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Die Prämie für Dieselautos ist verlogen

Medienbeitrag vom 14. August 2017

Die Diesel-Sparfüchse müssen jetzt einen umfangreichen Wertverlust ihres Fahrzeugs in Kauf nehmen. Zehn Prozent Rabatt für einen Neuwagen sind ein Hohn.

Die sogenannte Umweltprämie der Autohersteller wäre ein guter Witz, wenn sie nicht ernst wäre. Da hat man den Kunden jahrelang vorgegaukelt, sie würden ein umweltschonendes Fahrzeug kaufen – und jetzt, wo herauskommt, dass das deutsche Öko-Wunder Clean Diesel nichts als Betrug war, wird den Leuten zum Supersonderpreis das allerneuste Öko-Wunder verkauft: Clean Diesel reloaded.  

Doch die dafür angebotenen Dieselfahrzeuge sind leider auch umweltschädlich. Dafür muss man das Kleingedruckte lesen, das im kürzlich verkündeten Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts steht. Dieses hatte entschieden, dass „Fahrverbote für alle Diesel-PKW, auch die neuen, unvermeidlich“ seien. Denn nicht nur die alten, sondern auch neue Fahrzeuge überschritten die zugelassenen Stickoxidgrenzwerte zum Teil um das Sechsfache, wie das Umweltbundesamt kürzlich nochmals festgestellt hat. Software-Updates, die Emissionen angeblich um 25 Prozent reduzieren, werden also nicht ausreichen. 6-mal zu hoch ist auch um 25 Prozent reduziert noch 4,5-mal zu hoch.

Das offenbar in Windeseile beim Dieselgipfel mit der Politik abgestimmte Angebot der Dieselauto-Hersteller ist also keineswegs fair oder gar großzügig. Es ist die Neuauflage desselben Denkens, Handelns und, ja, desselben Betrugs, der zum Dieselgate geführt hat.  

15 Millionen Betrogene

Hier wurde nicht ein bisschen geschummelt – hier wurden systematisch und mutwillig Gesetze umgangen, Kontrollinstanzen betrogen und verantwortliche Politiker in gesetzgebenden Instanzen durch Schmeicheleien, Fehlinformationen und beeinflussende Angebote manipuliert. Genau 15.089.392 deutsche Autobesitzer haben sich für einen Diesel entschieden. Sie sind die Betrogenen – ethisch wie ökonomisch. 

Wenn nur jeder Hundertste der mehr als 15 Millionen betrogenen Autokäufer sich aus Umweltbewusstsein für den Clean Diesel entschieden hat, dürften demnächst Großdemos vor dem Umwelt- und Verbraucherministerium gegen den dreisten und bislang ungeahndeten Green-Washing-Etikettenschwindel der Autobranche stattfinden. Die anderen 14,8 Millionen, die sich einfach nur aus Kostengründen für den teureren Anschaffungspreis und die – dank staatlicher Subventionen – günstigen Spritpreise und den damit langfristigen Kostenvorteil entschieden haben, dürften derweil ihre Messer wetzen.

Nicht nur, weil ihnen Fahrverbote drohen, die ihnen ein angeblich sauberer Diesel eigentlich ersparen sollte – und selbst die allerneuste Generation macht dieses unlautere Versprechen. Jetzt müssen die Diesel-Sparfüchse von gestern auch noch einen umfangreichen Wertverlust ihres Fahrzeugs in Kauf nehmen. Da ist es der schiere Hohn, wenn ihnen für den Kauf eines Neuwagens etwa zehn Prozent Rabatt eingeräumt werden soll. Die legendären 10.000 Euro, von denen in den Medien die Rede ist, gibt es nur für eine Luxuskarosse mit knapp sechsstelligem Listenpreis.

Zeit, die Wahrheit zu sagen

Was ginge für ein Aufschrei durchs Land, wenn man die bereits gekauften mit Fipronil verunreinigten Eier zurückbringen dürfte, um dann rabattierte frische Eier zu bekommen – mit rechnerisch 25 Prozent weniger Fipronil, aber weil die Eier größer sind, in Wahrheit mit mehr Fipronil als vorher. Man würde den Bauern die Eier an den Kopf werfen und die faulen Marketing-Tomaten gleich noch hinterher.

Es ist daher Zeit, den Deutschen die Wahrheit zu sagen.

1. Die angeblich so saubere Dieseltechnologie kann nicht gleichzeitig die CO2- und die Stickoxidgrenzwerte einhalten – entweder das eine oder das andere. Diesel ist keine zukunftsfähige Technik, sondern eine Technik der Vergangenheit.

2. Auf Kosten der Verbraucher haben die Autokonzerne in den vergangenen Jahrzehnten gigantische Gewinne eingefahren. Die sollten die Kunden nun als echten Schadensersatz zurückbekommen.

3. Die deutsche Autoindustrie hat mutwillig und wider besseres Wissen zu erhöhten Gesundheitskosten und Klimakosten beigetragen, ein Schaden, den sie zumindest ökonomisch wiedergutmachen sollten. Die bereits entstandenen Gesundheits- und Klimaschäden sind irreversibel.

Die Autokonzerne sind gestrig

4. Den betrogenen und ökonomisch geschädigten Dieselkunden muss ernsthaft aus der Patsche geholfen werden, und zwar nicht auf Kosten der ohnehin schon geschädigten Bürger. Zahlen müssen jetzt mal die Verursacher. Das sind in diesem Fall eindeutig nicht die Autofahrer, sondern die Hersteller!

5. Die derzeit ebenfalls angebotenen Elektro- und Hybrid-Fahrzeuge haben die betroffenen Autohersteller gar nicht wirklich im Angebot – oder wenn, dann zu nicht marktfähigen Preisen und mit unzumutbaren Lieferzeiten. Wer auf Elektromobilität umsteigen will, muss sich (leider!) auf dem internationalen Automarkt umschauen.

Aus kurzfristiger Profitorientierung hat die Autoindustrie nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch die deutsche Wirtschaftskraft aufs Spiel gesetzt. Das Vertrauen in Made in Germany war mühsam aufgebaut und ist leider schnell verspielt.

Echter Verbraucherschutz sollte nicht Steuergeld für eine Industrie ausgeben, die ihre Probleme selbst verursacht hat, die die Vergangenheit konservieren und betrogene Kunden nicht angemessen entschädigen will. Die Autokonzerne sind in Pflicht. Sie sind nicht too big to fail. Sie sind ewig gestrig. Und das ist bitterer Ernst.

Dieser Beitrag von Claudia Kemfert ist am 13. August 2017 bei ZEIT ONLINE erschienen.

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