Direkt zum Inhalt

Wer wenig verdient, kann nicht sparen

Blog Marcel Fratzscher vom 6. Januar 2017

Dieser Beitrag ist am 6. Januar in der ZEIT ONLINE- Kolumne „Fratzschers Verteilungsfragen“ erschienen.

In Deutschland sind Vermögen so ungleich verteilt wie in kaum einem Land der Eurozone. Der Sozialstaat kann das nicht auffangen. Es braucht endlich gerechte Politik.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte keine frohe Weihnachtsbotschaft: Laut ihrer neuesten Erhebung hat Deutschland mit die höchste Ungleichheit bei privaten Vermögen in der Eurozone. Dabei ist das Problem nicht, dass in kaum einem Land die reichsten zehn Prozent so viel haben wie in Deutschland. Die wirklich schockierende Botschaft ist, dass 40 Prozent der Deutschen praktisch gar kein Erspartes haben. Sie haben kaum etwas, auf das sie sich im Alter verlassen, womit sie sich gegen Krankheit absichern oder in die Bildung ihrer Kinder investieren können. Die enorme Ungleichheit der privaten Vermögen trägt bereits heute zu sozialen Konflikten bei, die sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen werden.

Die neuen Zahlen der EZB sind ernüchternd. Obwohl das Einkommen eines durchschnittlichen Deutschen deutlich über dem der meisten anderen Europäer liegt, ist sein Vermögen deutlich geringer. Ein durchschnittlicher Haushalt in Deutschland – für den also die eine Hälfte der anderen Haushalte mehr und die andere Hälfte weniger hat – hat 60.000 Euro an Nettovermögen – dazu zählen Sparguthaben, Aktien, Immobilien, Lebensversicherungen und auch Autos und Hausrat, abzüglich von Verbindlichkeiten – im Vergleich zu mehr als 100.000 Euro in anderen Ländern der Eurozone. Ein durchschnittlicher Haushalt in Spanien oder Italien hat sogar weit mehr als das Doppelte an Nettovermögen.

Die unteren 40 Prozent besitzen fast kein Privatvermögen

Dies bedeutet nicht, dass es weniger privates Vermögen in Deutschland gäbe, sondern dass dieses private Vermögen hierzulande sehr viel ungleicher verteilt ist. Die oberen zehn Prozent haben 60 Prozent, die unteren 40 Prozent dagegen wenig mehr als ein Prozent des gesamten Privatvermögens. Die Vermögensungleichheit hat sich seit 2010, als die EZB diese Umfrage zum ersten Mal durchführte, sogar leicht erhöht. Die Vermögen der Ärmsten sind weiter geschrumpft.

Einige Politiker und Ökonomen behaupten, Deutschland sei ein sozial ausgewogenes Land, in dem diese Ungleichheit normal und kein Problem sei. Mit drei Argumenten versuchen sie, die hohe Ungleichheit der privaten Vermögen als vermeintlich irrelevant abzutun. Das prominenteste dieser Argumente ist, Deutsche würden kein privates Vermögen brauchen, denn sie hätten ja einen großzügigen Sozialstaat, der sie gegen alle Widrigkeiten absichert und ihnen eine sichere Rente garantiert.

Der Sozialstaat kann die Ungleichheit nicht kompensieren

Der Sozialstaat ist jedoch kein Ersatz für fehlende Ersparnisse und wird dies auch nie sein können. Eine noch so großzügige Rentenanwartschaft wird einer 35-jährigen allein erziehenden Mutter nicht helfen können, Bildungsausgaben für ihre Kinder zu stemmen oder ein kaputtes Auto zu ersetzen.

Es ist zudem fatal, wenn immer mehr Deutsche im Alter finanziell fast ausschließlich vom Staat abhängig sind. Eine Rentenquote von 48 Prozent des durchschnittlichen Lebenseinkommens bedeutet bereits heute eine massive Einschränkung des Lebensstandards für einen Rentner. Das Rentenniveau wird weiter fallen und viele sehen es schon als Erfolg an, wenn dieses nicht auf 43 Prozent, wie bisher geplant, sondern lediglich auf 45 Prozent bis zum Jahr 2030 sinken wird. Kurzum, die fehlenden Ersparnisse fast der Hälfte der Deutschen können durch den deutschen Sozialstaat nicht auch nur annähernd kompensiert werden.

Genauso falsch ist die Klage derer, die in den niedrigen Zinsen das Grundübel für die geringen Ersparnisse vieler Menschen in Deutschland sehen. 40 Prozent sind überhaupt nicht in der Lage, aus ihrem monatlichen Einkommen etwas zurückzulegen. Wer jedoch nichts Erspartes hat, für den ist es völlig egal, ob die Zinsen auf dem Sparkonto bei zehn oder null Prozent liegen.

Das dritte Argument, mit der die ungleichen privaten Vermögen oft relativiert werden, ist, dass die höheren Vermögen anderer Europäer eine hohe Eigenheimquote von bis zu 85 Prozent reflektierten, die in Deutschland, dem "Land der Mieter", hingegen nur bei 44 Prozent liege. In der Tat macht das Immobilieneigentum knapp die Hälfte des gesamten Privatvermögens der Europäer aus. Viele Deutsche erfahren heute schmerzvoll, wie Mietsteigerungen sie unter Druck setzen. Zudem fehlt eine Absicherung für das Alter: Der Erwerb eines Eigenheims wäre für viele, wenn auch nicht alle, im Prinzip eine sinnvolle Art der Vorsorge und Vermögensbildung.

Wer wenig verdient hat, bekommt heute kaum mehr

Wie kann es sein, dass in einem so reichen Land wie Deutschland so viele Menschen so wenig haben? Ein zentraler Grund ist die Einkommensungleichheit. Die Einkommensschere ist in den letzten 30 Jahren auseinandergegangen. Die 40 Prozent mit den geringsten Einkommen haben in den letzten beiden Jahrzehnten sogar fallende reale Einkommen hinnehmen müssen. Wenn Einkommen stagnieren oder sogar fallen, dann versuchen Menschen als Erstes, ihren Lebensstandard zu sichern und haben kaum Möglichkeiten, zu sparen und Vermögen aufzubauen.

Genauso wichtig ist das deutsche Steuersystem. In fast keinem anderen Industrieland besteuert der Staat Vermögen so gering, Einkommen auf Arbeit dagegen so hoch wie in Deutschland. Und wenn Vermögen besteuert werden, dann kommen die Reichsten häufig am besten davon. Ein typisches Beispiel ist die Erbschaftsteuer: Menschen, die mehr als 20 Millionen Euro erben, zahlen nur knapp ein Prozent Erbschaftsteuer. Diejenigen, die nur einen Bruchteil davon erben, zahlen im Durchschnitt jedoch zehn Prozent oder mehr Steuern.

Die Reichen sind besser gebildet und erben viel

Ein dritter Grund für die hohe Ungleichheit der Vermögen in Deutschland ist die niedrige Chancengleichheit und die geringe soziale Mobilität. Kinder aus sozial- und einkommensschwachen Familien erreichen meist einen deutlich niedrigeren Bildungsabschluss, haben geringere Einkommen und erben nichts oder wenig. Im Gegensatz dazu haben Kinder aus einkommensstarken Familien in der Regel einen deutlich höheren Bildungsabschluss, viel höhere Einkommen und erben zudem noch viel. Erbschaften machen knapp die Hälfte des gesamten Privatvermögens derer aus, die etwas erben durften.

Dies bedeutet, dass die Reichen immer reicher werden und es immer schwieriger für die Armen wird, durch eine gute Bildung und ein gutes Arbeitseinkommen den Aufstieg zu schaffen. Die hohe Ungleichheit bei Vermögen bedeutet eben nicht nur, dass fast die Hälfte der Deutschen vom Sozialstaat abhängig ist. Sondern die hohe Vermögensungleichheit reduziert auch die Chancengleichheit und die soziale Mobilität und verfestigt damit bestehende Strukturen.

Die Schwächsten müssen endlich berücksichtigt werden

Die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland ist nicht das Resultat einer funktionierenden Sozialen Marktwirtschaft. Sondern sie ist in erster Linie das Resultat einer gescheiterten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Einige Politiker versuchen, die Vermögensungleichheit für einen Verteilungskampf zu instrumentalisieren, mit dem Argument, man könne den Armen nur helfen, indem man den Reichen etwas wegnimmt. Dies ist ein fataler Fehler. Fehlende Chancengleichheit kann nicht durch mehr Umverteilung kompensiert werden.

Oberste Priorität für die Politik sollten ein besseres Bildungssystem und ein gerechteres Steuersystem sein, in denen sozial schwache Familien weniger benachteiligt und stärker gefördert werden. Dies erfordert eine Arbeitsmarkt- und Ausbildungspolitik, die die Interessen der Schwächsten berücksichtigt, sodass sich auch die Einkommensschere wieder etwas schließen lässt. Und es erfordert eine Politik, die viel zielgenauer als bisher den Vermögensschwächsten hilft zu sparen und eigenes Vermögen aufzubauen. Nur so kann der soziale Sprengstoff der hohen Vermögensungleichheit in Deutschland dauerhaft entschärft werden.

Themen: Ungleichheit

keyboard_arrow_up