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Die Wirtschaft profitiert stark davon, dass viele Zuwanderer nach Deutschland gekommen sind: Interview

DIW Wochenbericht 24 / 2019, S. 432

Claus Michelsen, Erich Wittenberg

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Herr Michelsen, das Wachstum der deutschen Wirtschaft hat zuletzt deutlich an Schwung verloren. Wird das in diesem Jahr so weitergehen? Wir haben in der Tat eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Das hat sich schon im vergangenen Jahr abgezeichnet, als die Auftragseingänge und die Industrieproduktion graduell immer mehr abgeschmolzen und dann im Sommer auch das Wirtschaftswachstum zum Erliegen gekommen ist. Das Jahr 2019 ist dann aber äußerst positiv gestartet.

Mit welchen Wachstumszahlen rechnen Sie? Wir rechnen in diesem Jahr mit einem Wachstum von 0,9 Prozent. Damit bestätigen wir im Grunde genommen unsere Einschätzung aus dem Frühjahr. Für das kommende Jahr erwarten wir ein Wachstum von 1,7 Prozent. Dabei ist zu beachten, dass es einen Kalendereffekt gibt, denn wir haben im Jahr 2020 mehr Arbeitstage zur Verfügung.

Bleibt der private Konsum eine tragende Säule des Wachstums? In der Tat ist der private Konsum gerade die Stütze der deutschen Wirtschaft, denn die Industrieproduktion ist nach wie vor relativ schwach. Wir erleben auch eine relativ kräftige Investitionstätigkeit der Unternehmen und eine boomende Bauwirtschaft. All das trägt unsere Konjunktur und das Wachstum in diesem Land. Das Auslandsgeschäft bereitet uns allerdings Sorgen.

Wie sieht es im Bereich der Investitionsgüter aus? Die Produktion von Maschinenanlagen und Fahrzeugen hat sich deutlich verlangsamt. Das hängt damit zusammen, dass der Welthandel, von dem wir besonders stark abhängig sind, nicht so gut läuft, wie wir uns das wünschen würden. Die Wirtschaft ist durch Unsicherheiten belastet. Die Handelskriege spielen da eine ganz wichtige Rolle. Zwischen China und den USA hat es eine neue Stufe der Eskalation gegeben, Mexiko ist in das Fadenkreuz der US-Administration geraten, auch Europa werden Strafzölle angedroht und der Fortgang innerhalb der Europäischen Union ist unklar. All das lastet auf der Investitionsgüternachfrage und auf der Produktionsseite hierzulande.

Wie entwickeln sich die Verbraucherpreise und die Inflation in Deutschland? Wir sehen momentan eine wieder eher moderate Teuerungsrate. Die Kernrate, ohne Energiepreise und Nahrungsmittel, ist weiter auf einem sehr geringen Niveau. Das wird sich auch im kommenden Jahr nicht beschleunigen. Die etwas stärkere Teuerung zu Jahresbeginn ist vor allen Dingen auf die Ölpreisentwicklung zurückzuführen. Gleichzeitig sind aber die Nahrungsmittelpreise leicht gesunken, sodass sich das in etwa ausbalanciert. Alles in allem rechnen wir damit, dass die Teuerungsrate die Zwei-Prozent-Marke, die Zielinflation der EZB, in Deutschland und auch im Euroraum nicht erreichen wird.

Wie ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland? Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor sehr gut. Der Beschäftigungsaufbau geht weiter, wenngleich das Tempo etwas zurückgegangen ist. Gerade im Bereich der Industrie werden weniger offene Stellen gemeldet. Das ist aber immer noch Jammern auf hohem Niveau, denn wir werden eine Arbeitslosenquote erreichen, die einen Tiefstand seit der Wiedervereinigung darstellt. 4,6 Prozent erwarten wir für das kommende Jahr, das ist schon sehr gut.

Der Arbeitsmarkt ist also nicht durch Zuwanderung unter Druck geraten? Im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft hat stark davon profitiert, dass die Zuwanderer nach Deutschland gekommen sind. Vieles von dem was wir jetzt produzieren, können wir nur deshalb produzieren, weil wir gute Fachkräfte vor allem aus Europa dazu bekommen haben. Uns bereitet eher Sorgen, dass die Zuwanderung nicht mehr so stark ausfällt, wie in den vergangenen Jahren, denn wir gehen in eine Phase der Alterung und des demografischen Wandels, die sich dann auch in einem sinkenden Arbeitskräftepotenzial niederschlagen wird.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

Themen: Konjunktur

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