Bericht vom 29. Juli 2013
Mit neuen Technologien wird viel mehr Erdgas gefördert als früher. Der Energieboom soll die USA unabhängiger vom Öl und das Land selbst zum globalen Lieferanten machen. Doch er setzt das falsche Signal.
Gastbeitrag von Claudia Kemfert in der Süddeutschen Zeitung (27.07.2013)
Die USA haben die „Energiewende“ ausgerufen: Doch anders als in Deutschland setzen sie dabei nicht auf den Ausbau erneuerbarer Energien oder das konsequente Energiesparen, sondern fördern mittels „Hydraulic Fracking“ oder kurz „Fracking“ in großen Mengen Erdgas aus sogenannten unkonventionellen Quellen. Dabei wird Gas aus tiefen Gesteinsschichten durch spezielle Fördertechniken wie horizontales Bohren und das Einpressen von Chemikalien, Sand und Wasser hervorgebracht. Dank Fracking fördern die USA nun deutlich mehr Gas als zuvor.
Euphorie macht sich breit: Billiges Erdgas werde viele Unternehmen aus aller Welt nach Amerika locken. Der Energieboom führe zur ersehnten Re-Industrialisierung der US-Wirtschaft. Der globale Weltenergiemarkt müsse sich neu sortieren, Amerika werde Gas in alle Welt exportieren. Doch es tauchen zunehmend Zweifel auf: Stiehlt man der US-Wirtschaft damit nicht die letzte Chance auf eine echte Energiewende, die auch ökonomisch langfristig trägt? Ist diese Art von Energiewende wirklich ein Segen für Amerika?
In der Tat haben die niedrigen Preise in den USA zu einem Erdgasboom geführt. Das Gasangebot wächst, der Gaspreis sinkt. Entsprechend steigt die Nachfrage nach Gas: Es wird immer öfter für die Strom- und Wärmeerzeugung genutzt und ersetzt häufig Kohle, zudem werden auch Erdgasfahrzeuge immer attraktiver. Davon profitiert in gewisser Weise auch der Klimaschutz: Wo Gas statt Kohle verbrannt wird, sinkt der Ausstoß von Treibhausgasen. Doch mit einem dauerhaften Erdgasboom, der die USA über viele Jahrzehnte zu einem wichtigen Erdgaslieferanten der Welt macht, wird dennoch kaum zu rechnen sein: Zum einen ist Fracking eine vergleichsweise teure Bohrtechnik und rechnet sich nur bei einem entsprechend hohem Gaspreis. Zum anderen wird zunächst der weiter steigende heimische Verbrauch zu stillen sein.
Auch Erdöl wollen die Amerikaner per Fracking gezielt fördern, sich damit dauerhaft unabhängig von Öllieferungen machen oder gar die Welt mit Öl beliefern. Mancher wähnt die USA schon als das „neue Arabien“. Mal sehen! Die potenziellen Fördermengen fallen Schätzungen zufolge deutlich geringer aus als erhofft. Selbst wenn mehr Erdöl aus neuen Quellen erschlossen werden kann, werden die USA kaum dauerhaft ihren eigenen Verbrauch decken können, geschweige denn der Welt Öl im Übermaß anbieten können.
Denn eines steht den „Ölphantasien“ wie auch dem „Gasrausch“ entscheidend im Weg: der extrem hohe Energieverbrauch im eigenen Land. Amerika verbraucht doppelt so viel Energie pro Kopf wie andere Industrieländer. Niedrige Energiepreise sind hier eher Fluch als Segen: Je niedriger die Preise, desto höher der Verbrauch. Indem sie allein auf die Erhöhung des Energieangebots setzen, verspielen die USA einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor der Wirtschaft: das Energiesparen, die konsequente Verbesserung der Energieeffizienz in allen Bereichen.
Die alleinige Erhöhung des Energieangebots gibt falsche Signale: Es wird dann mehr Energie verbraucht. Ein hoher Energiepreis dagegen würde eine marktwirtschaftliche und weniger auf staatliche Vorgaben orientierte Volkswirtschaft wie die USA eher dazu zwingen, Energie einzusparen. Ein hohes Energieangebot und niedrige Preise geben kaum die richtigen Signale zum Energiesparen. Konsequente und umfassende staatliche Vorgaben sind nicht zu erwarten.
Auch wenn sich die Wirtschaft durch den Gasboom eine Re-Industrialisierung verspricht: Ein Garant für eine Re-Industrialisierung sind niedrige Energiepreise ohnehin nicht. Das beste Beispiel ist Deutschland. Trotz vergleichsweise hoher Energiepreise erleben wir hierzulande seit einigen Jahren eine Re-Industrialisierung. Denn zum einen spielen Energiepreise für den Großteil der Unternehmen nur eine geringe Rolle; zum anderen verstärken die vergleichsweise hohen Energiepreise die Energiespar-Anstrengungen. Genau aus diesem Grund gehören die Unternehmen in Deutschland zu den energie-effizientesten weltweit. Mit deutlich Luft nach oben: Denn in Deutschland wie in ganz Europa gibt es noch weitaus mehr Möglichkeiten, Energie einzusparen. Die höheren Energiepreise geben dafür die richtigen Signale: Effizienz statt Verschwendung! Denn eins ist klar: Das beste Mittel zur Vermeidung von Energiekosten ist die Reduktion des Energieverbrauchs. So macht man sich unabhängig von den weiterhin zunehmenden Kämpfen um knappe Energieressourcen.
Dieser damit einhergehende Wettbewerbsvorteil gibt der deutschen Industrie seit Jahren Rückenwind, wobei sie zusätzlich vom globalen Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre profitiert. Dank der hohen Energieeffizienz kann die gesamte Wirtschaft selbst vermeintliche „Preisschocks“ gut verkraften. Amerikas Wirtschaft dagegen hat von jeher deutlich niedrigere Energiepreise, ob Strom, Öl oder Gas. Dass die Wirtschaft trotzdem zu kämpfen hat, werden auch die – noch – niedrigeren Gaspreise nicht ändern können. Vom Anschalten der amerikanischen Reservetanks mögen kurzfristig einige Unternehmen profitieren. Doch langfristig kann die Strategie sogar gefährlich werden, wenn der Energieverbrauch womöglich sogar noch zunimmt.
Für die globalen Weltmärkte hat die amerikanische Energiewende allerdings durchaus einen messbaren positiven Effekt: Die internationalen Gaspreise kommen unter Druck. So sind russische Gaslieferungen teilweise noch immer im Rahmen von langfristigen Lieferverträgen an die Ölpreisentwicklung gebunden. Solche vertraglichen Regelungen sind jetzt häufig nicht mehr haltbar. Auch für uns Europäer dürften sich also die Gaspreise deutlich entspannen. Damit wird Erdgas als Energielieferant in den kommenden Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen. Für die Strom- und Wärmeherstellung ist Gas ideal, aber auch im Mobilitätsbereich wird Erdgas attraktiver. In Europa kann Gas eine bedeutende Brückentechnologie sein, da Gaskraftwerke gut mit schwankenden erneuerbaren Energien kombiniert werden können. Da Europa den Anteil erneuerbarer Energien nachdrücklich erhöhen wird, wird auch Erdgas an Bedeutung gewinnen. Andererseits ist infolge des niedrigen Gaspreises in den USA auch die Nachfrage nach Kohle zurückgegangen, was den Kohlepreis gesenkt hat. Billige Kohle wird in Europa, aber auch in Asien zu einem Anstieg des Kohleverbrauchs führen, was sich insbesondere auf die Energiewende in Deutschland nachteilig auswirken dürfte. Ohne höhere CO2-Preise wird man diesen Trend kaum aufhalten können.
Mit einem anderen Trend ist jedoch sicher zu rechnen: Der Bedarf an Erdgas in Asien, allem voran in China und Japan, wird zunehmen. Da die USA zuallererst ihren hohen Eigenbedarf decken müssen, wird vor allem Russland von der neuen Nachfrage profitieren und seine Gasexporte nach Asien erhöhen. Aber auch die Staaten des arabischen Raumes, insbesondere Katar, werden als flexibler Anbieter für beide Regionen, Europa und Asien, interessant bleiben. Dass sich die USA hier als globaler Energielieferant profilieren können, wird vermutlich ein unerfüllter Traum amerikanischer Fracking-Fans bleiben.
Trotz aller Ankündigungen ist im kommenden Jahrzehnt ein großflächiger Einsatz von unkonventionellen Erdgasfördermethoden global eher nicht zu erwarten. Zwar sind die Potenziale von unkonventionellem Erdgas vor allem in Asien groß, doch vermutlich wird nur China mittelfristig größere Quellen erschließen. In Europa sind die Potenziale ohnehin deutlich geringer, dafür die Umweltauflagen umso höher. Schließlich sind die eventuell frackingtauglichen Gebiete enger besiedelt als in den USA. In einigen EU-Staaten wurden bereits Moratorien verhängt. Eine Rolle spielen auch die Eigentumsrechte: Das Land, unter dem sich die Erdgasreserven befinden, ist in den USA oftmals Privateigentum, in Europa dagegen öffentliches Eigentum. All dies macht es unwahrscheinlich, dass in Europa nennenswerte Mengen an Schiefergas mittels Fracking gefördert
und gehandelt werden.
Auf den aktuellen „Gasrausch“ in den USA wird möglicherweise bald die Ernüchterung folgen: Denn die Frage bleibt, wie lange der – vermutlich steigende – Energieverbrauch
durch eigene Ressourcen gedeckt werden kann. Zumindest verspielt man sich wichtige Signale für eine richtige Energiewende. Denn es wird eine Zeit nach dem Gasrausch geben. Und eines ist sicher: Amerika ist heute kein Arabien und wird es morgen nicht sein, so sehr man es sich dort auch wünschen mag. Europas Arabien? Das sind die erneuerbaren Energien. Und das Energiesparen. Das ist bereits heute Realität und trägt unsere Wirtschaft sicher auch über morgen hinaus.
Der Gastbeitrag wird mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung auf der Website www.diw.de veröffentlicht.