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Patientenverfügungen werden von einer großen Mehrheit abgelehnt

Pressemitteilung vom 21. Dezember 2007

Nur jeder Zehnte möchte über den Verlauf seines Sterbens mitbestimmen

Ob Schlaganfall, Herzinfarkt oder auch ein schwerer Unfall: Es kann jeden treffen. Die Ärzte wollen Leben retten. Aber will der Patient um jeden Preis weiterleben? Täglich sind Ärzte mit der Frage konfrontiert, ob es im Sinne des Patienten ist, die Behandlung fortzusetzen. Aber nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung hat für diesen Fall eine Patientenverfügung hinterlegt. Gut die Hälfte aller Befragten (52 Prozent) schließt das auch für die Zukunft aus. Am häufigsten lehnen es junge Menschen ab, sich in dieser Form mit der Vorstellung des eigenen Sterbens zu beschäftigen - insbesondere dann, wenn sie sich gesund fühlen aber zugleich wenig gesundheitsbewusst leben.
Zu diesen Ergebnissen kommen die beiden DIW-Forscher Frieder R. Lang und Gert G. Wagner in einer jetzt veröffentlichten Studie "Patientenverfügungen in Deutschland: Empirische Evidenz der Jahre 2005 -2007" (SOEPpaper Nr. 71) Die Bereitschaft, eine Patientenverfügung zu hinterlassen, ist allerdings stark vom eigenen Erleben abhängig: So konnten die Autoren feststellen, dass Menschen eher bereit sind, den Verlauf des eigenen Sterbens zu bestimmen, wenn sie im letzten Jahr persönliche Erfahrungen mit dem Tod eines nahen Angehörigen gemacht haben. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen eine Patientenverfügung hinterlegt haben, mehr als drei mal so hoch, wenn sie ein Elternteil verloren haben. Je reicher, desto skeptischer Die Entscheidung für oder gegen eine Patientenverfügung ist unabhängig von Bildung oder Geschlecht. Allerdings lässt sich ein merklicher Zusammenhang feststellen beim Einkommen: Je höher das Haushaltseinkommen ist, umso skeptischer wird eine unbedingte Erhaltung des Lebens bewertet. Liegt das Haushaltseinkommen zum Beispiel unter 750 Euro, lehnen es 78 Prozent der Befragten ab, eine Patientenverfügung zu erstellen. Im Vergleich dazu: Nur rund 35 Prozent der Befragten lehnt eine Patientenverfügung grundsätzlich ab, wenn das Haushaltseinkommen 3500 Euro übersteigt. Auch in Zukunft werden es insbesondere jüngere, akut erkrankte Personen sein (zum Beispiel Unfallopfer oder Infarktpatienten), die keine Patientenverfügung hinterlegt haben. Doch nach Ansicht der Autoren verdeutlichen diese Befunde, dass eine Aufklärung über Tod und Leiden am Lebensende nicht die Aufgabe von Ärzten und Medizinern sein kann. Vielmehr ist gesellschaftliche Aufklärungsarbeit gefragt. "Gestorben wird in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Das macht es einfacher, die eigene Endlichkeit zu verdrängen." So Frieder R. Lang, Professor am Institut für Psychogerontologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Forschungsprofessor am DIW Berlin: "Für mich ist das Sterben auch ein Teil des Lebens, und was da passieren soll, will ich - soweit es eben geht - mitbestimmen." Grundlage für die Analysen sind Erhebungen des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Damit stehen erstmals Daten zum Thema Patientenverfügungen und selbst bestimmtes Sterben zur Verfügung, die für die gesamte, erwachsene Bevölkerung in Deutschland repräsentativ sind. Frühere, nicht repräsentative Stu-dien sind davon ausgegangen, dass zwischen 12 und 25 Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung hinterlegt hat. Die Zahl ist vermutlich deshalb überschätzt, weil die Befragungen unter anderem unter Patienten in Kranken-häusern durchgeführt wurden. Eine Kurzfassung dieser Analyse ist jüngst als Originalarbeit in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift erschienen (132. Jg., 2007, S. 2558-2562). Das Sozio-oekonomische Panel ist eine repräsentative Wiederholungsbefragung. Die Standardfragebögen werden regelmäßig um aktuelle Schwerpunktthemen erweitert. Die jährliche Erhebung der Daten wird vom DIW Berlin in Zusam-menarbeit mit Infratest Sozialforschung durchgeführt.
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