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Rindfleisch müsste eigentlich fünfmal so teuer sein

Blog Marcel Fratzscher vom 3. Juni 2022

Dieser Beitrag erschien bei Zeit Online.

Um die steigenden Preise für Lebensmittel in Griff zu bekommen, müssen die Fleischpreise steigen. Klingt verrückt – aber nur so entsteht vollständige Kostentransparenz.

Der starke Anstieg der Nahrungsmittelpreise trifft den Nerv vieler Menschen. Die teurer werdenden Lebensmittel bedeuten eine höchst unsoziale Inflation: Sie trifft vor allem Menschen mit geringen Einkommen, die einen deutlich höheren Anteil ihres monatlichen Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen als Menschen mit hohen Einkommen. Immer mehr Menschen müssen sich daher einschränken oder suchen die Tafeln auf.

Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört jedoch auch: Der Konsum und die Produktion von Lebensmitteln in Deutschland und weltweit sind nicht nachhaltig. Die Preise für Lebensmittel spiegeln bei Weitem nicht die enormen Kosten für Umwelt, Klima und Gesundheit wider, die vor allem der exzessive Konsum von Fleisch verursacht. Die Preise für Fleisch und Milchprodukte werden daher unweigerlich deutlich steigen, und Menschen werden ihre Ernährung grundlegend umstellen müssen. Die gute Nachricht ist jedoch: Eine solche Transformation der Ernährung würde nicht nur Klima, Umwelt und Gesundheit schützen, sondern auch die Preise für die Grundversorgung wieder reduzieren und sozialer gestalten helfen – wenn Politik und Wirtschaft die richtigen Lehren ziehen.

Dieser Text erschien am 3. Juni 2022 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Die Produktion von tierischen Lebensmitteln erfordert im Vergleich zu pflanzlichen Lebensmitteln eine sehr viel höhere Intensität von Land und anderen Rohstoffen wie Wasser. Die Hälfte der nutzbaren Landfläche unseres Planeten (und auch Deutschlands) wird für die Landwirtschaft genutzt. Davon benötigt allein die Fleischproduktion wiederum 77 Prozent, obwohl diese für nur 18 Prozent der Kalorien, also der von Menschen über Lebensmittel aufgenommenen Energie, steht. Die Nahrungsmittelproduktion verursacht weltweit ein Viertel aller Treibhausgase – das ist so viel wie der gesamte Verkehr von Autos, Flugzeugen und Zügen.

Künftige Generationen werden den Preis zahlen

Durch eine wachsende Weltbevölkerung, gerade in den Schwellenländern, wird die Belastung für Klima und Gesundheit weiter stark zunehmen. Bei diesem Trend sollte es uns nicht überraschen, dass Fleisch und Milchprodukte deutlich teurer werden müssen. Denn was wir heute für das Kilo Fleisch oder den Liter Milch im Supermarkt zahlen, reflektiert bei Weitem nicht deren monetären wie nicht monetären Kosten für Klima, Umwelt und Gesundheit. Unser Verhalten geht zulasten der Generation unserer Kinder und Enkelkinder. Je geringer unsere Anpassung heute ist, desto stärker müssen sich künftige Generationen einschränken und die Kosten unseres Verhaltens von heute tragen.

Fleischproduktion verursacht 100 Milliarden Euro Kosten im Jahr

Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, dass die Landwirtschaft in Deutschland jedes Jahr eine Wertschöpfung von 21 Milliarden Euro generiert, das entspricht 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Gleichzeitig verursacht sie sogenannte externe Kosten, die sich nicht in den Preisen widerspiegeln, von knapp 100 Milliarden Euro pro Jahr. Dazu gehören etwa Umwelt- und Klimabelastungen und der Verlust von Biodiversität.

Die ökonomische und auch ethische Logik einer jeden Marktwirtschaft ist es, dass Preise auch alle Kosten vollständig widerspiegeln sollten. Nur so können knappe Ressourcen – wie Land, Natur, Arbeitskräfte und Kapital – ökonomisch sinnvoll und nachhaltig verteilt werden. Würden diese externen Kosten auf die Lebensmittelpreise umgelegt, dann müsste vor allem Fleisch sehr viel teurer werden. Der Preis für Rindfleisch in Deutschland würde fünfmal so hoch sein, der Preis für Schweinefleisch zwei- bis dreimal so hoch.

Die Schäden sind irreversibel

Nun mag man erwidern, Lebensmittel seien so fundamental für den Wohlstand und die Grundversorgung, dass Staat und Gesellschaft sie subventionieren sollten. Dieser Einwand ist jedoch falsch und zu kurz gedacht. Denn die externen Kosten sind nicht hypothetisch, sondern sie werden von Menschen bezahlt, nur nicht von denen, die diese Kosten verursachen. Es sind vor allem unsere Kinder und Enkelkinder, die diese Kosten unseres Verhaltens heute bezahlen müssen. Denn sie müssen mit dem Schaden an Klima und Umwelt und dem Verlust der Biodiversität – die häufig permanent und irreparabel sind – leben.

Natürlich ist es verständlich, dass Menschen heute vom starken Anstieg der Lebensmittelpreise irritiert und überrascht sind. Aber gleichzeitig zeigen diese Zahlen, dass einerseits Preise für tierische Lebensmittel weiter steigen werden und andererseits eine grundlegende Umstellung der Ernährung weltweit, und allen voran in den reichen Ländern, dringend an der Zeit ist.

Wir verschwenden 30 Prozent der Lebensmittel

Die gute Nachricht: Eine Ernährungsumstellung leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Klima, Umwelt und Gesundheit. Sondern sie dürfte die Kosten für die meisten pflanzlichen Lebensmittel und damit die Kosten der gesamten Grundversorgung durch Lebensmittel reduzieren helfen. Denn eine solche Umstellung würde den globalen Bedarf an Land, Wasser und anderen Rohstoffen deutlich verringern und einen großen Teil der pflanzlichen Produktion, die jetzt für Tiere vorgesehen ist, für Menschen verfügbar machen. Zudem ließen sich große Einsparungen erzielen, wenn die aktuelle Verschwendung von Lebensmitteln (zurzeit 30 Prozent!) reduziert würde.

Mehr pflanzliche Produktion würde die Preise senken

Ein größeres Angebot, eine höhere Effizienz der Produktion und damit auch geringere Preise für pflanzliche Nahrungsmittel dürften das Resultat sein. Es würde somit eine starke Veränderung der relativen Preise bei Nahrungsmitteln geben: Pflanzliche Produkte würden tendenziell günstiger und tierische Produkte deutlich teurer werden. Eine ausreichend starke Verlagerung des Konsums hin zu pflanzlichen Lebensmitteln könnte also die Kosten für Nahrungsmittel recht stabil halten oder zumindest den Preisanstieg deutlich begrenzen.

Die Hauptleidtragenden leben in Afrika und Asien

Der indische Ökonom und Philosoph Amartya Sen erhielt den Wirtschaftsnobelpreis im Jahr 1998 auch für seine Studien zu Hungersnöten und der Erkenntnis, dass die zentrale Ursache von Hunger meist nicht hohe Preise oder Knappheiten sind, sondern geringe Einkommen und Ersparnisse. Diese Einsicht lässt sich auf die reichen Länder des globalen Nordens heute übertragen: Das Problem sind nicht hohe oder steigende Preise für Lebensmittel, sondern unzureichende Einkommen und Schutzmechanismen für die verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft.

Und bei aller berechtigten Sorge um steigende Lebensmittelpreise hierzulande sollten wir nicht vergessen, dass die Hauptleidtragenden der hohen Inflation von Nahrungsmittelpreisen heute nicht in Deutschland oder Europa zu finden sind, sondern in den ärmsten der armen Länder Afrikas und Asiens. Dort werden in diesem Jahr viele Millionen Menschen in absolute Armut rutschen und unter Hunger leiden, auch weil sie sich die viel teureren Nahrungsmittel nicht mehr leisten können.

Höhere Preise – mit mehr Transparenz!

Dies sollte sich die Politik heute zu Herzen nehmen. Ein deutlicher Anstieg der Preise für Fleisch und Milchprodukte ist unvermeidbar und auch notwendig. Statt höhere Fleischpreise zu verteufeln, sollte sich die Politik für einen Richtungswechsel in der Landwirtschaftspolitik einsetzen und mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher sicherstellen. Zudem sollte sie Menschen mit geringen Einkommen mehr Hilfe zukommen lassen – beispielsweise durch eine Erhöhung der Grundsicherung und der Sozialleistungen.

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