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Verlorene Jahre

Medienbeitrag vom 11. April 2016

Seit dem 29. Juni 2015 gibt es in Griechenland Kapitalverkehrskontrollen. Bis heute ist trotz dritten Hilfspakets der freie Kapitalverkehr in Griechenland nicht wiederhergestellt. Der griechischen Regierung ist es also nicht gelungen, das Vertrauen der Märkte und ihrer Partner wieder zu gewinnen. Und so setzt sich die Rezession in Griechenland fort. Der einzige Grund, warum es Griechenland nicht noch schlechter geht, ist die boomende Tourismusbranche.

Auch 2016 wird Griechenlands Wirtschaft wohl wieder schrumpfen. Und die griechischen Haushalte? Laut MacroPolis nennen mehr als 50 Prozent aller Haushalte Renteneinkünfte und nur knapp 40 Prozent Lohn- und Gehaltszahlungen als wichtigste Einkommensquelle. Ergebnis von sieben Jahren Politikversagen sieben verschiedener Regierungen. Zusätzlich erschwert wird die Situation durch die Flüchtlingskrise, die Griechenland seit Schließung der Balkanroute auch budgetär massiv trifft, ohne dass das Land selbst dafür Verantwortung trägt.

In diesem Umfeld erhöht nun die derzeitige griechische Regierung zur Umsetzung der Vereinbarungen im dritten Hilfspaket erneut die Steuern und Sozialabgaben und kürzt Renten. Auch in dieser Hinsicht ist sie nicht besser als die vorherigen Regierungen. Sie konzentriert sich auf fiskalische Ziele, Staatsausgaben runter, Staatseinnahmen hoch, um die Zustimmung der Gläubiger zur Auszahlung der nächsten Tranche zu erwirken, eine Tranche die die Regierung dringend braucht, um im Juli anstehende Kreditrückzahlungen leisten zu können. Andernfalls droht wieder eine Diskussion über Staatspleite und Grexit.

Bis heute kein Wort zu den ausstehenden Strukturreformen, dem Abbau von Bürokratismus, Amtsschimmel und Papierkrieg. Verlässlichkeit bei der Besteuerung von Unternehmen oder der Beschleunigung von Zivilprozessen, zwei weitere wichtige Bausteine, um endlich wieder attraktiv für private Investitionen in Griechenland zu werden: Fehlanzeige! Kein Wunder, dass man Investoren mit einem Justizsystem abschreckt, das mehr als 4 Jahre braucht, um Vertragsvereinbarungen gerichtlich durchsetzbar zu machen, erstinstanzlich wohl gemerkt.

Die hohe Regulierungsdichte macht also Griechenland weiter zu schaffen. Und da die griechische Regierung nichts tut, um dies zu ändern, muss sie die nächste Sparrunde einläuten. Das wird der privaten Wirtschaft in Griechenland noch mehr die Luft abschnüren, in den betroffenen Haushalten wird die Armut weiter steigen. Eine bittere Wahrheit ist: Wäre der notwendige Reformprozess in der Vergangenheit mit Schwung angegangenen worden, er hätte positive Ausstrahlung in die griechische Wirtschaft gehabt. Bei einer dann wachsenden Wirtschaft wären heute solch drastische Sparrunden nicht mehr notwendig.

Was Griechenland also braucht, ist eine koordinierte Strategie, die zuvorderst die privaten Wirtschaftskräfte im Lande stärkt. Denn bis zum heutigen Tag macht das Land von seinen hochproduktiven Ressourcen zu wenig Gebrauch. Und die wandern weiterhin aus - nicht nur Fachkräfte und das Kapital der Investoren, sondern auch Forscher, Unternehmer, ganze Unternehmen und neue Produktideen.

Griechenlands wirtschaftliche Erholung wird erst dann beginnen, wenn die vorhandenen innovativen Wirtschaftskräfte sich nicht außerhalb sondern im Land entfalten und Produkte mit höherer Wertschöpfung im Land erzeugen, mit denen Griechenland auf internationalen Märkten wettbewerbsfähiger wird.

Was dafür notwendig ist, ist hinlänglich bekannt: Struktur- und Justizreformen, Investitionen und Verlässlichkeit in der Wirtschaftspolitik. Das umfasst zum Beispiel die weitere Öffnung der geschlossenen Berufe, die massive Vereinfachung der Vorschriften für Öffnung, Betrieb und Schließung von Unternehmungen, den Abbau der Bürokratie und der Zahl der Bürokraten, die den Unternehmern den Alltag vergällen.

Neben dem Abbau der Überregulierung muss Griechenland sein Forschungspotential erhöhen. Seit Jahren gibt das Land nur 0,7 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung (F&E) aus, andere Euroländer investieren 3 Prozent ihres BIP in die Zukunft ihres Landes. Ohne Schließung dieser Investitionslücke im Innovationssystem wird Griechenland nicht nachhaltig wachsen. Es bedarf daher einer Strategie zur Erhöhung der Investitionen in F&E in Abstimmung mit der EU und einzelnen Partnerländern, sowie einer mittelfristigen Umschichtung des griechischen Staatshaushalts.

Der Reformprozess der letzten sieben Jahre ist gescheitert. Gleichzeitig benötigt die griechische Regierung das Vertrauen ihrer Partner. Das kann sie erlangen, würde sie sich vom liebgewonnenen Narrativ des Spardiktats verabschieden und gemeinsam mit allen relevanten Partner im In- und Ausland eine Reform- und Investitionsstrategie entwickeln. Solch fundamentale Reformen werden in Griechenland aber erst dann einsetzen, wenn der klientelistische Ansatz nicht mehr treibende Kraft aller politischen Entscheidungen ist, und nicht mehr die Privilegien einzelner Interessengruppen bedient werden. Nach einer solchen Kursänderung wären Griechenlands Partner mit Sicherheit auch offen für eine Restrukturierung der griechischen Staatsschulden über Tilgungsstreckungen und Zinsreduktionen, um diese langfristig tragfähig zu machen. Bedarf an einer solchen Restrukturierung gibt es aber zum Glück erst im Jahre 2022. Bis dahin ist in dieser Hinsicht noch viel Zeit, viel drängender ist die Reformfrage für Griechenlands eigene Zukunft.

Dieser Gastbeitrag von DIW-Forschungsdirektor Alexander S. Kritikos ist in gekürzter Fassung am 8. April 2016 in der Süddeutschen Zeitung erschienen.

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