Blog Marcel Fratzscher vom 8. Oktober 2021
Enteignungen werden die wirtschaftliche und soziale Lage in Berlin nur noch verschlimmern. Sechs Gründe, warum sie die Wohnungskrise nicht lösen werden.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 8. Oktober 2021 bei Zeit Online als Teil der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Eine klare Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hat sich in der Volksbefragung für eine Enteignung großer Immobilienkonzerne ausgesprochen. Sie wollen, dass das Wohnungseigentum von Konzernen mit mehr als 3.000 Wohnungen an die öffentliche Hand übergeht. Ihre Hoffnung ist, dass die Stadt dafür nicht nur vergleichsweise wenig Geld zahlen muss, sondern auch die Mieten, die in den vergangenen Jahren für viele exorbitant gestiegen sind, wieder etwas sinken können.
Wohnen ist in der Tat eine der zentralen sozialen Frage für viele Menschen in den Städten. Studien auch vom DIW Berlin haben gezeigt, dass immer mehr Menschen einen immer höheren Anteil ihres monatlichen Einkommens für das Wohnen ausgeben müssen. Jeder vierte Berliner Haushalt gibt mindestens ein Drittel des monatlichen Einkommens fürs Wohnen aus, einige sogar fast die Hälfte. Zwar sind auch die Löhne und die Beschäftigung in Berlin gestiegen, aber für viele bedeutet dies, dass trotz höherer Einkommen nach Abzug der Wohnkosten am Ende des Monats weniger Geld im Portemonnaie übrig bleibt und sie ihren Lebensstandard einschränken müssen. Viele werden aus ihrem Kiez verdrängt: Beispielsweise junge Familien haben häufig keine andere Wahl, als in die Peripherie zu ziehen. Und viele, die neu in die Stadt kommen, haben größte Schwierigkeiten, eine Wohnung zu finden. Dieses Problem ist nochmals stärker für Menschen mit Migrationsgeschichte
Das Problem ist bekannt, aber deshalb nicht weniger dramatisch. Deshalb ist es so dringend, dass die neue Berliner Regierung bezahlbares Wohnen ganz oben auf die Agenda setzt und viel stärker noch als die ausgehende Regierung nach überzeugenden Lösungen sucht und umsetzt. Aber zur Wahrheit gehört auch: Enteignungen sind ein Irrweg. Mehr noch, sie sind kontraproduktiv und würden für Berlin enormen wirtschaftlichen und sozialen Schaden anrichten. Sie würden die Ungleichheit in Berlin verschärfen und vor allem die schwächsten Mitbürgerinnen und Mitbürger am härtesten treffen. Daher sollte die neue Regierung das Thema Enteignung möglichst schnell abräumen und stattdessen wirkliche Lösungen anbieten.
Viele Menschen reagieren mit Unverständnis oder gar Aggression auf die These, dass Enteignungen schädlich sind. Aber die Erfahrung mit ähnlichen Experimenten in der Vergangenheit sind eindeutig. Es gibt sechs Gründe, wieso Enteignungen der falsche Weg sind – und keinen einzigen guten Grund, der dafürspricht.
Im Gegenteil, die Sorge ist, dass sich das Angebot noch reduzieren wird. Einige Investoren werden keine neuen Wohnungen mehr bauen, da das Risiko von Enteignungen oder anderer schädlicher Regulierung einfach zu groß wäre. Und wenn sie dies tun würden, dann wohl eher für hochwertige und teure Immobilien, die sich nur die Besserverdienenden leisten können. Viele Menschen, vor allem solche mit geringen Einkommen, werden daher noch größere Probleme haben, eine Wohnung für sich und ihre Familie zu finden.
Weniger Angebot und mehr Risiko für die Investoren erhöhen die Mietpreise, sodass eine solche Politik zu einem Teufelskreis von knappem Wohnraum und hohen Mieten führen könnte.
Zwar behaupten Befürworter des Volksentscheids, der Preis für die Enteignungen läge bei weniger als zehn Milliarden Euro, aber der wirkliche Preis, zu dem die Eigentümer entschädigt werden müssten, läge eher bei 30 oder 40 Milliarden Euro. So oder so, dieses Geld würde im Haushalt Berlins fehlen. Dies würde bedeuten, dass sich die Stadt Radwege, Schulsanierungen oder bessere öffentliche Einrichtungen nicht wird leisten können. Oder Berlin muss Steuern erhöhen, um diese Ausgaben zu finanzieren. In beiden Fällen würden nur einige wenige von günstigeren Mieten in den enteigneten Wohnungen profitieren können.
Die überwältigende Mehrheit derer, die günstigeren Wohnraum dringend benötigen, wird ihn auch nach den Enteignungen nicht erhalten, sondern muss mit weiter steigenden Mieten rechnen. Die Enteignungen werden daher die Ungleichheit der Lebensverhältnisse in Berlin nicht reduzieren, sondern weiter vergrößern. Auch das wäre eine Katastrophe und sozialer Sprengstoff für die Stadt.
Durch eine Politik der Enteignungen würde auch ein breiterer wirtschaftlicher Schaden entstehen, denn eine funktionierende soziale Marktwirtschaft lebt von Vertrauen – auch dem Vertrauen in den Staat und dass dieser Eigentumsrechte respektiert. Enteignungen von Wohnungen wäre daher ein fatales Signal für den Wirtschaftsstandort Berlin, was nicht nur Wohnungsinvestoren abschrecken, sondern auch viele andere ermutigen könnte, anderswo zu investieren. Das Resultat wären weniger Arbeitsplätze und weniger Wohlstand.
Jedes Gericht wird wohl solch generelle Enteignungen für verfassungswidrig erklären und stoppen. Ich vermute, dass die Berliner Regierung dieses rechtliche Argument nutzen wird, um der Forderung nach Enteignungen ein Ende zu bereiten und diese Diskussion hoffentlich ein für alle Mal zu beenden. Das ist in mancher Hinsicht schade, denn ich würde mir wünschen, dass die Politik den Menschen reinen Wein einschenkt und auch unbequeme Wahrheiten ausdrückt: Enteignungen sind keine Lösung für die katastrophale Wohnungssituation in Berlin, sondern sie vergrößern das Problem, und zwar massiv.
Die neue Berliner Regierung sollte daher dringend nicht nur das Thema der Enteignungen abräumen, sondern gleichzeitig auch eine überzeugende Wohnungsbaupolitik vorstellen und zu einer der obersten Prioritäten machen. Die Politik sollte nicht den Fehler machen, den sozialen Sprengstoff von steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten zu unterschätzen. Eines der positiven Resultate der Wahlen, vor allem auch in Berlin, war, dass radikale und nicht demokratische Parteien wie die AfD an Stimmen verloren haben.
Kurzfristig kann die Politik in Berlin das Problem der steigenden Mietkosten durch eine kluge Regulierung, vor allem durch eine strikte Mietpreisbremse, wie sie sich auch erfolgreich bewiesen hat, umsetzen. Auch stärkere Wohnungszuschüsse für Menschen mit geringen Einkommen und durchaus punktuelle Zukäufe von Sozialwohnungen können das Problem kurzfristig etwas lindern. Statt 30 Milliarden Euro für Enteignungen auszugeben – und den verfügbaren Wohnraum dadurch effektiv zu reduzieren – sollte dieses Geld besser in den sozialen Wohnungsbau investiert werden.
Themen: Immobilien und Wohnen , Ungleichheit , Unternehmen