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Noch immer in der Steinzeit

Blog Marcel Fratzscher vom 16. Januar 2017

Dieser Beitrag ist am 13. Januar in der ZEIT ONLINE– Kolumne „Fratzschers Verteilungsfragen" erschienen.

Frauen sind doch selber schuld, dass sie weniger verdienen, und eine gesetzliche Regelung für Lohngerechtigkeit wäre nur unnötig teuer? Diese Argumente sind grundfalsch.

In den vergangenen Tagen ist eine hitzige Debatte über das Gesetz für Lohngerechtigkeit entbrannt, das helfen soll, eine Diskriminierung bei Löhnen zwischen Männern und Frauen zu beheben. Es gibt viel Kritik an diesem Gesetz mit dem Argument, es gebe keine Diskriminierung gegen Frauen, und zudem sei dieses Gesetz wirtschaftlich schädlich.

Beide Argumente sind grundfalsch und werden von vielen Fakten widerlegt. Deutschland befindet sich bei der Gleichstellung von Frauen noch immer in der Steinzeit – gerade im internationalen Vergleich mit ähnlichen, vor allem den nordischen Ländern. Wir sollten endlich einsehen, dass die Gleichstellung nicht nur im Interesse von Frauen ist, sondern der gesamten Gesellschaft, auch von uns Männern. Gerade wirtschaftlich entgeht unserer Gesellschaft durch die Schlechterstellung von Frauen ein enormes Potenzial und damit Wohlstand.

Deutschland hat einen der größten Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen in ganz Europa. Eine Frau verdient in Deutschland als Stundenlohn durchschnittlich 22 Prozent weniger als ein Mann. Für jeden Euro, den ein Mann verdient, bekommt eine Frau also nur 78 Cent.

Nur die Tschechische Republik und Estland haben in Europa einen höheren Unterschied, oder Gender-Pay-Gap. Der durchschnittliche Gender-Pay-Gap liegt in der EU um fünf Prozentpunkte niedriger als in Deutschland. Zudem ist der Gender-Pay-Gap in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland nicht merklich geringer geworden, hat sich aber in einigen anderen europäischen Ländern deutlich verbessert.

Die Kritiker des Gesetzes zur Lohngerechtigkeit argumentieren, dieser Gender-Pay-Gap sei zum größten Teil nicht auf eine Diskriminierung, sondern auf die freie Wahl von Frauen zurückzuführen. Drei Faktoren erklären einen großen Teil dieses Gender-Pay-Gaps von 22 Prozent – weil Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten, weniger in Führungspositionen vertreten sind und tendenziell eher in schlecht bezahlten Berufen tätig sind.

Aber spiegeln diese drei Faktoren wirklich die freie Wahl von Frauen wieder? Es ist richtig, dass Frauen viel häufiger in Teilzeit arbeiten. Umfragen zeigen jedoch, dass diese Frauen durchschnittlich gerne 10 Stunden mehr pro Woche arbeiten möchten. Sie können dies jedoch häufig nicht wegen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und der Tatsache, dass es an adäquaten Betreuungseinrichtungen für ihre Kinder mangelt.

Dass Frauen also häufiger in Teilzeit arbeiten, ist deshalb nicht unbedingt eine freie Wahl, sondern das Resultat einer noch immer unzureichenden Bildungs- und Familienpolitik – auch wenn man betonen muss, dass die letzten drei Bundesregierungen große Anstrengungen in der Familienpolitik unternommen haben.

Auch ist es richtig, dass Frauen sehr viel häufiger in Berufen arbeiten, die tendenziell geringere Löhne erzielen als typische Männerberufe, etwa als Bürokauffrau oder im Einzelhandel. Aber ist das wirklich die freie Entscheidung der Frauen? Es gibt eine Reihe wissenschaftlicher Studien, die zeigen, dass die Löhne in solchen Berufen fallen oder weniger stark steigen, in denen der Anteil der Frauen steigt. Frauen wählen eine schlechtere Bezahlung nicht, sondern sie bekommen sie.

Der dritte Kritikpunkt und vermeintliche Rechtfertigung für den Gender-Pay-Gap in Deutschland, dass Frauen sich seltener freiwillig für Führungspositionen entscheiden als Männer, ist besonders irrsinnig. Viele Studien zeigen, dass Frauen systematisch höhere Hürden als Männer überwinden müssen, um in Führungspositionen zu gelangen, auch wenn sie die gleiche Qualifikation und Motivation mitbringen.

In der Frage der Führungspositionen von Frauen zeigt sich, dass Deutschland im internationalen Vergleich rückständig ist und einen riesigen Aufholbedarf hat. Der DIW-Managerinnen-Barometer zeigt, dass die Frauenquote für Aufsichtsräte erste positive Resultate gezeigt hat. Beim Anteil der Frauen in Vorständen steht Deutschland jedoch nach wie vor schwach da.

Sind 2.900 Euro weniger wirklich unbedeutend?

Die Kritiker des Gesetzes zur Lohngerechtigkeit argumentieren, dass der Gender-Pay-Gap in Deutschland von 21 Prozent auf 7 Prozent fällt, wenn man den höheren Anteil an Frauen in Teilzeit und in Berufen mit schlechter Bezahlung als auch deren geringen Anteil an Führungskräften berücksichtigt. 7 Prozent sind sicherlich deutlich weniger als 21 Prozent.

Aber ist selbst ein solcher Gender-Pay-Gap vernachlässigbar? In Deutschland beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen in einem Vollzeitjob 41.000 Euro. Ein Gender-Pay-Gap von 7 Prozent bedeutet, dass eine Frau im Durchschnitt 2.900 Euro im Jahr weniger verdient. Sind 2.900 Euro wirklich unbedeutend? Kaum jemand würde diese Frage bejahen.

Hier kommt das zweite Argument der Kritiker gegen das Gesetz zur Lohngerechtigkeit ins Spiel. Sie argumentieren, eine Angleichung der Löhne zwischen Männern und Frauen sei wirtschaftlich schädlich und würde Unternehmen massiv belasten, sowohl über den administrativen Aufwand, um das Gesetz umzusetzen, als auch durch die finanziellen Mehrkosten, wenn die Löhne der Frauen erhöht werden müssten. Dies ist nicht nur ein falsches, sondern auch ein zynisches Argument.

Das größte ungehobene Potenzial der deutschen Wirtschaft

Frauen, die besser und fairer für ihre Arbeit entlohnt werden, haben nicht nur höhere Einkommen und damit eine stärkere Nachfrage, die die Wirtschaft unterstützt. Sondern diese Frauen haben bessere Anreize, sich in den Arbeitsmarkt einzubringen, wenn es sich für sie mehr lohnt und sie das Gefühl haben, fair behandelt zu werden.

Die geringere Erwerbstätigkeit von Frauen ist und bleibt das größte ungehobene wirtschaftliche Potenzial in Deutschland. Zwar hat sich die Erwerbsquote von Frauen in Westdeutschland der in Ostdeutschland seit 1990 angenähert. Aber viele Frauen geben nach wie vor an, dass sie berufstätig werden möchten, mehr arbeiten oder mehr Verantwortung in ihrem Beruf übernehmen wollen.

Dabei haben Frauen im Durchschnitt eine bessere Bildung und Ausbildung als Männer. Mehr Frauen als Männer machen Abitur und schließen ihr Studium erfolgreich ab. Sie tun dies meist in einer kürzeren Zeit, mit besseren Noten und brechen ihre Ausbildung seltener ab. Wenn sie dann aber in den Arbeitsmarkt kommen, öffnet sich die Schere zwischen Männern und Frauen in Deutschland deutlich, sowohl bei den Löhnen als auch bei der Verantwortung, die sie in ihren Berufen übernehmen.

All dies deutet an, wie enorm groß das wirtschaftliche Potenzial ist, wenn Staat, Gesellschaft und Unternehmen den Frauen weniger Hürden in den Weg legen, als dass zurzeit in Deutschland der Fall ist. Die Diskussion um das Gesetz zur Lohngerechtigkeit zeigt leider, wie weit wir in Deutschland noch vom Bewusstsein entfernt sind, dass eine wirkliche Gleichstellung von Frauen nicht nur im Interesse der betroffenen Frauen ist, sondern Interesse aller, auch von uns Männern.

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