, denn es ist in erster Linie genau diese Stabilität des Euro, die eine Eskalation der Krise und eine Depression in Europa bisher verhindert hat.

Der massive Wertverlust einer Währung ist fast unvermeidlich, wenn Investoren das Vertrauen in die Volkswirtschaft, deren Institutionen und die Stabilität der Währung verlieren und deshalb ihr Kapital aus dem Land abziehen. Dies mag zwar die Wettbewerbsfähigkeit einiger weniger Unternehmen verbessern, aber die Kosten sind stets ungleich höher: Stark steigende kurzfristige Zinsen und eine massive Kreditklemme führen zu weitverbreiteten Insolvenzen und dem Kollaps der Wirtschaft. Der Währungsverfall ist dabei fast immer auch ein kausales Phänomen und beschleunigt so die gefährliche Spirale aus Finanz-, Wirtschafts-und Staatsschuldenkrise. Häufig sind Staatsbankrotte das Endergebnis.

Im Vergleich zu diesem typischen Verlauf ist die europäische Finanzkrise bisher vergleichsweise milde verlaufen. Erstaunlich ist, dass es bisher keine nennenswerte Kapitalflucht aus der Euro-Zone gegeben hat–sowohl einheimische als auch ausländische Investoren haben zwar Kapital umgeschichtet, unter anderem aus den Krisenländern nach Deutschland, aber in ihrer Gesamtheit musste die Euro-Zone netto keine Kapitalabflüsse hinnehmen. Zwar gab es vergangenes Jahr lautes Klagen, als die Renditen für zehnjährige spanische und italienische Staatsanleihen auf über sieben Prozent kletterten. Aber dies ist mehr als moderat im Vergleich zu den vielfach höheren Renditen, die Krisenländer normalerweise auf ihre Staatsanleihen zahlen müssen. In Anbetracht der riesigen öffentlichen Schulden würde ein Zinsanstieg auf Höhen, die in Finanzkrisen üblich sind, unweigerlich zu Staatsbankrotten in fast allen Ländern der Euro-Zone führen. Dass Europa dieses Schicksal bisher vermeiden konnte, ist in erster Linie der Stabilität des Euro geschuldet.

Drei Gründe erklären diese ungewöhnliche Stabilität. Der erste ist die globale Bedeutung des Euro, die weit über die der D-Mark vor 1999 hinausgeht. Sie hat dazu geführt, dass öffentliche und private Investoren so massiv in Euro-notierte Anlagen investiert haben, dass sie diesen Bestand in kurzer Zeit nur schwer reduzieren können. Der zweite Grund liegt in der Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen. Investoren sind nur dann gewillt, in eine Volkswirtschaft zu investieren, wenn sie erwarten, dass wirtschaftspolitische Entscheidungen eine stabile reale Rendite für ihre Anlagen garantieren. Dafür sind die Stabilität des Wechselkurses und der Preise von zentraler Bedeutung. Der dritte Grund macht die Euro-Zone fast einzigartig in der Welt: Die Verantwortung für die Wechselkurspolitik liegt bei einer unabhängigen Zentralbank, und nicht wie in anderen Ländern (inklusive Japan und den USA) auf der politischen Seite beim Finanzministerium. Wie bedeutend dieser Unterschied ist, zeigt der Fall Japan, wo politische Rhetorik und massive, vom Finanzministerium durchgesetzte Währungsinterventionen zwar den Yen geschwächt, aber auch die Unsicherheit erhöht und der Volkswirtschaft geschadet haben.
Zudem wäre selbst eine moderate Schwächung des Euro – wenn man sie denn überhaupt gezielt steuern könnte –ineffektiv, um die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder in der Euro-Zone nachhaltig zu verbessern. Frankreich ist nicht nur deshalb weniger wettbewerbsfähig, weil französische Produkte im internationalen Vergleich zu teuer sind, sondern vor allem weil französische Unternehmen nicht die richtigen Produkte produzieren und sich über die Jahre aus vielen Marktsegmenten verabschiedet haben. Zudem hat Frankreich auch innerhalb der Euro-Zone an Wettbewerbsfähigkeit verloren. Da rund die Hälfte aller französischen Produkte innerhalb der Euro-Zone verkauft wird, hätte eine Abwertung der gemeinsamen Währung für einen großen Teil der französischen Exportindustrie ohnehin keine Wirkung. Und auch unabhängig von der speziellen Situation Frankreichs ist generell Vorsicht geboten: Der Versuch einer aktiven Abwertung des Euro würde den bereits schwelenden globalen Währungskrieg weiter anheizen, und die Gefahr ist groß, dass er auf lange Sicht für alle hohe Kosten, aber für niemanden wirkliche Vorteile bringt.

Viele weitere Gründe sprechen gegen eine aktive Wechselkurspolitik: Eine Abwertung ist zwar auf den ersten Blick bequemer und meist politisch leichter zu verkaufen als unbequeme, aber nachhaltige Reformen. Am Ende kommt die Abwertung den Steuerzahler trotzdem häufig sehr teuer zu stehen, vor allem auch, da der Euro nach keinem plausiblen Indikatorklar überbewertet ist. China beispielsweise hat in den vergangenen Jahren einen Wertverlust von acht Prozent seines Bruttoinlandsprodukts durch seine Währungspolitik und die Akkumulierung von Reserven erlitten, da die 20-prozentige Aufwertung des Renminbi den einheimischen Wert der fast 3,5 Billionen US-Dollar Währungsreserven, die rund 40 Prozent des eigenen Bruttoinlandsprodukts entsprechen, massiv reduziert hat. Die Schweiz hat in den letzten Jahren vergleichsweise hohe Währungsreserven angehäuft und läuft Gefahr, in den kommenden Jahren in eine ähnliche Situation zu kommen.

Hollandes Forderung nach einer aktiven Währungspolitik und einem schwächeren Euro ist daher gefährlich. Es ist zu hoffen, dass Investoren, Unternehmen und Haushalte seine Forderung nicht allzu ernst nehmen. Denn sonst mag Hollande mehr von der Abwertung des Euro bekommen, als ihm lieb sein kann – und dazu eine Staatsschuldenkrise und Depression in seinem Land und in Europa.

Marcel Fratzscher, 42, ist seit 1. Februar Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Zuvor leitete er die Abteilung „Internationale wirtschaftspolitische Analysen“ der Europäischen Zentralbank.

Spiel mit dem Feuer (PDF, 246.18 KB)

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