Direkt zum Inhalt

DIW-Chef Fratzscher: "Wer weise ist, investiert jetzt in Schwellenländer"

Interview vom 9. September 2013

Deutschlands Exporte brummen, Asien dagegen könnte eine neue Wirtschaftskrise drohen. Im Interview rät DIW-Chef Fratzscher trotzdem zu Investitionen in die Schwellenländer - und zeigt sich skeptisch gegenüber Steuererhöhungen.

Interview von David Böcking und Christian Rickens, veröffentlicht auf Spiegel Online am 9. September 2013

SPIEGEL ONLINE: Herr Professor Fratzscher, in den neunziger Jahre sind die asiatischen Staaten schon einmal rasant gewachsen, dann platzte die Blase. Sie haben die Asien-Krise damals aus nächster Nähe erlebt, unter anderem als Berater des indonesischen Finanzministers. Heute kämpfen Schwellenländer wie China, Indien oder Indonesien erneut mit schwachem Wachstum, es gibt erste Anzeichen einer Kapitalflucht. Wiederholt sich die Geschichte?

Marcel Fratzscher: Viele Schwellenländer stehen vor großem Herausforderungen. China hat zwei große Probleme. Zum einen das Finanzsystem mit seinen Schattenbanken und vielen faulen Krediten. Zum anderen die Umstellung des Wirtschaftsmodells von einer Exportnation auf mehr heimischen Konsum.

SPIEGEL ONLINE: Kommt nach vielen Jahren des Booms also der große Knall?

Fratzscher: Ich bin recht optimistisch, dass der Knall zumindest in den nächsten Jahren ausbleibt. China hat gezeigt, dass es mit seiner gelenkten Wirtschaft extrem schnell und effektiv handeln kann. In der Krise ab 2008 hat die Regierung über Nacht ein billionenschweres Konjunkturprogramm aufgelegt und die Banken verpflichtet, mehr Kredite an Unternehmen zu vergeben. Allerdings ist bisher noch kein Schwellenland auf dem Weg zur Industrienation von einer Finanzkrise verschont geblieben, und ich zweifle ob China langfristig eine Ausnahme bleibt.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt will die Regierung ein Wachstum von sieben Prozent verteidigen. Ist das richtig?

Fratzscher: Das ist mehr noch ein soziales als ein wirtschaftliches Ziel. Es gibt schon jetzt große Spannungen, weil die Menschen kaum Sozialleistungen bekommen. Die Einkommensverteilung ist noch ungleicher als in den USA. Insofern ist Chinas politisches System zwar kommunistisch, sein Wirtschaftssystem aber extrem kapitalistisch. Jedoch ist es dem Land gelungen, durch das starke Wachstum der letzten drei Jahrzehnte sehr viele Menschen aus der Armut zu ziehen.

SPIEGEL ONLINE: Andere Schwellenländern wie Indien, Indonesien oder auch Brasilien kämpfen bereits gegen Kapitalflucht, ausgelöst vor allem durch eine erwartete Zinserhöhung in den USA. Spricht das nicht doch für einen neuen Crash?


Fratzscher: Ich glaube nicht, denn die Kapitalflüsse gehen schon länger hin und her: Der Schwellenländer-Boom begann etwa 2004, während der US-Finanzkrise wurde dann schon einmal viel Kapital abgezogen, ab 2009 kam es wieder. Damals war ich bei den G-20-Treffen dabei und habe erlebt, wie sich die Schwellenländer über die Niedrigzinsen der US-Zentralbank beklagten. Jetzt kritisieren sie, dass die Zinsen wieder steigen.

SPIEGEL ONLINE: Also gar kein Grund zu Sorge?

Fratzscher: Doch. Mich sorgt, dass viele Schwellenländer die falschen wirtschaftspolitischen Lehren aus der globalen Finanzkrise von 2008-09 gezogen und protektionistische Maßnahmen wie Kapitalverkehrskontrollen ergriffen haben. Eigentlich bräuchten sie eine bessere Geld- und Finanzpolitik und eine effektivere Finanzaufsicht.

SPIEGEL ONLINE: Aber sind solche Kontrollen nicht reine Notwehr gegen die Flut des billigen Geldes?


Fratzscher: Nein, denn die Kapitalflüsse spiegeln auch die wirtschaftliche Realität. Die Schwellenländer werden auch langfristig schneller wachsen als USA und Europa. Wer weise ist, investiert als Deutscher oder Europäer gerade jetzt in Schwellenländer.

SPIEGEL ONLINE: In Europa will die Europäische Zentralbank notfalls mit unbegrenzten Anleihekäufe gegen die Krise kämpfen. Sie haben sich kürzlich in einem Appell mit anderen Ökonomen hinter dieses sogenannte OMT-Programm gestellt, dabei wurde es noch gar nicht angewendet. Ist es nicht zu früh für Vorschusslorbeeren?


Fratzscher: Bei allen Risiken halte ich die Ankündigung des OMT Programms für einen Erfolg, weil es Europa und auch Deutschland wahrscheinlich vor einer noch viel tieferen Finanz- und Wirtschaftskrise bewahrt und die Märkte sehr wirksam beruhigt hat. Sorgen macht mir allerdings, dass damit der Reformdruck von Regierungen genommen wurde. Auch die europäische Bankenunion wäre ohne OMT sicher schneller gekommen.

SPIEGEL ONLINE: So denkt jeder: EZB-Chef Mario Draghi wird's schon richten.


Fratzscher:
Genau, aber das kann man der EZB nicht vorwerfen. Sie hat das Mandat, die Preise stabil zu halten. Deshalb muss sie ihre Instrumente nutzen können, und dazu gehören auch Anleihekäufen, um eine drohende Deflation zu verhindern. Aber sie hat nicht das Mandat sich politisch einzumischen, und beispielsweise die Politik zu einer Bankenaufsicht zu zwingen.

SPIEGEL ONLINE: Bei den Anleihekäufen wird die EZB jedoch nicht als vorrangiger Gläubiger behandelt. Im Fall einer Staatspleite wäre ihr Einsatz also genauso gefährdet wie der von privaten Investoren. Ist dieses Risiko nicht zu hoch?

Fratzscher: Das Risiko ist zweifelsohne hoch, diese Maßnahme aber richtig. Denn Ziel ist es ja eine Ausweitung der Krise zu verhindern. Gäbe es eine vorrangige Behandlung für die EZB, würde für private Investoren das Verlustrisiko im Falle eines Bankrotts steigen - und damit die Motivation, ihre Staatsanleihen abzustoßen.

SPIEGEL ONLINE: Wäre es überhaupt ein Problem, wenn ein Euro-Staat pleite geht, von dem die EZB Staatsanleihen hält? Schließlich kann sie das Geld mit einem Federstrich neu schaffen.

Fratzscher: Das stimmt. Der Verlust würde sich in der EZB-Bilanz zeigen und könnte zu verringerten Gewinnausschüttungen an die nationalen Zentralbanken führen. Aber Deutschland müsste der EZB deshalb nicht automatisch Verluste ersetzen.

SPIEGEL ONLINE: In Deutschland wird bald gewählt - auch zwischen verschiedenen Steuerkonzepten. SPD, Grüne und Linke wollen bei Vermögenden stärker zulangen, was laut einer Analyse ihres Instituts pro Jahr bis zu acht Milliarden bringen würde. Sollten die Steuern hoch?

Fratzscher: Das ist in erster Linie eine politische Frage, bei der es um Gerechtigkeit geht. Aus wirtschaftspolitischer Sicht müssen wir analysieren, wie sich Steuerpolitik auf Unternehmen und Verbraucher auswirkt und die Vor- und Nachteile vorsichtig gegeneinander aufwiegen. Eine Steuererhöhung hätte den Vorteil dass die Einnahmen für wichtige öffentliche Investitionen genutzt werden könnten. Aber die Gefahr ist, dass Vermögende ihre Mehrbelastung an anderer Stelle wieder einsparen - etwa bei privaten Investitionen. Die brauchen wir dringend. Das zeigt auch eine Prognose, wonach wir erneut einen rekordverdächtigen Überschuss in der Leistungsbilanz erzielen - also viel mehr sparen als wir investieren.

SPIEGEL ONLINE: Aber brauchen wir dieses Geld nicht für den Schuldenabbau?

Fratzscher: Wir bauen schon jetzt Schulden ab, die öffentlichen Haushalte sind im Plus. Genauso wichtig wie der Schuldenabbau ist es Deutschlands Investitionsschwäche zu beseitigen, und mehr in Bildung und Infrastruktur zu stecken. Das erhöht Wachstum und Produktivität, und damit die Chancen, dass mehr Menschen in Deutschland eine gutbezahlte Arbeit finden.

Dieses Interview wird mit freundlicher Genehmigung von Spiegel Online auf www.diw.de veröffentlicht

keyboard_arrow_up