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Klimaschutz ist kluge Wirtschaftspolitik

Blog Marcel Fratzscher vom 25. November 2019

Häufig wird behauptet, Klimaschutz koste Wirtschaftswachstum, da Jobs verloren gehen und Unternehmensgewinne sinken. Aber diese Kritik ist nicht gerechtfertigt.

Kolumne

Dieser Beitrag ist am 22. November 2019 der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.

Ist das Klimaschutzpaket der Bundesregierung tatsächlich wirtschaftlich schädlich und zerstört die Marktwirtschaft, wie die Kritikerinnen und Kritiker der Klimaschutzmaßnahmen behaupten? Einige werfen der Fridays-for-Future-Bewegung vor, die Umsetzung ihrer Forderungen bedeute die "Zerstörung der marktwirtschaftlichen Ordnung". Viele Kritikpunkte beruhen aber auf einem falschen Verständnis von Marktwirtschaft. Bei aller gerechtfertigter Kritik am Klimaschutzpaket bewirkt es nämlich genau das Gegenteil von dem, was ihm vorgeworfen wird: Es schützt und repariert eine dysfunktionale Marktwirtschaft.

Studierende der Wirtschaftswissenschaften lernen schon zu Beginn ihres Studiums, was es mit der "Tragödie der Gemeinschaftsgüter" auf sich hat: Ein Unternehmen, das im legalen Rahmen einen Fluss mit seinen Abwässern verschmutzt, berücksichtigt häufig nicht die Folgekosten für den Fischer. Die Politik könnte jedoch genauso gut die Eigentumsrechte am Fluss auf den Fischer übertragen, der dem Unternehmen dann verbieten könnte, den Fluss zu verschmutzen. Die Frage, welches dieser beiden Eigentumsrechte für die Gesellschaft das Beste ist, hängt von vielen Faktoren ab – ökonomisch vertretbar sind beide.

Die Umverteilung von Eigentumsrechten an Umwelt und Natur ist genau der Punkt, über den Politik und Gesellschaft im Augenblick so heftig streiten. Gehört der Planet der heutigen Generation, die darüber entscheidet, in welchem Zustand sie diesen an künftige Generationen weitergibt? Oder liegt das Eigentumsrecht bei den künftigen Generationen, die ein Anrecht darauf haben, einen intakten Planeten und eine möglichst unveränderte Umwelt zu erben? Eine große Mehrheit würde wohl eher der zweiten Frage zustimmen. Und auch ökonomisch ist ein strikter Schutz von Klima und Umwelt zu rechtfertigen.

Ein zweiter häufiger Kritikpunkt am Klimaschutz ist, er koste Wirtschaftswachstum, da Arbeitsplätze verloren gingen und Unternehmensgewinne sinken können. Aber auch diese Kritik ist nicht gerechtfertigt. Wirtschaftswachstum ist nicht nur eine nüchterne Prozentzahl, dahinter steht auch gelebter Wohlstand, Glück, Lebenszufriedenheit und Stabilität. Die Methoden zur Messung des Wirtschaftswachstums berücksichtigen diesen langfristigen Wohlstand und das, was ihn jenseits des Geldes ausmacht, so gut wie gar nicht: Gesundheitsschäden durch Luftverschmutzung, Verlust von Biodiversität oder die zerstörerischen Folgen von Naturkatastrophen gehen selten in die Messungen ein. Weitsichtiger Klimaschutz verlangt Strukturwandel und damit auch eine Veränderung von Arbeitsplätzen und dem Verhalten von Konsumenten und Unternehmen. Dies geht zwar mit Anpassungskosten einher. Langfristig jedoch schützt der ökologische Strukturwandel den wirtschaftlichen Wohlstand einer Gesellschaft. Und somit ist kluger Klimaschutz nicht ein Hindernis, sondern eine Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wachstum.

Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung enthält eine Reihe von Anreizen, die das Verhalten von Unternehmen und Bevölkerung verändern sollen. Die Bepreisung von CO2 soll dazu führen, dass beispielsweise Menschen seltener das Auto nutzen und Unternehmen auf andere Produktionsmethoden umsteigen. Auch Verbote gehören zu einer funktionierenden Marktwirtschaft dazu. Wenn die Fridays-for-Future-Bewegung fordert, man möge Verbrennungsmotoren ab 2030 verbieten, dann kann dies als überzogen oder fehlgeleitet kritisiert werden.

Eine solche Forderung zerstört jedoch nicht unsere marktwirtschaftliche Ordnung, sondern kann voll und ganz mit ihr vereinbar sein. Denn ihre Umsetzung schafft Transparenz, Planbarkeit und gleiche Bedingungen für alle. In Deutschland gibt es viele Verbote und Gebote, und genau die Festlegung von klaren Leitplanken ist der Markenkern unserer sozialen Marktwirtschaft.

Die soziale Marktwirtschaft funktioniert nur unzureichend

Das Problem Deutschlands ist nicht, dass der von vielen geforderte Klimaschutz unsere Marktwirtschaft zerstören würde. Das Problem ist vielmehr, dass die soziale Marktwirtschaft schon jetzt nur unzureichend funktioniert. Wenn Unternehmen und Bevölkerung die Umwelt schädigen können, ohne diesen Schaden kompensieren zu müssen, dann kann keine Rede von einer funktionierenden Marktwirtschaft sein. Kluger Klimaschutz stärkt das Verursacherprinzip, bei dem Unternehmen und Bevölkerung für ihr Verhalten geradestehen müssen.

Wenn man dem Klimaschutzpaket der Bundesregierung etwas vorwerfen kann, dann nicht, dass es der Marktwirtschaft schadet. Vorzuwerfen ist ihm lediglich, dass es nicht weit genug geht, um eine zunehmend dysfunktionale Marktwirtschaft effektiv zu reparieren und das Verursacherprinzip zu stärken. So liegen die verursachten Kosten von einer Tonne CO2 nicht bei zehn Euro, so wie es das Klimapaket für den Verkehr zugrunde legt, sondern bei einem Vielfachen davon.

Der Klimaschutz erfordert große Anpassungen von der Wirtschaft und der Bevölkerung. Solche Veränderungen sind schmerzvoll und schwierig, gerade wenn sie mit Verzicht verbunden sind. Aber die Forderungen der Fridays-for-Future-Bewegung, die weit über die Maßnahmen des Klimaschutzpakets der Bundesregierung hinausgehen, zielen nicht auf eine Zerstörung des Marktes oder eine Beschneidung individueller Freiheiten. Sie fordert und fördert genau das Gegenteil: eine Rückkehr zu funktionierenden Märkten. Klimaschutz ist nicht ein Gegner, sondern eine Grundvoraussetzung für eine nachhaltige soziale Marktwirtschaft.

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