Blog Marcel Fratzscher vom 17. Januar 2020
Der Staat nimmt mächtig Geld ein, was also tun? Steuern senken führt jedenfalls nicht zu mehr Investitionen. Und noch mehr Schuldenabbau ist gerade gar nicht wichtig.
Dieser Beitrag ist am 17. Januar 2020 in der ZEIT ONLINE–Kolumne Fratzschers Verteilungsfragen erschienen. Hier finden Sie alle Beiträge von Marcel Fratzscher.
Die jüngst bekannt gewordenen Überschüsse des Staates von 50 Milliarden Euro im Jahr 2019 haben eine kontroverse Debatte ausgelöst – auch zwischen den Koalitionspartnern der Bundesregierung. Einige fordern vehement, die Überschüsse sollten durch Steuersenkungen an Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden. Die neue SPD-Führung dagegen besteht auf Steuererhöhungen, um künftige Ausgaben finanzieren zu können. Diese gegensätzlichen Positionen und das Gerangel um die heilige schwarze Null spalten nicht nur die Politik in Deutschland, sondern könnten sogar die Bundesregierung zu Fall bringen.
Der Staat hat prinzipiell drei Optionen, mit den satten Überschüssen umzugehen: die Steuern senken, die Schulden weiter abbauen oder die Ausgaben für Investitionen in Bildung, Klimaschutz, Infrastruktur und Innovation erhöhen. Es ist wichtig, einen faktenbasierten Diskurs zu dieser Frage zu führen.
Nehmen wir uns zunächst die Steuern vor: Richtig ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich relativ hohe Unternehmensteuern hat. Einige Länder, allen voran die USA, haben ihre Unternehmensteuern gesenkt und üben somit indirekt Druck auch auf die Bundesregierung aus, ihrerseits Unternehmen zu entlasten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies ist ein valides und wichtiges Anliegen, das die Politik sehr ernst nehmen muss.
Dass mit Bekanntwerden des hohen Überschusses aber auch die Stimmen wieder lauter werden, die die komplette Abschaffung des Solis fordern, ist weniger valide. Denn eine komplette Streichung des Solis wird kaum den Unternehmen, sondern vor allem den Spitzenverdienern zugutekommen.
Werfen wir in diesem Zusammenhang auch einen kritischen Blick auf Steuersenkungen: Seit 1998 wurden die oberen 30 Prozent der Einkommen sukzessive steuerlich entlastet (durch ein Absenken des Spitzensteuersatzes und der Unternehmensteuern), die unteren 70 Prozent dagegen erheblich stärker belastet. In anderen Worten: Der Soli wurde in den vergangenen 20 Jahren für die Spitzenverdiener effektiv bereits dreimal abgeschafft. Die Hoffnung, eine weitere Abschaffung würde nun Investitionen anstoßen, darf also getrost als Illusion gesehen werden.
© DIW Berlin
Gleichzeitig gilt auch, dass kaum ein Land Einkommen aus Arbeit stärker belastet und (Einkommen aus) Vermögen geringer besteuert als Deutschland. Die hohen Lohnnebenkosten führen nicht nur zu niedrigen Nettoeinkommen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern belasten auch die Arbeitgeber so stark, dass der Niedriglohnsektor in Deutschland ungewöhnlich groß bleibt und der Anreiz für Unternehmen in Deutschland, gute Arbeitsplätze zu schaffen, gering ist.
Widmen wir uns nun den Investitionen: Fakt ist, dass der deutsche Staat seit fast 20 Jahren von seiner Substanz lebt. Denn die Nettoinvestitionen sind seit 2001 meist negativ gewesen, das heißt die öffentlichen Investitionen sind so gering gewesen, dass sie noch nicht einmal den Wertverfall von Straßen, Brücken und Schulgebäuden ausgleichen konnten. Allein die Kommunen haben eine aufgelaufene Investitionslücke von 138 Milliarden Euro. Deutschlands Verkehrsinfrastruktur verfällt zusehends, die digitale Infrastruktur ist im internationalen Vergleich eine der rückständigsten und das Bildungssystem lediglich durchschnittlich. Die Bundesregierung verfehlt ihre Klimaziele 2020 und die notwendigen Investitionen hierfür sind signifikant.
Kurzum, die unzureichenden öffentlichen (und privaten) Investitionen sind nicht nur ein großes Problem für Nachhaltigkeit, Wohlstand und Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger, sondern sie schwächen darüber hinaus die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und gefährden den Wirtschaftsstandort.
Kommen wir zu den Staatsschulden: Der populistische Slogan, man müsse dringend die Staatsschulden abbauen, auch um die Generationengerechtigkeit zu wahren, klingt auf den ersten Blick überzeugend. Er ist jedoch irreführend und falsch. Denn worauf es ankommt, sind nicht die Staatsschulden per se, sondern die Schuldenquote relativ zur Wirtschaftsleistung. Und diese ist stark gesunken und liegt heute bei sehr soliden 60 Prozent. Gerade auch angesichts niedriger Zinsen gibt es somit keinen guten Grund, die Schuldenquote weiter abzusenken.
Hinsichtlich der Generationengerechtigkeit dürfte es den allermeisten jungen Menschen ziemlich egal sein, ob der Staat 20 Milliarden oder 18 Milliarden Euro an Zinsen auf die Staatsschulden (wie 2019, bei Steuereinnahmen von circa 800 Milliarden Euro) zahlt. Viel wichtiger scheint es der jungen Generation zu sein, Klima und Umwelt zu schützen, auch künftig ausreichend gut bezahlte Jobs zu haben und in einer friedlichen Welt zu leben. Und dies zeigt, dass kluge Zukunftsinvestitionen sich nicht nur wirtschaftlich auszahlen, sondern auch einen deutlich höheren Beitrag zur Generationengerechtigkeit leisten.
Was bedeutet dies für die Politik der großen Koalition? Es bedeutet, dass beide Seiten sich bewegen und der Realität anpassen müssen. Die einen führen die Bürgerinnen und Bürger mit dem Argument hinters Licht, man könne die schwarze Null beibehalten und gleichzeitig Steuern senken und Investitionen erhöhen. Fakt ist: Wenn die Bundesregierung die Forderung nach Zukunftsinvestitionen ernst nimmt, dann ist sie gezwungen, die schwarze Null aufzugeben.
Die andere Seite, allen voran die neue SPD-Führung, fordert zahlreiche Steuererhöhungen. Viele dieser Forderungen sind nicht neu und einige mögen im Hinblick auf Steuergerechtigkeit auch sinnvoll sein. Aber was fehlt, ist ein überzeugendes Gesamtkonzept, wie die Überschüsse des Staates nicht nur zur Entlastung der Menschen, sondern auch zur Stärkung der Wirtschaft und der Zukunftsinvestitionen genutzt werden sollen.
Es ist höchste Zeit für die Bundesregierung, ihre Paralyse in Bezug auf Steuern und Zukunftsinvestitionen zu überwinden. Diese wirtschaftlich goldenen Jahre mit Rekordsteuereinnahmen und hohen Überschüssen werden nur von kurzer Dauer sein. Daher ist es umso wichtiger für die Bundesregierung, nun den Mut aufzubringen, diese Chance nicht verstreichen zu lassen, sondern klug in die Zukunft der jungen Generationen und des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu investieren.
Themen: Öffentliche Finanzen