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Hochschulstudium: nicht ausgeschöpfte Potentiale trotz "Akademisierungswahn"

DIW Roundup 2, 4 S.

Johanna Storck

2013

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20.12.2013, Johanna Storck, jstorck@diw.de

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger an deutschen Hochschulen deutlich gestiegen. Ihren bisherigen Rekordwert erreichte sie im Studienjahr 2011: Damals schrieben sich 518 700 Studienanfängerinnen und -anfänger erstmals an einer deutschen Hochschule ein. Die Studienanfängerquote erreichte 56 Prozent. Das heißt, jeder 2. Schulabgänger nimmt im Laufe seines Lebens ein Studium auf. Während die Einen von einem Akademisierungswahn sprechen, heben die Anderen hervor, dass Bildung der beste Prädiktor für ein sicheres Einkommen auf der individuellen Ebene und für Wettbewerbsfähigkeit auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene ist. Die Potentiale sind noch längst nicht ausgeschöpft: Selbst mit der hohen Studierquote in Deutschland sind Kinder aus Nichtakademiker-Familien an deutschen Universitäten nach wie vor stark unterrepräsentiert.

Im Studienjahr 2013 nahmen nach ersten vorläufigen Ergebnissen 506 600 Studienanfängerinnen und -anfänger ein Studium auf. Damit stieg die Zahl der Erstsemester im Vergleich zu 2012 um zwei Prozent und erreichte nach dem Rekordwert des Jahres 2011 (518 700) den zweithöchsten Stand, der in Deutschland jemals erzielt wurde (Statistisches Bundesamt 2013). Die Meinungen zu diesen Rekorden gehen auseinander. In der öffentlichen Debatte wird oft von einem „Akademisierungswahn" gesprochen. So befürchtet der Bildungsphilosoph und ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin (SPD), dass der Anstieg der Studentenzahlen der dualen Berufsbildung schadet. Auch Industrie und Handel sehen angesichts nicht besetzter Lehrstellen die steigenden Studierendenzahlen in Deutschland kritisch. Sie berufen sich hierbei auf eine weitere Rekordzahl. Im Jahr 2012 gab es 33 275 gemeldete Berufsausbildungsstellen, die unbesetzt geblieben sind. Eric Schweitzer, Chef der deutschen Industrie- und Handelskammern, plädiert dafür, junge Leute wieder für die Ausbildung zu begeistern. Nicht für jeden sei das Studium die beste Wahl, das sehe man auch an der Studienabbrecherquote. Diese lag in den letzten Jahren jährlich bei etwa 25 Prozent. Allerdings lässt nicht allein der "Akademisierungswahn" Ausbildungsstellen unbesetzt, sondern vor allem die Tatsache, dass es aus demografischen Gründen weniger junge Leute gibt, die sich für Ausbildungsberufe interessieren könnten. Von den nicht besetzten Ausbildungsstellen besonders betroffen sind Ausbildungsberufe, die am Ende der Beliebtheitsskala stehen (BMBF 2013). Insbesondere im Handwerk kann ein Teil der Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. Ökonomen argumentieren mit Preis und Nachfrage. Wenn die Firmen einem Mangel gegenüber stehen müssten die Preise für Auszubildende steigen. Fachkräfte mit Abitur verdienen jedoch über den gesamten Lebensverlauf hinweg in der Regel um einiges weniger als ihre studierten Kollegen im gleichen Bereich (Glocker 2012).

Markt signalisiert einen hohen Bedarf an Akademikern

Der Markt signalisiert nach wie vor einen hohen Bedarf an Akademikern. Trotz der Ausweitung des Angebots an Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt sind die Löhne für Akademiker relativ zu den Löhnen von Nichtakademiker in den letzten Jahren gestiegen. In Deutschland verdienen Menschen mit einer höheren Bildung 36 Prozent mehr als Absolventen einer Berufsausbildung. Arbeitsmarktökonomen, wie Joachim Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sprechen von einer weitgehenden Vollbeschäftigung bei Akademikern: Die Arbeitslosenquote der Akademiker ist mit rund 2,5 Prozent weit geringer als die der Personen mit einer Berufsausbildung (ca. fünf Prozent) oder gar die der Ungelernten (rund 20 Prozent) (Möller 2013).

Bildungspotential besser ausschöpfen

Die vorhandenen Bildungspotentiale sind bei weitem noch nicht erschöpft. Trotz der steigenden Studierquote sind Studierende aus Familien ohne Hochschulerfahrung an deutschen Universitäten nach wie vor unterrepräsentiert. Eine Schwachstelle im Deutschen Bildungssystem ist laut Bildungsökonomin Katharina Spieß die im internationalen Vergleich geringe intergenerationale Bildungsmobilität. „Dies führt letztlich dazu, dass das vorhandene Humankapital in Deutschland nicht optimal ausgeschöpft wird". Von der Gruppe der Abiturienten, deren Eltern eine Lehre abgeschlossen haben oder keinen Ausbildungsabschluss aufwiesen, nahmen im Jahr 2010 nur 62 Prozent ein Studium auf. Bei den Abiturienten, deren Eltern an einer Universität studiert haben, waren es hingegen 81 Prozent. Noch eklatanter ist die Bildungsungleichheit bei Kindern, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben: Lediglich 13 Prozent dieser Abiturienten haben im Jahr 2009 ein Studium aufgenommen (Autorengruppe Bildungsbericht (2012)). Diese ungleiche Verteilung blieb in den letzten Jahren weitgehend konstant. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht die Erhöhung der Chancengerechtigkeit als wichtiges Ziel der Sozialpolitik. Da Bildung sehr eng mit Einkommenschancen verbunden ist, bedeutet Chancengerechtigkeit auch Einkommensmobilität und damit Aufstiegschancen in dem Sinne, nicht dauerhaft im unteren Einkommensbereich zu verbleiben (Sachverständigenrat (2013)).

Quelle: Autorengruppe Bildungsbericht (2012).

Nur ein geringer Teil des ungleichen Übergangs von Kindern mit akademischen und nichtakademischen Hintergrund kann auf Leistungsdifferenzen zwischen der Gruppe zurückgeführt werden. Soziologe Markus Loerz (2012) zeigt, dass 84 Prozent des Unterschieds in der Studienaufnahme herkunftsbedingt ist.

Informationsdefizit als Hindernis zur Studienaufnahme

Folgt man der Humankapital-Theorie, entscheiden sich Studienberechtigte für den Bildungsweg, der ihnen bei erwarteten Kosten den höchsten Nutzen bringt. Diese Erwartungen hängen sehr stark von den vorhandenen Informationen und individuellen Voraussetzungen ab. Das Informationsset und die individuellen Voraussetzungen wiederum werden auch durch den familiären Hintergrund der Studienberechtigten bestimmt (vgl. unter vielen Loerz 2012). Informationsdefizite z.B. über den finanziellen Nutzen eines Studiums, über die Studienfinanzierung oder darüber, wie man den gewünschten Studienplatz findet, können dazu führen, dass ein Studium nicht aufgenommen wird.

Ein weiterer Grund ist die „kulturelle Distanz" zum Studium und zur Berufswelt von Akademikern. Schüler mit einem nichtakademischen Hintergrund betreten mit dem Studium eine „neue Welt", während Schülerinnen und Schüler mit studierten Eltern den Status ihrer Eltern erhalten. So wird die berufliche Ausbildung in nichtakademischen Familien oft als die sicherere Alternative gesehen. Selbst wenn eine Hochschule besucht wird, geht dem häufig eine Berufsausbildung voraus. Studierende, deren Eltern eine berufliche Ausbildung als höchsten Bildungsabschluss haben, beginnen ihr Studium anteilig doppelt so häufig mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung (30 Prozent) als Studierende, deren Eltern einen akademischen Bildungsabschluss haben (15 Prozent) (BMBF (2010)).

Fazit

Der Zusammenhang von Bildung und Einkommen ist sowohl auf der individuellen als auch auf der staatlichen Ebene eines der robustesten Ergebnisse der Bildungs- und Arbeitsmarktforschung. Jedem die Chance zu ermöglichen, den Bildungstand zu erreichen, der seiner Leistungsfähigkeit entspricht, sollte daher ein gesellschaftliches Ziel sein. Trotz stetig steigender Bildungsbeteiligung ist dieses Ziel in Deutschland nicht erreicht. Einige soziale Gruppen sind in der Hochschulbildung nach wie vor unterrepräsentiert. Im DIW Wochenbericht „Zukunftsinvestitionen für mehr Wachstum" werden unterschiedliche Maßnahmen diskutiert, die zu einer größeren Bildungsmobilität beitragen können. Insbesondere Programme, die Hürden für die Studienaufnahme abbauen, könnten hier hilfreich sein. Schüler aller sozialen Gruppen sollten gut über den mittel- bis langfristigen Nutzen des Studiums und Finanzierungsmöglichkeiten informiert sein. Private und öffentliche Akteure vereinen sich bereits, um dieses Ziel zu verfolgen. So formen sich verstärkt Mentoringprogramme, die Kinder von Nichtakademikern an die Universität heranführen sollen (z.B. Arbeiterkind.de) und auch Stipendienprogramme werben dafür Bildungsaufsteiger zu unterstützen (vgl. z.B. „Allianz für Bildung").

Quellen

Autorengruppe Bildungsbericht (2012). Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf": Hrsg.: Autorengruppe Bildungsberichterstattung. Bielefeld

BMBF (2013). "Allianz für Bildung". (heruntergeladen am 25.12.2013)

BMBF (2013). Berufsbildungsbericht 2013. Bonn.

BMBF (2010). 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Bonn, Berlin.

Bollmann, Ralph (2013). "70.000 Lehrstellen werden unbesetzt bleiben". [07.07.2013] (heruntergeladen am 25.12.2013)

Füller, Christian (2013). Im Gespräch: Julian Nida-Rümelin „Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen", [01.09.2013] (heruntergeladen am 25.12.2013)

Glocker Daniela, J. Storck. (2012). Uni, Fachhochschule oder Ausbildung - welche Fächer bringen die höchsten Löhne?  DIW Wochenbericht 13, S. 3-8 (PDF, 248.77 KB).

Loerz, Markus (2012). Mechansimen sozialer Ungleichheit beim Übergang ins Studium, in: Rolf Becker und Heike Solga (Hrsg.). „Soziologische Bildungsforschung", Sonderband 52 der Kölner Zeitschrift für Sozialpsychologie und Soziologie.

Möller, Joachim (2013). In Deutschland wird zu viel studiert - stimmt's?. [20.08.2013] (heruntergeladen am 25.12.2013)

Sachverständigenrat (2013). Jahresgutachten 2013/2014: Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik. Wiesbaden.

Spieß, Katharina (2013). Investitionen in Bildung: frühkindlicher Bereich hat großes Potential. DIW Wochenbericht 26, S. 40-48. (PDF, 168.12 KB)

Statistisches Bundesamt (2013). Hochschulen auf einen Blick 2013. Wiesbaden.

Themen: Bildung


Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/111774

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